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FAQ — MUSIC #72

Olivia Rodrigo — James Blake — King Creosote — Molden und Seiler — Jonas Kaufmann — Shallig

Olivia Rodrigo © Universal Music

Im Land der Abermillionen Streams bekommen Taylor Swift und Billie Eilish ernstzunehmende Konkurrenz im Kampf um die Vorherrschaft im Jugendzimmer. Olivia Rodrigo ist gerade 20 geworden und hat sich mit ihrer Rolle in der Disney-Serie High School Musical eine riesige Fanbasis erarbeitet. Bereits für diese Serie schrieb sie ihren ersten Hit „All I Want“ und zeigte, dass die Schauspielerei ein Mittel zum Zweck war, ihr Weg aber in Richtung Hallen und Stadien der Welt gehen würde. „Guts“ ist das zweite Album der Kalifornierin und holt ihre Kundschaft genau dort ab, wo sie selbst vor einiger Zeit stand: An der Kreuzung zwischen Pubertät und Heranwachsen, zwischen reinem Trotz und dem ersten Exfreund. Da wird auf der zweiten Single „Bad Idea“ darüber nachgedacht, ob dem Ex doch noch eine Chance gegeben werden soll, und das gleich mit ein paar deutlichen Anleihen bei Wet Leg und deren Hit „Chaise Longue“. Ihr musikalischer Partner Daniel Nigro sorgt für die altersgerechte Einbettung der knackigen Melodien – da jault die Gitarre und verstärkt den jugendlichen Furor der Hauptdarstellerin. Da kann und will die Generation TikTok gar nicht vorbei: Das Zimmer voller Poster hat einen neuen Soundtrack, das Telefon einen neuen Startbildschirm – und Millionen von Jugendlichen haben einen neuen Liebling.

Olivia Rodrigo „Guts“ (Universal)

Von der Aufregung zur Ruhe, vom aufsteigenden Stern zum inzwischen auch schon 35-jährigen James Blake, der im Zweijahrestakt seine Alben veröffentlicht. Mit „Playing Robots into Heaven“ legt der Elektroniker und Meister des Post-Dubstep sein siebentes Album vor und überrascht mit seinem Hang zum abwechslungsreichen Experiment. Minimalist bleib er wohl ewig, und seine Liebe zu Kraftwerk kann er nicht verstecken, aber die Sounds klingen zumindest frisch aufgewärmt. Wenn er wie auf „If You Can Hear Me“ zur abstrakten Ballade greift, dann werden sogar im elektronischen Gewand die Gefühle echt. James Blake hat seine Bestimmung gefunden und arbeitet so unbeirrt wie bestimmt weiter an seiner Vision des Beinahestillstands.

James Blake „Playing Robots into Heaven“ (UMI/Republic)

Werfen wir noch einen Blick nach Schottland zu King Creosote. Er ist so umtriebig wie individuell, seine Kooperationen mit Kollegen von Jon Hopkins bis hin zur Beta Band sind unüberschaubar – und trotzdem ist auch das im November erscheinende Album „I Des“ ein Ereignis. Der King hat die Fähigkeit, Popsongs zu schreiben, aber auch große Melodien in Sounduniversen gut zu verstecken und gibt dem Hörer so die Gelegenheit, auf Entdeckungsreise zu gehen. Diesem Prinzip folgt er auch auf „I Des“, indem er ein Arsenal von Vibrafonen, Akkordeons, E-Bows, Samplern, Huftieren, Pfeifen und zerkratzten Platten in Stellung bringt und daraus Lieder baut, die vor Schönheit und Sehnsucht nur so strahlen. Wie weit der Kunstbegriff von King Creosote geht, zeigt auch das Video zu „Blue Marbled Elm Trees“, das schon jetzt eine Aufnahme ins Museum of Modern Art verdient hätte.

