Jene Tage, an denen ein neues PJ Harvey Album erscheint, sind rar gesät. Sechs Jahre ist es her, dass sie mit „The Hope Demolition Projekt“ die Kritiker und Fans jubeln ließ. Nachdem die Konzerte für die letzte Platte alle gespielt waren, fiel Harvey in ein Loch. Bis auf die Veröffentlichung des Gedichtbandes „Orlan“ zog sie sich völlig zurück und spielte mit dem Gedanken, die Musik ins Eck zu stellen. Aber es war gerade die Musik, die sie aus dem emotionalen Loch wieder herausholte. Sie setzte sich ans Klavier, sang Songs von Nina Simone oder The Mamas and the Papas und fühlte, wie diese alten Hits ihre Laune hoben. Nach dem Wiederentdecken ihre Berufung schrieben sich die Songs von „I Inside the Old Year Dying“ fast alleine
und waren in drei Wochen fertig. Sie nahm sie mit ihren langjährigen musikalischen Partnern John Parish und Flood auf, und selten klang ein Album von PJ Harvey so schwerelos und beinahe schon locker. Sie zitiert sich durch die Hits von Elvis, streunt auf „Seem And I“ sogar stimmlich durch den Garten von Chrissie Hynde und bleibt sich in jeder Note und jedem Ton trotzdem treu. Neue Fans werden vielleicht nicht mehr auf den Wagon aufspringen, aber ihre treue Fangemeinde wird sich zufrieden am Sofa zurücklehnen.
Zum Thema zurücklehnen und mitwippen passt das zweite Album der Laundromat Chicks, „Lightning Trails“, perfekt. Mehr noch als beim Debüt „Trouble“ orientiert sich das Quartett rund um Tobias Hammermüller an den ruhigen Seiten von Vorläufern wie den Go-Betweens oder den Pastels. Aufgenommen wurde in einem Haus in Niederösterreich, die Effektgeräte, Drumprogramme und Fuzzpedale blieben daheim und die Chicks konzentrierten sich unter der Regie von Produzent Jansky auf alles, was natürlich klingt. Nach dem Motto „Perfektion ist etwas für Verlierer“ vertrauten sie sich und dem Moment und versuchten gar nicht, den Sound aufzupolieren, da das den einmaligen Charme zerstört hätte. Das Ergebnis sind sieben entspannte Songs eines mehr als talentierten Songwriters, die die Sonne sowohl ins Herz, als auch ins Haus lassen. Dass so etwas in Niederösterreich entstanden ist, spricht eindeutig für die Globalisierung.
Global denken auch Blur und ihr Frontmann Damon Albarn. Der ist im Hauptberuf rastlos auf der Welt unterwegs und sucht für sein Label und seine Projekte Sounds und Musikerinnen, die an der Kreation von Ungehörtem teilhaben wollen. Daneben ist er noch der Kopf der Gorillaz, stellt immer neue Versionen von The Good,The Bad & The Queen zusammen und bespielt damit die großen Bühnen. Deshalb war es dann doch überraschend, als eine Wiederauferstehung der alten Britpopper angekündigt wurde, denn die Rückschau ist so gar nicht die Stärke von Albarn und Gitarrist Graham Coxon, der sich mit Soloalben und vielen Soundtracks ein eigenes Standing erarbeitet hat und schon lange seinen Frieden mit Albarn gemacht hat. Zu den Konzertankündigungen erscheint am 21. Juli aber auch mit „The Ballad of Darren“ ein neues Album, das nicht einen Funken Verkrampftheit ausstrahlt, sich auch nicht auf alte Großtaten wie „Parklife“ bezieht, sondern die Songs einer erwachsenen Band präsentiert, die sich schätzt und eingesehen hat, dass die vier Teile magisch zusammenpassen. Albarn scheint den manchmal nervigen Ehrgeiz gebändigt zu haben, Coxon genießt es, nicht auf seine Riffs reduziert zu werden, und so werden diezehn Songs zu einem Triumphzug für eine Band, die große Pausen braucht, aber dann voll da ist.
Ein anderer Routinier ist Bonnie „Prince“ Billy, der in seiner Veröffentlichungspolitik neue Wege geht. Verging früher kein Halbjahr ohne eine Verneigung an einen seiner Helden, eine Zusammenarbeit mit einer von ihm geschätzten Sängerin oder Soloarbeiten, bremste er zuletzt den Schaffensdrang doch deutlich ein. Im Sommer erscheint nun „Keeping Secrets Will Destroy You“. Aufgenommen mit befreundeten Musikern in einem Raum in seiner Heimat Louisville, ist es eine Ode an die Vertrautheit, an die Freundschaft, das geliebte Bekannte, auf das Ankommen und das Auffangen durch geliebte Menschen. Auf dem Titelsong kehrt er wieder zur großen Naivität und Einfachheit zurück und erschafft einen Song, der eigentlich schon vor 100 Jahren hätte geschrieben werden müssen, aber wenigstens jetzt auf dieser Welt zu hören ist. Die Altersmilde, die die Balladen ausstrahlen, steht dem Prinzen aus Kentucky ausgezeichnet.
Um den Rapper McKinley Dixon zu beschreiben, muss man nicht lang nach Worten suchen, denn ein Radiomoderator hat bereits den Begriff „Hip-Hop-Jazz-Poet“ kreiert. Dixon ist ein Verehrer der vor vier Jahren verstorbenen Toni Morrison, der ersten afroamerikanischen Literaturnobelpreisträgerin, und der Titel seines neuen Albums „Beloved! Paradise! Jazz!“ ist eine Verbeugung vor seiner Heldin. Seine Musik ist tief im Jazz und langsamen Soul verankert, und wie Morrison suchen seine Texte die Liebe im Alltagshorror und umgekehrt. Dazu schreibt er noch großartige Refrains, die ihn von all den Kraftlackeln und Besserwissern in seinem Genre unterscheiden. Dixon ist trotz aller politischen Referenzen ein sanfter Rapper, einer, der den Klang und den Rhythmus seiner Texte immer in den Dienst des Songs setzt. Und so ist „Beloved! Paradise! Jazz!“ ein absolutes Vergnügen.
Das ist das Leben für J.E. Sunde nicht immer. Der Singer- Songwriter aus der Indie-Folk-Szene in Minneapolis kann auf seinem neuen Album „Alice, Gloria And Jon“ immer dann punkten, wenn er den kleinen Nick Lowe in sich entdeckt und mit einfachem Keyboard, Gitarre und spärlichem Schlagwerk seinen Lieben nachschmachtet. Leider hält er dabei das Tempo zu oft im unteren mittleren Bereich. Wie sich so viel Britishness ins kalte Minneapolis verirren konnte, bleibt zwar ein Rätsel, aber Verschrobenheit ist schließlich jene Eigenschaft, die einem Songwriter erst seine ganz eigene Duftmarke verleiht.