Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen, Hannah Arendt, Ingeborg Bachmann – die Jahrhundertschriftstellerin setzt eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten fort, denen Margarethe von Trotta feinfühlig in einem Film nachspürt. Auch in Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste gelingt es der deutschen Regisseurin, nicht weniger als die Essenz – manche mögen es Seele nennen – ihrer realen Hauptfigur mit den Mitteln des Kinos darzustellen. Vicky Krieps glänzt dabei als Ingeborg Bachmann in allen Stimmungslagen zwischen kreativer Blüte und dunkelster Stunde, auf zwei Zeitebenen einer schmerzhaften Liebe zu Max Frisch, im Kompromiss-Ort Zürich, in ihrem geliebten Rom, und mit einem neuen Gefährten in Ägypten, wo sie schließlich Heilung zu finden scheint.
Gänzlich verschieden mutet Anselm Kiefer an in seiner Kunst, seinem riesenhaften Œeuvre. Stets die Auseinandersetzung mit seinem Heimatland suchend, füllt der deutsche Maler seit Jahrzehnten Ausstellungsräume – und sein eigenes Atelier. Sein langjähriger Freund Wim Wenders hat nun eine gut gereifte Idee realisiert, und das Warten hat sich gelohnt: In beeindruckendem 6K und 3D gefilmt, lädt Anselm – Das Rauschen der Zeit zum Sich-Verlieren in den großformatigen Bildern des Künstlers ein und stellt neben seiner Arbeit zudem den Menschen hinter der Leinwand vor. Darin findet ebenso das Spielerische Eingang: Zusätzlich zu Anselm Kiefer sehen wir zwei jüngere Phasen seines Selbst, verkörpert durch Kiefers Sohn und Wenders’ Neffe.
Auch Sudabeh Mortezai interessiert sich in ihren Filmen für Wahrhaftiges, eine Form, die keiner klaren, klassischen Genre-Linie bedarf. Nach Macondo (2014) und Joy (2018) kommt nun ihr neuer Film Europa in die Kinos, wieder beleuchtet sie eine unbequeme Wahrheit des kapitalistischen EU-Raums: Eine für den Konzern EUROPA tätige deutsche Managerin (Lilith Stangenberg) soll im Süden Albaniens ein Stück Land erwerben – angeblich, um Entwicklungshilfe für Wirtschaft und Wohlstand des Staates zu leisten. Natürlich ist das nicht uneigennützig. Und der Imker, dessen Grund anvisiert wird, denkt gar nicht daran, zu verkaufen. Mortezai und ihrem Team gelingt gemeinsam mit Menschen vor Ort eine vielschichtige, einnehmende Darstellung komplexer, tagesaktueller Kulturgeschichte.
Im Frühling dieses Jahres gewann zum zweiten Mal eine Frau die begehrte Goldene Palme in Cannes. Nach Julie Ducournaus furiosem Titane (2021) wurde die Würdigung abermals einer Französin zuteil: Justine Triets Anatomie eines Falls ist ein verzwicktes, psychodramatisches Krimistück, in dem eine Autorin ihre Unschuld am gewaltsamen Tod ihres Ehemanns zu beweisen versucht. Triet und ihre Hauptdarstellerin Sandra Hüller – die sich bereits in Sibyl (2019) als Traumduo erwiesen, obwohl Hüller dort „nur“ eine wichtige Nebenfigur spielt, die dem Film allerdings die Krone aufsetzt – formen aus dieser Prämisse eine formidable Kombination aus Justizthriller und Familiendrama.
Eine ebenbürtige Übersetzung vom Literarischen ins Filmische hat sich mit Ein ganzes Leben gefunden. Denn Hans Steinbichler hat als Regisseur der Verfilmung von Robert Seethalers Roman gleichen Titels durchaus einen deutschsprachigen „Ensemble-Cast“ zur Mitarbeit: Stefan Gorski und August Zirner verkörpern den einfachen Arbeiter in den Bergen Andreas Egger in dessen Lebensgeschichte von Schufterei, Liebe, Tragödie und Krieg, durch die Jahrzehnte begegnen ihnen dabei Julia Franz Richter, Thomas Schubert, Andreas Lust und Maria Hofstätter. Sie finden das Berührende in der Schlichtheit eines Daseins, in dem sich auch ein größeres Gesellschaftsbild spiegelt.
In konträres alpines Milieu entführt uns Timm Kröger mit seinem Debütfilm als Regisseur. Die Theorie von Allem, eine Drei-Länder-Koproduktion mit bedeutender österreichischer Beteiligung, spielt sich auf einem naturwissenschaftlichen Kongress in einem schicken Berghotel ab. Dort entfaltet sich ein unwiderstehlicher Mystery-Noir: Zuerst lässt ein gespannt erwarteter Physiker auf sich warten, dann verschwindet eine seltsam gut informierte Frau (Olivia Ross) und schließlich wird sogar ein Gast tot aufgefunden. Der seinen Doktorvater (Hanns Zischler) begleitende Protagonist (Jan Bülow) begibt sich auf des Rätsels Lösung. All das in bestechenden Schwarzweißbildern, die ein Filmerlebnis bieten, das auf kleinen Bildschirmen nichts verloren hat.
Roter Himmel hingegen leuchtet im neuen Werk des deutschen Autorenfilmers Christian Petzold. Zwischen vier jungen Leuten (u. a. gespielt von Paula Beer und Thomas Schubert) entwickelt sich darin ein Beziehungsdrama, durchaus im Körper eines Klimakatastrophen-Kammerspiels: Dem Ferienhaus in der Ostsee rücken Flammen eines Waldbrands nahe und die Emotionen der sich darin mitunter zufällig Begegnenden beginnen gleichsam, Feuer zu fangen. Petzold beweist in seiner dritten Zusammenarbeit mit Paula Beer in Folge (Transit, 2018; Undine, 2020), dass er ungebrochen zu den spannendsten deutschen Kinostimmen zu zählen ist.
Nichts brand-, aber in seinem Einfallsreichtum stets Aktuelles präsentiert ab dem 1. November das Wiener Gartenbaukino mit einer besonderen Werkschau: „The Magic of Terry Gilliam“ bringt die Filme eines der eigen-willigsten, fantasievollsten Kino-Köpfe überhaupt auf die große Leinwand. Der Monty-Python-Mitgründer, dem Kultfilme wie Brazil (1985) oder Fear and Loathing in Las Vegas (1998) zu verdanken sind, wird auch persönlich zu Gast sein.