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FAQ25 Music Selection

Text: Koroschetz Stefan 2 | Fotos: Press
© Universal Music

Nach der Liebe, dem Tod und dem Rausch widmen sich die Stimmen Bayerns diesmal der Freiheit. Und wie sie das tun! Auf einer opulenten Doppel-CD mit zwei informativen Booklets bindet das verdienstvolle Trikont-Label wieder im bayrischen Dialekt oder auch in Hochsprache vorgetragene Lieder, Sketche, Radiofeatures, Film-Tonspuren, Soundcollagen und noch Diverses zu einem bunten Audio-Strauß. Die Freiheit braucht eben viel Raum! Dabei sind die üblichen Verdächtigen (Gerhard Polt, Hans Söllner, Georg Ringsgwandl, Ruth Drexl, Gustl Bayerhammer …) die eh im gesamten deutschen Sprachraum bekannt sind, und – sogar in der Überzahl – für den Nicht-Bayern weniger geläufige Namen: AK Konstanze, Kraudn Sepp, Katja Huber, Dr. Döblingers geschmackvolles Kasperltheater oder G.Rag & die Landlergschwister sind nur einige von denen, die Lustiges, Melancholisches, Derbes, Historisches, Dadaistisches oder einfach bayrische Popmusik (Spider Murphy Gang) interpretieren. Eine Gesangsgruppe Obermaier singt eine unglaubliche, bayrische Version von Simon & Garfunkels „Sound of Silence“, Christian Lerch erklärt und anhand eines Achternbusch-Textes in zwei Teilen warum es die Welt nicht gibt. Die witzige, schräge Truppe Zwirbeldirn erfreut mit „So ist ein Boy“ mit drei Frauenstimmen, phettem Bass und Geigengroove, sowie explizit Politisches kommt mit z.B. „Protestgeschichte 1&2“ (Udo Wachtveitel & Burchard Dabinnus) oder einem Beitrag von drei der fünf „Krawall-Musiker“ der Schwabinger Krawalle von 1962. Prädikat: wertvoll, ganz unironisch.

Die Disokugel am Cover der Stimmen Bayerns würde auch vorzüglich zu Reflektor vom Indie-Blockbuster Arcade Fire passen, die auch mit einem Doppeldecker quantitativ eher klotzen als kleckern. Und gleich am Anfang gibt es einen ausufernden Hidden-Track, dem diese Dimension auch geschuldet ist. Everybodys Darling Arcade Fire hat sich für das sehnsüchtg erwartete vierte Album Mr. LCD-Soundsystem James Murphy ins Studio geholt, diesem aber dann doch nur begrenzten Raum gegeben, was dem Album gut tut. Auch nicht eben unbekannt ist Gaststimme David Bowie, die zwar im Background, aber doch markant genug heraussticht. Das Klangspektrum insgesamt haben die Kanadier wieder ordentlich erweitert, Disco rules teilweise, haitianische Rhytmen mit jeder Menge Percussion erzeugen einen mal flauschigen, dann wieder kratzigen Teppich aus Beats, auf dem sich trefflich tänzeln lässt. Régine Chassagne ist als Sängerin bis auf wenige Ausnahmen („Joan Of Arc“) ganz verschwunden, was hoffentlich nicht zum Standard wird. Sonst ist Reflektor ein wieder vortreffliches, nicht einfach zu verdauendes Album, das textlich im Schatten angesiedelt ist und sich auf CD2 gar mit dem Drama um Orpheus und Eurydike beschäftigt, bevor gegen Ende noch der Discofetzer „Porno“ aus dem mentalen Schützengraben springt. Das ist niedergeschlagene Euphorie wie sie aktuell kaum jemand besser draufhaben kann als die schlauen KanadierInnen.

Ein ganz anderes Beet bestellt der Tierschutzaktivist und Veganer Richard Melville Hall, besser bekannt unter seinem nom de guerre Moby, mit Innocents (Little Idiot). Als Danceproduzent war Moby schon in den neunziger Jahren erfolgreich, zwischendurch schoss er mal eine Platte mit Punkrock in den Äther und gilt seitdem als schwer einzuschätzendes Chamäleon, das sich durch den Gebrauch von historischen Samples nicht nur Freunde gemacht hat. Sein elftes Studioalbum glänzt im ersten Moment vor allem mit Atmosphäre, teils schon nahe an Ambient, ergänzt durch hochkarätige Vocal-Gäste. Wenn etwa „Flip“ Wayne Coyne in „The perfect Life“ singt, ist der große Melodiebogen nicht weit, hier noch von einem mächtigen Chor unterstützt. Zwei Stücke intoniert Labelmate Cold Specks, für meinen Geschmack fast zu sophisticated, und der anscheinend kooperationssüchtige Mark Lanegan lässt sich in „The Lonely Night“ von Moby noch eine Extraportion Hall auf seine markante Stimme legen, was eine spannende Kombination aus Ambient und beseeltem Kratzgesang ergibt. Damian Jurado leiht „Almost Home“, dessen Melodie wie von einem Computerprogramm erstellt wirkt und das trotzdem berührt, seine hohe Stimme. Hinten im Booklet finden sich neunzehn Porträtfotos der maßgeblich Mitwirkenden. Wayne Coyne hat große Ähnlichkeit mit Charles Manson. Spooky.

Nicht wie Charles Manson, dafür anders seltsam sieht bzw. sah ein gewisser Marshall Mathers, den die Welt als Eminem kennt, besonders auf der Bühne aus. Dieser hatte wie es aussieht, eine Art Flashback und veröffentlicht mit The Marshall Mathers LP2 (TMMLP2) ein Album, das zumindest fast genauso aussieht (das Elternhaus am Cover) wie The Marshall Mathers LP aus 2000. Atemberaubend wie der Opener „Bad Guy“ ist das gesamte Album, stilistisch allerdings sehr abwechslungsreich. Die Palette reicht auf Eminems achten Studioalbum vom bretterharten „Rapgod“ (mit Referenzen an die Heroes seiner Jugend Slick Rick, Doug E. Fresh…) bis zum balladesken „Stronger Than I Was“, und selbst für den Nicht- Rap-Auskenner ist klar, dass Eminem über beeindruckende Skills verfügt. „Love Game“ ist ein Duo mit Westcoast-Sensation Kendrick Lamar, Rihanna, Skylar Grey sowie ein paar weitere assoziierte Gäste helfen mit, TMMLP2 zur Sensation für die HipHop-Community zu machen.

Fünf Jahre nach Live At The Royal Albert Hall bringt Nick Cave mit seinen Bad Seeds mit Live From KCRW sein viertes Live-Album auf den Markt. Aufgenommen bei einer Radiosession für den kalifornischen Radiosender KCRW zwischen zwei Shows beim Coachella Festival spielen sich die Bad Seeds in schlanker Variante lässig durch zehn Stücke, deren vier vom letzten Album „Push The Sky Away“ stammen. Die Vinylausgabe bringt mit „Into My Arms“ und „God Is In The House“ zwei Bonustracks. Instrumentiert ist dieses für Cave-Verhältnisse kontemplative Album so spartanisch, dass man fast von einer Unplugged-Session sprechen kann. So luftig leicht haben Sie Klassiker wie „The Mercy Seat“ oder „Jack The Ripper“ bestimmt noch nicht gehört. Rotweinpflicht!

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