Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich Pharrell Williams nicht beklagen. Spätestens seit er nach den Beatvirtuosen The Neptunes und N.E.R.D auch als Solokünstler agiert, scheint ihm alles zu gelingen: Mit „Blurred Lines“ sowie „Happy“ hatte er Welthits, und „Get Lucky“ mit Daft Punk hat in seiner Powerrotation manchen schon etwas genervt. Womit wir auch schon bei der Achillesferse von GIRL (Sony), seinem zweiten Soloalbum, angekommen wären. Die Songs auf GIRL sind perfekt arrangiert und produziert, mit Justin Timberlake in „Brand New“ , Miley Cyrus „Come Get It Bae“ und Alicia Keys „Know Who You Are“ und Hans Zimmer an den Strings sind Kapazunder als Gäste dabei. Nur ist dem reinen Pop, den Pharrell gar nicht dementiert zu machen, schon per definitionem eine kurze Halbwertszeit eingeschrieben. Williams’ souly Retrosound wird schon oft kopiert, was unweigerlich zu Overexposure führen wird. Die feinsten Stücke sind das in die Disco zerrende „Hunter“ und das gemächlichere „Lost Queen“ mit seinen afrikanischen Vokalrhythmen.
Ein Aufmerksamkeits-Blockbuster im deutschen Sprachraum sind aktuell Kreisky. Auf ihrem vierten Album Blick auf die Alpen (Wohnzimmer Rec), aufgenommen im Studio der Wiener Symphoniker, drechselt das Quartett um „Austrofred“ Franz Adrian Wenzl wieder Pop im Rockrock, der unterhält und intellektuell nicht unterfordert. Mit nicht wenig Ironie und singulären Texten kämpft Wenzl (in der Rolle eines weiblichen Teenagers) etwa gegen „Weinkrämpfe“ (ein Mitgröhlsong!), Rinderhälften zu Discounterpreisen oder das frühe Aufstehen im Arbeitsalltag. Und für Kreisky-Verhältnisse ist das Album „unsere Musicalplatte“ (Wenzl) geworden, im Sound wesentlich verspielter, ausgeklügelter und softer als die eher brachialen Vorgänger. Mehr Beobachtung als Anklage in den referenziellen Texten (Frank in „Wir Unterhaltenen“?), die der freien Assoziation ein weites Feld eröffnen. Mit ihrem sturen Blick auf die Alpen werden sich Kreisky neues Publikum erschließen können, ohne dabei an Prägnanz zu verlieren.
In Sachen unerbittlicher Härte im Sound hat das Soloprojekt eines gewissen D. aus Australien, Woods Of Desolation, mit As the Stars nicht nachgelassen. Das ist aber im Black Metal sowieso unüblich. Dem unvorbereiteten Hörer wird hier nämlich gewaltig eingeschenkt: abgesehen von kleinen Verschnaufpausen zu Beginn mit Gitarrengezupfe dieser akustischen Streubomben brettern die sieben Monstertracks gnadenlos mit mächtigen Gitarrenwänden, einem dicht geknüpften Teppich aus Metal-Riffs und Schlagwerk aus der Folterkammer ihrem bitteren Ende entgegen. Wenn man genauer hinhört kann man auch die „Gesangsstimme“ eines gewissen Old ausmachen, die extrem angefressen und geladen klingt. Old wurde diesmal nach den Herren Desolate und Sorrow ans Mikro geladen. Die Gengre-Eigenheiten des Blackgaze mögen verwundern, so abschreckend wie vielleicht vermutet ist dieses Album wegen durchaus vorhandener Melodien, atmosphärischer Dichte und einer extremen emotionalen Wucht, nicht. Ein hoher Testosteron-Spiegel ist aber beim Eintauchen in diese Symbiose aus Verzweiflung, brachialer Urgewalt und avancierten Sounds kein Nachteil.
