Eine gewisse Verhaltensauf-fälligkeit konnte man Metallica immer schon nachsagen – der Film Some Kind Of Monster (2004) gehört zu den traurigsten und zugleich witzigsten Dokumenten aus dem Inneren einer Band, die überall auf der Welt die Hallen füllt. Warum sollten sie also zum 30-jährigen Jubiläum des „Black Album“, das sie als Band definierte, von dieser Neigung abgehen? Neben der neu remasterten Version des Originalalbums gönnen sie sich mit „The Metallica Blacklist“ einen besonderen Tribute zu ihren Ehren: 52 Künstler covern auf vier CDs die 12 Songs des Originalalbums. Da passiert es dann, dass der Konsument gleich mit sechs Versionen von „Enter Sandman“ oder gar mit elf Versionen von „Nothing Else Matters“ konfrontiert wird. Overkill? Zumindest fast: Es ist nämlich schon erstaunlich, wie viele Musiker sich an den Vorlagen orientieren und dem Original nachhecheln. Eine Ausnahme ist da ausgerechnet Darius Rucker, der Sänger der längst nicht ganz zu Unrecht verblichenen Hootie and the Blowfish: Er entlockt dem Song bisher ungehörte Nuancen. Sonst wir das Feld der Mitwirkenden von Miley Cyrus, Volbeat und My Morning Jacket angeführt, aber immerhin ist auch die Klassikwelt mit ihrem Hans Dampf in allen Gassen Igor Levitt vertreten. Dieser versucht sich durchaus erfolgreich und fern jedes Classic-Rock-Klischees ebenfalls an „Nothing Else Matters“. Aus Wiener Sicht ist die Bezeichnung „Gemischter Satz“ also durchaus angebracht – auch davon sollte man nicht zu viel trinken.
Mit einer konservativen Grundaufstellung können auch Amyl and the Sniffers dienen. Die Buben werken an den Instrumenten, die blonde Amyl fegt wie ein Derwisch über die Bühne und rotzt die Texte über all das, was in der Welt danebengeht, ins Mikrofon. Das alles zu gut abgehangenen Riffs der Sex Pistols und anderer Vorväter wie Motörhead, Joan Jett oder Wendy Williams. Juliette Lewis könnte mit ihrem Zweitjob bei Juliette and the Licks auch als Blaupause gedient haben. Mit „Comfort to Me“ wird nun nach zwei Jahren auf Tour und einem Jahr in der coronabedingten Pause der erste große Schritt in die Öffentlichkeit gemacht. Auch wenn kein Ton neu ist, man dem guten alten Rock huldigt und Gitarrensoli gegenüber durchaus aufgeschlossen ist, ist es doch ein kurzweiliger und krachender Einstieg in Welt der Lederjacken, der Bierduschen, des Radaus und des ewigen Eskapismus.
Den Einstieg haben The Killers rund um Brandon Flowers schon lange hinter sich. Mit Hits wie „Mr. Brightside“ oder „Human“ haben sie sich mit mittlerweile zum Festivalheadliner hochgearbeitet. Die große Geste ist in den Genen der Band verankert, und da verwundert es dann nicht, dass sich Flowers schon im Eröffnungssong von „Pressure Machine“, nämlich „West Hills“, im Zutatenschrank von U2 bedient – und damit etwas zu offensichtlich ins Stadion schielt. Danach wechselt die Stimmung dramatisch und die Songs handeln von Angehörigen der amerikanischen Arbeiter-klasse in den Weiten des Landes (Meistererzähler Flowers blickt dabei auf seine Heimatstadt Nephi zurück), ihren Perspektiven und all den Möglichkeiten, am Ende doch zu verlieren. Hier begeben sich die Killers auf Neuland. Auch, wenn Spötter den Vergleich mit Springsteen bemühen, soll man dem alternden Boss und verdienten Kräften wie John Mellencamp dieses Gebiet nicht allein überlassen. Die Geschichten werden klar und poetisch knapp erzählt, und, wenn notwendig, wird auch das Stilmittel der Reduktion gekonnt ausgepackt. „Pressure Machine“ wird so zum willkommenen Fremdkörper in der Geschichte der Band – und vielleicht sogar zum Startschuss für eine Zukunft, in der die Killers nicht ihre eigene Coverband werden.