King Creosote „I Des“ (Domino)

Die Schaffenskraft von Ernst Molden kennt definitiv keine Handbremse. Nach den Zusammenarbeiten mit Ursula Strauss und Herbert Pixner sowie den „Möadanumman“ für den Podcast von Florian Klenk und Christian Reiter singt er auf „De Zwidan Zwa“ nun mit Christopher Seiler, der im Hauptberuf bei Seiler und Speer zum Inbegriff des neuen Austropops geworden ist. Gemeinsam mit dem immer famosen Frauenorchester widmen sie sich vor allem Übersetzungen von klassischen Songs, die bei Moldens Herangehensweise ja eher Übersiedlungen oder Eingemeindungen sind, denn kein Song von Jimmy Rodgers oder John Lee Hooker bleibt an seinem ursprünglichen Platz. Die kongenialen Duettpartner leben die Songs, die meistens schon auf der Bühne zu hören zu waren. Zwei Songs finden sich auch schon auf „Foan“, der ersten Platte mit eingebürgerten Songs, aus dem Frühwerk. Molden und Seiler stürzen sich mit Genuss in die Songs der Altvorderen und das zeigt sich auch daran, dass sie sich ums Jodeln nicht drücken. Das taten ja bekanntlich auch Hank Williams und seine Zeitgenossen. Ein weiterer Höhepunkt ist der einzige Song aus Christopher Seilers Feder, „Es Gligg“. Es ist schon verwunderlich, dass eine derartig großartige Ballade mit sozialem Tiefgang bereits länger in der Schublade lag, aber wichtig ist, dass sie jetzt und in Zukunft in aller Größe zu hören ist.

Molden und Seiler „De Zwidan Zwa“ (badermolden recordings)

Jodeln wäre vielleicht auch eine Aufgabe für Jonas Kaufmann. Der ist einer der Stars der Klassik und beglückt gern mit Liederabenden, die meist mit Huldigungen seiner weiblichen Fangemeinde enden. Ob wie bei Tom Jones auch Höschen auf die Bühne fliegen, ist nicht überliefert, aber die Zahl der Blumensträuße ist jedenfalls groß. Er hat schon einen Ausflug in Richtung Wienerlied zu verantworten und nimmt sich auf „The Sound of Movies“ Lieder vor, die irgendwann in einem Film zu hören waren. Die Geschichte lehrt, dass Opernsänger mit populären Songs die größten Schwierigkeiten haben, und Kaufmann bestätigt diesen Trend eindrucksvoll. Wie er den Standard „Blue Moon“ voller Unverständnis interpretiert und auf dem Altar des Wohlklangs opfert, ist definitiv keine Werbung für seine Zunft. Dieses Niveau hält er auch konsequent bei „Strangers in the Night“ und dem Rest der Repertoires. Ein Schrecken von Beginn bis zum bitteren Ende und ein Kandidat für die Weihnachts-rubrik „Geschenke für Feinde“.

Jonas Kaufmann „The Sound of Movies“ (Sony Classic)

Uneingeschränkt empfehlen kann man Freunden hingegen das zweite Album von Shallig, „Richtig Gehört.“. Die vier Wiener Witzbolde schließen damit nahtlos an das erste Album „GustavUllrichSCHule“ an. Obwohl sie sich definitiv einige Zeit dafür gelassen haben, verändert sich das Universum von Shallig nicht. Der schon jahrelang erprobte Live-Favorit „Ponyhof“, ein Ururenkel von „Imagine“, findet dabei endlich seinen Platz auf einem Album. Jetzt kann man überall dem Platzen seiner Illusionen auf stilvolle und ironische Weise nachweinen – und mitsingen kann man noch dazu. Weil die Weltsicht von Shallig jenseits der Jammertäler und immer sehr nahe am Humoristischen beziehungsweise der Satire angesiedelt ist, darf man sich auch nicht wundern, dass ihre Hymne auf den „Durchschnitt“ absolutes Hitpotenzial hat. Auf die Reaktionen ihres Publikums bei den Konzerten dürfen sich Shallig jetzt schon freuen.

Shallig „Richtig Gehört.“ (Gustav Records)

 

 

| FAQ 72 | | Text: Günther Bus Schweiger
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