Auf andere Art radikal sind Avey Tares Slasher Flicks mit Enter The Slasher House (Domino Records). Neben Panda Bear ist Avey Tare Second Mastermind der grandiosen Animal Collective, der sich hier mit Angel Deraddorian von den Dirty Projectors und Jeremy Hyman (Ex-Drummer von Ponytail) zu den Slasher Flicks zusammentut. Deren Kompromisslosigkeit liegt im hemmungslosen Experiment, mit dem die Grenzen des Post-Psychodelic neu vermessen werden. Das ist nicht unanstrengend, beeindruckt aber mit seiner Scheiß-mich-nix-Haltung. An so was lapidares wie Markt dürfte hier kaum gedacht werden. Das Album ist eine musikalische Referenz an die Midnight Movies der New Yorker Trash-Kinos in den späten 1970ern (am Promofoto sind die drei Science-Fiction-Horrorfiguren), die sich in Soundscapes im Geiste des Garagepunk mit jeder Menge Blubbern, maximaler Verfremdung und Dekonstruktion manifestiert. Zitate, wohin man auch hört (Kraftwerk z.B.) und vieles, das angerissen und nicht weitergeführt wird. Als „von der Geste her Jazz“ bezeichnet Tare diesen Arbeitsgestus, der mit „Little Fang“ immerhin auch einen richtigen Song gebiert, in dessen Video ein Pelztierchen einen VW-Käfer durch eine Spiegelkabinett-Welt lenkt. Freak out!
Etwas freaky ist auch das dänische Quintett Scarlet Chives, das mit This Is Protection (Siluh Records) ihr zweites Album veröffentlicht. Auffällig geworden ist die Truppe, deren Zentrum die Sängerin Maria Holm Mortensen ist, unlängst mit dem Video zum Stück „The Timber Will Fall“, in dem sich zwei Frauen drei Männer wie Tiere halten. Wegen der bruitistischen Körperlichkeit gibt´s auf YouTube nur eine zensierte Version davon, was aber lachhaft ist, verglichen mit dem, was sonst so im Web unterwegs ist. Aber bitte, auch das generiert Aufmerksamkeit, Scarlett Chives hätten das mit ihrem tauglichen, düsteren Dreampop aber gar nicht nötig. Der zum Teil in frappanter Björk-Nähe angesiedelte Gesang in Kombination mit Gothic-Synthflächen und Shoegazer-Gitarren ist catchy genug. Dazu ein kerniger Bass, etwas Akustik-Geschrammel und mächtige Beats, was eine entrückte Science-Fiction-Atmo erzeugt. Über Albumdistanz gibt’s gewisse Längen, doch „Eyes Go Dim“ am Ende strahlt.
Zensur-Firlefanz schon überhaupt nicht nötig hat der hochbegabte Owen Pallett. Bekannt geworden ist der Kanadier als Violine-Support von Arcade Fire und unter dem Signet Final Fantasy, das seit einigen Jahren wegen rechtlicher Troubles Geschichte ist. Auf seinem zweiten Album In Conflict (Domino Records) als O.P. folgt der Umtriebige (Hidden Cameras, Picastro, Franz Ferdinand etc.) konsequent seiner Chamberpop-Vision an der Schnittstelle Elektropop und Rock- und Folksignaturen, wofür er sich väterliche Unterstützung von keinem Geringeren als Brian Eno, der Backing Vocals und Gitarre einbringt, geholt hat. „Im positiven Sinn Annäherungen an den Wahnsinn“ seien seine aktuellen Songwriter-Stücke, die im Sound durchaus zugänglich einen Popentwurf in der Tradition von beispielsweise Steve Reich dabei jedoch immer ernste Inhalte wie Sucht, Depression, oder die den offen homosexuell Lebenden Owen besonders betreffenden Gender Troubles. Der Titelsong könnte sich zu einem hartnäckigen Ohrwurm entwickeln, dem man gern Asyl gibt. In seiner brillanten Aufnahme schreit In Conflict geradezu nach Headphones. Extravagant, allemal.