Lola Marsh stehen für einen Trend, der sich in diesem Jahrhundert von Jahr zu Jahr mehr manifestiert: Großbritannien und die USA verlieren die Deutungshoheit über die Popmusik und Künstler aus allen Ecken der westlich geprägten Welt werden auf einmal wahrgenommen und gefeiert. Das Duo aus Israel ist dafür ein blendendes Beispiel, denn die Konzerte von Lola Marsh erfreuen sich in ganz Europa immer größerer Beliebtheit. Das dritte Album „Shot Shot Cherry“ wird daran nichts ändern. Sängerin Yael Shoshana Cohen und Multiinstrumentalist Gil Landau beherrschen in ihren Songs die aktuellen Spielregeln der Popmusik, setzen Autotune nur sehr gezielt ein und schaffen bei aller Radiofreundlichkeit eine Klangwelt, die nur als universell zu beschreiben ist. Nostalgiker können das als Folge der Globalisierung verfluchen – man kann es aber auch als Segen sehen, dass es heute vollkommen egal ist, woher Songs wie „Never Grow Up“ oder die tolle Ballade „Satellite“ kommen.
Wenn wir von Israel nach Nordwesten fliegen, kommen wir nach Mitteleuropa, genauer gesagt in die Gegend zwischen Tulln und Wien. Hier lebt und arbeitet Voodoo Jürgens. Nach dem durchschlagenden Erfolg seines zweiten Albums „’S klane Glücksspiel“, in dem David Öllerer seine Kunstfigur vom letzten lebenden Vorstadtstrizzi zum grandiosen Beobachter reifen ließ, der sofortige Klassiker der Moderne wie „2l Eistee“ sang, war die Spannung groß. Nun liegt „Wie die Nocht noch jung war“ endlich vor: Voodoo Jürgens bleibt sich in allen Belangen treu und rettet nebenher noch Ausdrücke wie „abkrageln“ vor dem Vergessenwerden. Seine Figuren bewegen sich zwischen der Halbwelt und dem Hacklerleben, er erzählt von verborgenen Träumen sowie kleinen und großen Sehnsüchten. Musikalisch ist die Gitarre oft nur mehr eine Randfigur. Er entwickelt mit seiner Band, der „Ansa Panier“, einen Sound zwischen Klezmer und selbstgestricktem Humptata-Voodoo, der ein weiteres Markenzeichen geworden ist. Dass sich daneben mit „Loss mas bleibn“ noch eine wunderbare Ballade des potscherten Liebhabers an seine große Liebe ausgeht, ist nicht selbstverständlich, überrascht bei diesem Ausnahmemusiker aber auch nicht mehr.
Überraschen wollte Bruce Springsteen mit einem Album, auf dem er sich durch die Geschichte des Soul covert und auf dem er nur singen wollte. „Only The Strong Survive“ bietet wenig Überraschungen, da sich die Neuinterpretationen von Songs wie „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ oder „Nightshift“ doch sehr an die Vorlagen halten und so zu einer netten Stimmübung werden. Allerdings findet sich dann noch ein abseitiges Wunder. Frank Wilsons „Do I Love You (Indeed I Do)“ wurde von Motown eingestampft, und nur ein paar rare Singles verirrten sich in den kleinen Kreis der Northern Soul DJs in England. Der Song war auch der letzte, der in der finalen Nacht des legendären Wigan Casino All Nighters gespielt wurde. Diesen Schatz holt Springsteen wieder an die Oberfläche und interpretiert ihn mit einer Innigkeit und Kraft, die der Song verdient. Für diese Großtat kann man auch den einen oder anderen Fehltritt leicht verzeihen.
Kommen wir zu Nick Garrie, einer der wohl unbekanntesten Randfiguren der Geschichte. Er veröffentlichte Ende der Sechziger in Frankreich sein erstes Album, von dem nur 100 Stück gepresst wurden. Von dieser zum Kultobjekt gewordenen Platte hatte Garrie selbst aber nur wenig. Er arbeitete als Skilehrer und auch immer wieder mit Fans wie den Mitgliedern der schottischen Band Teenage Fanclub. Vor 20 Jahren drückte ihm in Portugal ein alter Wirt eine Gitarre in die Hand und fragte ihn, ob er ein paar Lieder spielen könne. Das endete in einem kleinen Studio und nun wird „Summer Nights (The Lost Portugese Session)“ endlich veröffentlicht. Man kann einen vollkommen uneitlen Songwriter auf der Höhe seiner Schaffenskraft erleben, der seine Songs immer für sich geschrieben und es zu diesem Zeitpunkt längst aufgegeben hat, berühmt werden zu wollen. Es sind einfache Songs, einfach aufgenommen und vielleicht gerade deswegen voller Charme und Weisheit.
Der Charme ist bei Richard Dawson, dem großen Spinner unter den Songwritern, sicher zu finden, nur muss man entsprechend tief graben. Auf seinem siebenten Album „The Ruby Cord“ (Domino) geht es um das Überleben in einer rauen, unwirtlichen, vielleicht mittelalterlichen, vielleicht aber auch zukünftigen Welt. Dawson stellt sich immer die Frage „Kann ich noch weiter gehen, als bisher?“, und so kommt es, dass der Eröffnungstrack „The Hermit“ 41 Minuten benötigt, um auserzählt zu werden. Geduld und Neugier sind also Grundvoraussetzungen, wenn man sich auf Dawson einlässt. Irgendwo zwischen experimentellen englischen Folk und Sun Ra findet Dawson seine Schiene, die er ganz allein bedient, der schwer zu folgen ist, die aber durchaus ihre faszinierenden Seiten hat. Und dass er auch das klassische Songwriting im kleinen Finger, zeigt er im Schlusssong „Horse and Rider“, der auch einem Vorbild wie Richard Thompson einfallen hätte können.
Manch ein Sound stirbt nie. Immer wenn man denkt, dass man den treibenden scheppernden Bass, ein monotones Schlagzeug und eine kreischende Gitarre mit einer anklagenden Stimme voller Weltschmerz nicht mehr hören wird, dann wird dieser Sound entweder wiederentdeckt oder neu erfunden. In diesem Fall von der Wiener Band Modecenter, die auf ihrer EP „Peace“ genau in diesem Zeitloch forschen. Ob hier frühkindliche Prägungen durch die Plattensammlungen der Eltern im Spiel sind, denen das Quartett ungeschützt ausgesetzt war, ist nicht überliefert. The-Fall-Gründer Mark E. Smith würde auf seiner Wolke aber sicher ein Bier öffnen und grantig, aber zustimmend nicken. Modecenter beweisen hier mit Stil die These, dass Postpunk kein Ablaufdatum hat.