Startseite » FAQ – MUSIC #63

FAQ – MUSIC #63

Leben, Liebe und Abschiede – Robert Plant und Alison Krauss, Anita Lane, Stereo Total, Dave Gahan & Soulsavers, The Jazz Butcher und Brennholz.Rocks

Dave Gahan & Soulsavers © Spencer Ostrander and Joe Magowan

Wen die Nachricht, dass das Gesamtwerk von Helene Fischer nun erstmals komplett auf Vinyl erhältlich ist, kalt lässt, der kann sich vielleicht daran erwärmen, dass Robert Plant und Alison Krauss nach 14 Jahren wieder zusammengefunden haben, um mit „Raise The Roof“ einen Nachfolger für ihr damals alle Preise abräumendes Album „Raising Sand“ aufzunehmen. Krauss war die letzen zwei Jahr-zehnte die bestimmende Persönlichkeit im Bluegrass und Robert Plant hat bekanntlich mit Led Zeppelin mehr als eine Nebenrolle in der Musikgeschichte. Beide sind klug genug Songs auszuwählen, die weit von ihrer Komfortzone entfernt sind und so ist es dann auch kein Wunder, dass ausgerechnet ein Soulklassiker von Bobby Moore wie „Searching For My Love“ zum einfühlsamen Triumphzug für die beiden Allzeitgrößen wird. Aber auch Stücke aus dem Songbook des britischen Folks der sechziger Jahre von Bert Jansch oder Anne Biggs finden nicht nur eine neue Hörerschaft, sondern durch die immer geradlinigen und dem Song dienenden Interpretationen auch die Achtung, die sie absolut verdienen. Gut Ding braucht eben Weile, und vielleicht müssen wir auf die nächste Zusammenarbeit der beiden Ausnahmekünstler nur ein paar Jahre warten. Ein Rätsel bleibt aber trotzden ungelöst: Was will uns bei dieser Reise durch Songs aus allen Genres der letzten Jahr-zehnte das Wiener Riesenrad am Cover sagen? Wahre Magie braucht wohl ihre Rätsel.

Robert Plant und Alison Krauss, Raise The Roof (Warner)

Anita Lane hat vor 20 Jahren „Sex O’Clock“ veröffentlicht. Eigentlich wäre der Geburtstag des Albums Grund genug für die Wiederveröffentlich-ung gewesen, doch das Leben schreibt grausame Geschichten: Anita Lane ist heuer im April gestorben. Aber die Wiederentdeckung dieser Songs rund um die weibliche Sexualität ist genauso hoch an der Zeit, wie die Anerkennung Lanes als selbstständige Songwriterin – und nicht nur als Gefährtin von Nick Cave, der die Nachricht von Lanes Tod sichtlich gerührt mit den Worten „die klügste und talentierteste von uns allen“ kommentierte. Musikalischer Partner von Lane auf „Sex O’Clock“ war Mick Harvey, der den Sound zwar an die Bad Seeds anlehnt, aber Lanes Stimme und Texte immer in den Mittelpunkt stellt und so auch die einzige Coverversion, Gil Scott-Herons „Home Is Where The Hatred Is“, zu einem leider noch immer gültigen Statement macht. So traurig der Anlass sein mag, das Wiederhören dieser Songs ist beglückend.

Anita Lane, Sex O’Clock (Mute)

Und damit wären wir bei einem ähnlichen Schicksal. Françoise Cactus, die Frontfrau von Stereo Total, hat uns ebenfalls verlassen. Eigentlich können sich viele eine Welt ohne Stereo Total gar nicht vorstellen, denn sie waren immer da, haben seit 1995 so viele Leben begleitet, beeinflusst, oder zumindest für legendäre Abende gesorgt. „Chanson Hysterique“ ist eine Werkschau der ersten zehn Jahre der Band, an der Françoise Cactus noch selbst mitgearbeitet hat, und die eine Tour de Force durch die Bandbreite dieser Könige der Dilettanten auf ganzen sieben CDs bietet. Der Feind dieser famosen Band war immer die Perfektion: Ihr großes Herz bewiesen sie immer bei der Lie-be zum Moment, zur Improvisation und zu Songs, die hippe Bands nie gewagt hätten, anzugreifen. Die hier enthaltenen Versionen von Vanessa Paradis’ „Joe le Taxi“, von „Moviestar“, dem Mittsiebzigerhit des One Hit Wonders Harpo, oder eigenen Songs wie „Schön von hinten“ und „Ringo, I love you“ sind Zeugen der unglaublichen Lust dieser Band an Sinn und Unsinn, unglaublichen Höhen, ein paar Abstürzen und vor allem am prallen Leben. Wir ziehen den Hut und feiern für dich weiter, liebe Françoise.

