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FAQ – MUSIC #66

Irgendwo ist es immer schön — Perfume Genius, Mary Halvorson, Laundromat Chicks, Raphael Sas, Der Nino aus Wien, Martin Courtney

Perfume Genius © Magdalena Blaszczuk

Ohne große Vorankündi-gungen erscheint das neue Album „Ugly Seasons“ von Perfume Genius aka Mike Hadreas, der nach ein paar Anläufen spätestens 2020 mit „Set My Heart on Fire Immediately“ die Herzen der Liebhaber des großen Popsongs, der sich den Gefühlen so richtig hingibt, erobert hat. Die Konzerte wurden gestürmt, aus dem ewigen Geheimtipp wurde ein Star und sogar in seiner Heimat den USA, die mit spielerischen Zugängen so gut wie nichts anfangen kann, stieg die Anerkennung. „Ugly Seasons“ ist nun aber nicht der große Nachfolger der Perfume Genius in die ganz großen Hallen bringen soll, sondern die Musik für ein Ballett, das er für das Stück „The Sun Still Burns Here“ der Choreografin Kate Wallich geschrieben hat. Diese Songs werden wiederum Teil eines Films werden, den er mit Jacolby Satterwhite entwickelt. Es ist alles sehr kompliziert, die Konstante ist aber, dass sein Stammproduzent Blake Mills weiter mit an Bord ist. Diese Songs sind definitiv als Zwischenwerk zu verstehen. Die Macht und Stärke des gewohnten Sounds ist der Zartheit verwaschener Beats gewichen, die sich ganz in den Dienst des Stückes stellen. Auf neue Breitwandhits muss man also noch warten, wer aber eine neue Facette eines großen Künstlers kennenlernen will, der ist mit „Ugly Season“ bestens bedient.

Perfume Genius, Ugly Seasons (Matador)

Bleiben wir gleich in den USA und wechseln von der Westküste an die Ostküste und vom Pop im weitesten Sinne zum Jazz. Die Gitarristin Mary Halvorsen ist seit langem eine der Größen der Improvisationsszene und näherte sich in den letzten Jahren der Melodie an. Ihre Zusammenarbeit mit den Kollegen Noel Akchote und Bill Frisell für den Soundtrack zur Dokumentation über Patricia Highsmith, Loving Highsmith, ist exemplarisch und ihre zahlreichen Veröffentlichungen zeigten nicht nur ihre Vielseitigkeit, sondern auch erstaunliche Musikalität, ohne je ihren Stil aufzugeben. Für„Amaryllis“ schrieb sie nun in der Coronapause eine Suite für ein Sextett und meinte dazu: „Ich hatte nur die Gitarre, den Stift und den Computer. Alles was mich am Leben hielt, war der Gedanke, wie die Musik, die ich da schreibe, wirklich klingen wird.“ Die Antwort ist einfach: Die Suite ist ein abenteuerlicher Ritt durch alle Spielarten der Musik, die man sich nur vorstellen kann. Auch, dass Halvorsen ihre Lieblingsmusiker einsetzte, bleibt dem Hörer nicht verborgen. Zwischen klassischen Big-Band-Bläsersätzen und Minimal Music ist da alles dabei, und die Komponistin und Bandleaderin sorgt wahrlich für ein kurzweiliges Sounderlebnis.

Mary Halvorson, Amaryllis (Nonesuch)

Abseits der USA tut sich auch in Österreich Wundersames. „Trouble“ ist das Debüt der Laundromat Chicks, der Band des Songwriters Tobias Hammermüller, der sich noch Teenager nennen darf. Wer sich jetzt von einem computeraffinen Jugendlichen perfekte Beats erwartet, wird hier gnadenlos enttäuscht, denn Hammermüller und seine Band frönen der Handarbeit und dem Sound der mittleren und späten Achtziger Jahre. Warum, bleibt im Verborgenen, aber die Altvorderen werden sofort in ihre Jugend zurückgeschleudert und dürfen sich an die großen Momente der frühen Go-Betweens oder der Cure erinnert fühlen. Auch als ein frisch gehobe-
ner Schatz aus dem Archiv der Gitarrenbands rund um das Flying Nun Label in Neuseeland würde „Trouble“ locker durchgehen, denn die Melodienseligkeit und das Wissen, wie ein Song funkti-oniert, haben die Laundromat Chicks definitiv schon tief in sich aufgesogen. Wenn Überraschungen immer so aussehen, dann bitte mehr davon.