Aus den unendlichen Weiten der nordamerikanischen Wastelands kommen wir ins Mostviertel. Wenn die Protagonistinnen nicht alle mittlerweile in Wien leben würden, könnte man vom Mostviertler Songwriterinnenwunder sprechen, denn auch Sigrid Horn und die Band SarahBernhardt kommen aus dieser Ecke. Nun tritt nach mehreren Jahren im Untergrund der Provinz Katharina Pichlmayer mit ihrer beiden Kolleginnen Adele Knall am Kontrabass und Rici Kolck-Tudt an der Gitarre als Und de scheenan Hoa mit dem Debüt „Immer wieder neu“ ins Rampenlicht. Pichlmayr steht für Songs an den Grenzen zwischen Gefühlen, Geschlechtern und Orten. Und sie steht, wie auch Sigrid Horn, für den Glauben an den Song – und nicht für die Überfrachtung der Lieder mit dem eigenen Ego. Die selbstbewusste Ruhe von Pichlmayer, die im heimischen Dialekt schreibt, ist bei Debütalben selten anzutreffen. Das künstlerische Vorleben hat wohl dazu geführt, dass sie sich von Vorbildern gelöst hat und jetzt schon ihre eigene unverwechselbare Stimme gefunden hat, die sich souverän zwischen Lässigkeit, leichter Arroganz und Sensibilität bewegt.
Die eigene Nische haben Low schon vor einem guten Viertelhundert gefunden. Seither arbeitet das Duo, das aus dem wohl längstdienenden Ehepaar an den Rändern des Rockgeschäfts, Alan Sparhawk und Mimi Parker, besteht, so hart wie stur an seiner Vision. Die angezogene Handbremse, eine immense Zähigkeit und der Mut, überhaupt nicht unterhalten zu wollen, waren immer verlässliche Markenzeichen. Eigentlich waren auch auf ihrem 13. Album „Hey What“ keine Überraschungen zu erwarten, doch das Ehepaar hatte andere Pläne: Mit leicht bis stark verfremdeten Sounds und Stimmen, die sie zusammen mit Bon Iver Mitstreiter BJ Burton entwickelten, schaffen sie auf einmal Hymnen für die dystopische Zukunft; Hymnen, die diese Zukunft wahrscheinlich gar nicht verdient hat. Mit Songs wie „Days Like These“ oder „I Can Wait“ schaffen sie es, sich mitten in die Gegenwart zu begeben und Angst, Unsicherheit und Reste von Hoffnung akustisch umzusetzen. Selten war der Mut, explizit mit Melodien verstören zu wollen, die eigentlich Hits sein könnten, so spannend wie hier.
Aus den Tiefen der Zukunftsängste kommen wir zu Matthew E. White, einem Sonnenkind, Soundbastler und lebenslangen Liebhaber der Sounds der mitt-leren Siebziger. Er ist zwar viel zu jung, um den Philly Soul erlebt zu haben, aber als Restaurator und behutsamer Erneuerer der Sounds, die damals die Tanzflächen füllten, spielt er auf „K-Bay“ definitiv in seiner eigenen Klasse. Wie jeder Eigenbrötler mit eigenem Studio und epidemiebedingtem Zeitüberschuss schießt er manchmal übers Ziel hinaus, aber der Spaß, den er bei der Arbeit hatte, ist in jedem Song zu hören. Dass Matthew E. White obendrein Platz für ein akustisches Rührstück wie „Shine A Light“ hat, zeigt nur, dass er zu den verdienten Traditionalisten gehört, die den Tower of Song noch immer gerne bewohnen.