Stereo Total, Chanson Hysterique (Tapete Records)

Depeche Mode machen wahrscheinlich noch länger Pause, ehe sie wieder ihre Hits abstauben und die Stadien der Welt bereisen. Da kann sich Sänger Dave Gahan ein Soloprojekt leisten und mit den Mitstreitern von den Soulsavers auf „The Imposter“ Lieder aufnehmen, die er schon immer singen wollte. Warum er gerade Neil Youngs Machohymne „A Man Needs A Maid“ vor den Vorhang zieht, bleibt sein Rätsel. Aber der Rest der Auswahl ist mit Songs von Cat Power oder PJ Harvey, über Blues-Klassiker von Elmore James bis zu Bob Dylans Altersklassiker „Not Dark Yet“ mehr als geschmackssicher und auch der Breitwandsound der Soulsavers unterstützt Gahans hörbare Liebe zu den Songs. Ganz besonderes Lob gebührt ihm für die Aufnahme von Rowland S. Howards Song „Shut Me Down“, den er nicht nur vor dem Vergessen rettet, sondern auch in seiner ganzen Größe zelebriert.

Dave Gahan & Soulsavers, The Imposer (Columbia/Sony)

Kommen wir noch zu zwei Songwritern mit großem Herzen. Das von Pat Fish schlägt leider nicht mehr, aber er hatte noch Zeit, mit seinem Projektnamen Jazz Butcher eine letzte Platte zu machen. Und eigentlich hält er die Zeit an. Wie in der Achtzigern, als er auf Creation Records eine Platte nach der anderen aufnahm und vom Boom des Labels profitierte, schreibt er leichte, witzige Songs über die Gegenwart. Fish hasste schon immer alles, was mit Rockstars zu tun hat und sah sich in der Nachfolge von großen Dandys, Sturköpfen und Lebemännern wie Kevin Ayers oder John Cale, die sich ebenfalls nie verbiegen ließen. Auch seinen Abschied gestaltet er auf „The Highest In The Land!“ ohne großes Getöse, dafür aber mit gescheiten, witzigen Songs über Dinge, die sein Leben angehen, wie seinen Kater, seine Lust zu Reisen und die Trottelhaftigkeit von Wutbürgern. Einer von vielen Höhepunkten ist „Sea Madness“, eine Ode an einen Flüchtling, der zum geliebten Faktotum der Musikszene in seiner Heimat Northampton wurde. Eine Platte, die konsequent für alles steht, was das Leben und die Kunst von Pat Fish ausmachte.

The Jazz Butcher, The Highest In The Land! (Tapete Records/Indigo)

Hinter Brennholz.Rocks dem Kinderentertainer, versteckt sich Frenk Lebel, der mit den Play The Tracks Of zumindest österreichische Musikgeschichte geschrieben hat. Irgendwann ist dann mit „Big Time“ noch ein FM4-Hit abgefallen. In den letzten Jahren entwickelte er die Figur Brennholz.Rocks, mit der er die Herzen vieler Kinder und derer, die es noch werden wollen, im Sturm eroberte. Spontan und begeisterungsfähig wie Lebel immer schon war, legt er als Brennholz.Rocks jetzt sein zweites Album, „Das Gegenteil vom Sommer“, vor und vermählt darauf mit seinen Mitstreitern Ryan Carpenter und Ivo Thomann seine immer frischen Kinderliedtexte mit dem Gitarrensound der Pixies und ihrer Zeitgenossen – und auf dem hörbar spontanen Wunderding „Verkehrte Welt“ gar den Mitsingrefrain mit krachenden Garagenrock. Begeisterung, Gefühl und die Möglichkeit, sich im Moment auszudrücken und Seelen zu berühren, stellte Lebel schon immer über jeden Anflug von Perfektion. Genau diese Freude schenkt er hier allen interessierten Menschen, unabhängig von deren Geburtsdatum.

Brennholz.Rocks, Das Gegenteil von Sommer

 

| | Text: Günther Bus Schweiger
Share