Laundromat Chicks, Trouble (Siluh)

Die Teenagerzeit hat Raphael Sas schon einige Jahre hinter sich, auch sein letztes Album „Nackerte Lieder“ erschien schon 2015. Deswegen ist es eine Freude, dass er, neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in der Band des Nino aus Wien und gut beschäftigter Sprecher auf Ö1, Zeit gefunden hat, seine im Laufe der letzten Jahre entstandenen Songs aufzunehmen und sie auf „Roter Berg“ zu versammeln. Sas ist einer jeder Songschreiber, die am liebsten Hymnen schreiben und sich durch nichts davon abhalten lassen, an das Schöne im Leben zu glauben. Schon allein den ersten Song „Schau, schau“ hätte wohl Erwin Ringel in sein Programm zur Selbstmordprävention aufgenommen, denn bekanntlich gibt es immer irgendwo etwas Leiwandes, und diese Botschaft trägt Sas mit einem großen Banner vor sich her. Egal, ob mit vorwärts treibenden Hymnen oder Balladen wie „Die Welt ist großartig“, Sas und seine Band schenken uns hier einen großen Song nach dem anderen und verdienen sich ein tobendes Publikum.

Raphael Sas, Roter Berg (Problembär Records)

Raphael Sas und seine Gitarre sind natürlich auch auf dem neuen Album des Nino aus Wien zu hören. Dessen letztes Soloalbum „Ockermond“, ist tatsächlich schon 2020 erschienen. „Eis Zeit“ wurde wieder in der Cselley Mühle aufgenommen, und zwar live mit seiner Band, die ihm schon sehr lange zur Seite steht. Wenn man das Werk von Nino Mandl, Jahrgang 1987, verfolgt, so ist es ein Weg eines Songschreibers und Performers vom Rand in die Mitte, in der bekanntlich das Licht scheint. Vielleicht hat die ansteckende Lebensfreude eines Raphael Sas auch damit zu tun, aber „Eis Zeit“ setzt diesen Weg konsequent fort. Mit „Sandy“ gelingt ihm eine so persönliche wie innige Ode an die Freundschaft, und mit „Olles hat sei End“ schreibt er nun auch ein Todeslied (nicht unpassend zum Wiener Totenkult), bei dem die Liebe im Mittelpunkt steht. Auch wenn es schwer zu glauben ist, mit „Eis Zeit“ hat der Nino aus Wien einen neuen Höhepunkt seiner spannenden Karriere erreicht.

Der Nino aus Wien, Eis Zeit (Medienmanufaktur)

Zum Abschluss noch ein Besuch an der Westküste. Martin Courtney ist der Frontmann der routinierten Indie-Rocker Real Estate. Auf seinem zweiten Soloalbum „Magic Sign“ schaut er zurück auf seine Jugend und lässt es im Gegensatz zu seiner Band etwas ruhiger angehen. Das mag daran liegen, dass er die Songs während der Pandemie im nächtlichen Homeoffice geschrieben hat und den Schlaf der Kinder nicht stören wollte – oder daran, dass er eine unbeschwerte Jugend hatte. Wenn er wie auf „Sailboat“ seine Kernkompetenz in Sachen Gitarrensounds von Bands wie Teenage Fanclub in den Vordergrund stellt, gelingen ihm Songs, die ihm Ohr bleiben. Leider schweift er auch ab und zu ab, aber wenn er trifft, dann hat die Klasse von 1986 einen wirklich kompetenten Nachfolger gefunden.

Martin Courtney, Magic Sign (Domino)

 

| | Text: Günther Bus Schweiger
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