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FAQ Music #55

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Press
Nick Cave © Matt Thorne

Wenn ein Debüt erfolgreich war, dann tritt man spätestes beim nächsten Werk ins Erwachsenenalter ein. Die Dives respektieren diesen Grundsatz und zeigen der Welt auf „Teenage Years Are Over“ (Siluh Records), wo der Bartl den Most holt. Das klassische Frauentrio schafft es mit dem Tausendsassa Wolfgang Möstl am Produzentenpult die Unschuld des Debüts mitzunehmen, aber trotzdem bei den Melodien und der Breite des Sounds zuzulegen. Sie lassen die Gitarren krachen, schreiben Refrains, für die englische Bands die Themse austrinken würden und beleben so eine Tradition, die es verdient: Den krachenden kurzen Popsong, der den Hörer immer wieder erinnert, dass das Leben geil sein kann.

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Nick Cave hat sich vom Fürsten der Finsternis und Drogenliebhaber in den letzen zwei Jahrzehnten zum vom Leben schwer getroffenen altersweisen Ratgeber entwickelt. Auf seiner Webseite theredhandfiles.com beantwortet der früher so unnahbare Cave Fragen von Fans in einer beinahe schon beschämend ehrlichen und tiefenschürfenden Art. Seine Konzerte mit den Bad Seeds werden immer mehr zu genau durchgeplanten Messen, die aber noch immer durch die Intensität des Hauptdarstellers zum Ereignis werden. Hinter allen diesen Aktivitäten steckt aber noch immer der Songwriter Nick Cave, der mit den Themen nicht nur seines Lebens ringt: Verlust, Liebe, Trauer, Sehnsucht und die Gewissheit, nicht auf alles eine Antwort zu bekommen. Auf „Ghosteen“ (Ghosteen Ltd/Rough Trade) geht sein Weg, den er mit dem Vorgänger „Skeleton Tree“ eingeschlagen hat, weiter und bettet seine Songs in flirrende Synthesizersounds seiner musikalischen rechten Hand Warren Ellis. Der klassische Sound der Bad Seeds bleibt einstweilen im Kasten, aber wie Cave hier sein Flehen um Erlösung und Erkenntnis und seinen Optimismus in Sachen Liebe vereint, ist schlicht und ergreifend einmalig und zeichnet ihn nicht nur als Ausnahmekünstler aus, sondern auch als verlässlichen Begleiter.

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Das sind zweifellos auch die Tindersticks. Deren Chef Stuart A. Staples liebt den Rhythmus seiner Veröffentlichungen, denn nach jedem Soundtrack für einen Film von Claire Denis (zuletzt „High Life“) trommelt er seine Band zusammen und gibt sich seinen neuen Songs hin. Der Sound der der Tindersticks ist eine eigene Marke, und Staples hat keinen Grund etwas daran zu ändern. Die angezogene Handbremse dominiert auch das Tempo auf „No Treasure, but Hope“ (City Slang), aber es ist die neu gefundene Leichtigkeit, mit der die Band innerhalb ihres eigenen Universums überrascht. Einen Songtitel wie „Pinky In The Daylight“ hätte es früher nie gegeben und wie Staples hier eine Ode an die Schönheit abliefert, wäre in der eher grau gehaltenen Vergangenheit auch nicht passiert.

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Die Mittel der Vergangenheit benützt Michael Kiwanuka. Die Kernkompetenz des Londoners war bisher der Soul, bevorzugt mit den Wurzeln in Memphis. Auf seinem insgesamt dritten Album „Kiwanuka“ (Polydor) erweitert er den Horizont und bindet alle möglichen Einflüsse von Calypso über leichte psychodelische Tupfer bis hin zum Funk in seine Musik ein und feiert so einen Triumph. Seine Stimme war schon immer über jeden Zweifel erhaben und als Songwriter war er kaum angreifbar – aber der Ausflug über den Rand seiner Wohlfühlzone macht ihn zu einem der führenden musikalischen Köpfe der Gegenwart.

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Einen charakteristischen Kopfschmuck trägt in jedem Fall Alicia Edelweiss. Sie ist bekannt als kongeniale Bühnenpartnerin und Ziehharmonikaspielerin in der Ansa Panier, der Band von Voodoo Jürgens. Auf ihrem Solodebüt „When I’m Enlightened, Everything Will Be Better“ (Medienmanufaktur) schüttet sie ihr Herz aus, begleitet sich mit Ukulele und Harmonika, unterstützt von Lukas Lauermanns Cello, sowie Bass und Violine. Alle Songs prassen geradezu mit der Fülle des Ausdrucks und der Verve der Songwriterin, und das ist das Wunderbare an Debüts: Konventionen oder Berechenbarkeit gelten noch nicht, denn hier und jetzt gilt es alles und noch viel mehr allen zu sagen. Absoluter Pluspunkt ist die schönste Textbeilage des Jahres und wenn ich mir etwas wünschen dürfte: Ein Ukulele-Trio mit Alicia Edelweiss, Sigrid Horn und Willi Resetarits.

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Kommen wir zum Abschluss noch einmal zu den älteren Herren. Element Of Crime sind bisher mit dem Medium Livealbum eher sparsam umgegangen, aber von „Live im Tempodrom“ (Universal) behaupten sie selbst, dass es ihr „Live at Budokan“ oder „4 Way Street“ ist. Und auch wenn man die Scherzbolde reden lässt, so ist es doch ein unverfälschtes Dokument eines triumphalen Berliner Heimspiels einer viel geliebten Band, das ohne Schnörkel und ohne Overdubs auskommt. Zu hören ist auf den zwei CDs oder drei LPs das gesamte Programm der aktuellen Tour, die natürlich ihren Schwerpunkt auf die aktuellen Songs legt, aber alte Hits wie „Delmenhorst“ oder „Weißes Papier“ nicht auslässt. Sänger und Mittelpunkt Sven Regener schwelgt mit rauer Stimme in seinen Songs und bläst die Trompete mit Inbrunst. Das Publikum hängt buchstäblich an seinen Lippen und genießt den Altersoptimismus, der sich durch das gesamte Werk der Band zieht, aber bei Songs wie „Immer noch Liebe in mir“ fast explosionsartig zum Ausbruch kommt. Eine Therapie für alle, die zur Weihnachtsdepression leiden und alle jene, die der Marktschreierei der Gegenwart den Rücken kehren. Mehr kann ein simples Livealbum nicht leisten.

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