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FAQ33 Music Selection

Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Warner Music

Vor dem Hintergrund des kreativen Outputs des Mannes ist es kaum zu glauben, dass Paul Weller erst 57 ist. Mit The Jam und The Style Council schrieb er Popgeschichte, und sein Katalog als Soloartist wuchert ungebremst. Dazu sieht Weller trotz nicht nur gesunder Gewohnheiten blendend aus. Nach dem etwas blassen Sonic Kicks (2012) gelingt dem Modfather mit Saturns Pattern wieder ein in voller Länge überzeugender Songzyklus. Weller muss bei den Aufnahmen vor Inspiration nur so gesprudelt haben, werden doch in der Melange aus Space- und Glam-Rock mit jeder Menge elektronischer Spielereien Ideen oft nur angerissen, um den Songs gleich wieder eine andere Wendung zu geben. Auf den rumpelnden Einstieg des Titelstücks „White Sky“ folgt das balladeske „Going My Way“, das gekonnt den Stereoeffekt ausspielt und in Erinnerung ruft, welch leiwande Stimme der Mann hat. Mit „This City Streets“ am Ende gelingt der Band ein gut acht Minuten lange Meditation, in der man sich den Angry Old Man als geläuterte Seele (Soul!) gut mit sich und der Welt im Einklang vorstellen kann. Von Weller und trotzdem oder eben deshalb nicht für Wellness-Oasen geeignet. „You’ve still Got A Way To go“ – ganz genau.

Auf so hintergründige Zeilen verzichtet der als Volker Bertelmann geborene Piano-Erweiterungskünstler Hauschka, er kommt ganz ohne Worte aus. Seit gut zehn Jahren veröffentlicht Hauschka Alben mit Musik vom präparierten Klavier, angeblich ohne davor jemals etwas von John Cage gehört zu haben. Jedenfalls verfügt er über eine solide Klavierausbildung als Basis für seine Explorationen in den Bauch des Pianos. So entstanden im Lauf der Jahre Alben wie zuletzt Abandoned City (2014), auf denen sich ein eigenwilliger Sound als Trademark manifestiert. Das vorliegende, in Japan in einem Museum live aufgenommene 2.11.14 bringt Hauschka abseits der Livekonzerte als mehr oder minder improvisierenden Musiker auf limitiertem Vinyl zu Gehör. Es sind zwei gut 20 Minuten lange Stücke, die sich lose an Motiven von Abandoned City orientieren, die mithilfe von Elektronik in exzellentem Sound eine gute Vorstellung von einer erstaunlich perkussiven (der Klavierhammer wird zur Bassdrum modifiziert) Hauschka-Performance vermitteln. Esoterische Sphären werden dabei ausgespart und es ist vergnüglich, sich beim hören die gerade angewandten Manipulationen vorzustellen.

Völlig anderen Sound als Hauschka produziert der gebürtige Tiroler und Wahl-Londoner Manu Delago. Der bei Björk und weiteren internationalen Kapazundern als Hang-Spieler und Drummer gut gebuchte Virtuose betreibt als ureigene Projekte Manu Delago Handmade und das Bassklarinette/Hang-Duo Living Room. Mit Manu Delago Handmade wird dieser Tage Silver Kobalt, ein Album das sich  einfacher Etikettierung entzieht, veröffentlicht. Delago, der auch als Komponist und Songwriter agiert, ist mit Silver Kobalt eine wunderbare, auf schwer fassbare Art geheimnisvolle Songsammlung geglückt, die einen zunächst nur staunen lässt. Mit prominenter Beteiligung popfremder Instrumente wie dem Fagott und diverser Gesangsgäste (Isa Kurz, Anil Sebastian, Rahel) entstanden durchaus komplexe, zwischen allen stilistischen Stühlen sitzende Stücke, die in ihrem Variantenreichtum zwischen filigran und ausgelassenem Beatsfeuerwerk für sich einnehmen. Songs, überraschend wie der Inhalt der Tasche von Mary Poppins.

Dieses Maß an Überraschung erreicht das blutjunge Duo Leyya aus Eferding nicht ganz. Mit dem Song „Superego“ und FM4-Rotation sind sie dem totalen Geheimtipstatus flott entwachsen und werden ihr Album Spanish Disco beim Wiener Popfest und beim Donauinselfest präsentieren. Leeya sind Sophie Lindinger (voc.) und Marco Kleebauer (Electronics), die auf ihrem Debüt in voller Länge einen Sound, der in den 1990ern das hilflose Etikett TripHop bekommen hat, aktualisiert in die Gegenwart katapultieren. Zwischen Song und Track changieren die13 Stücke, die nie simpel daherkommen mit ihren teils housigen Beats und beeindruckendem Sounddesign. Wenn schon ein Label gefunden werden muss, würde ich das als Shoegaze-Electro titulieren, der – mit dem massiven Reverb auf der Stimme – seine Ahnen aus Bristol, Massiv Attack, Portishead und noch stärker Tricky (mit Martina Topley-Bird) nicht verleugnen kann, und vermutlich gar nicht will. Live wird  Leyyas Stücken ein rockigeres Mäntelchen umgehängt. Spanish Disco, dessen Sound auch international auf Augenhöhe dasteht, ist mehr als nur eine Talentprobe.

Talentproben braucht der Allman Brothers-, Gov’t Mule- und Greatful Dead-Veteran Warren Haynes keine abzulegen. Mit den genannten und anderen Formationen hat der 57-jährige dem klassischen (Blues)-Rock mit hohem Jam-Anteil gefrönt, sein drittes Soloalbum Ashes &Dust zeigt eine andere Seite des Vokalisten und Gitarreros. Es sind Songs, die Haynes schon lange mit sich herumgetragen hat, eher ruhige Stücke in Folktradition mit viel Fingerpicking, Banjo und Fiddel, die einen reflektieren und abgeklärten Mann präsentieren. Support bekommt Haynes dabei unter anderen von der Americanaband Railroad Earth und Grace Potter, die das berührende „Angel Dust Woman“ mit ihm intoniert. Ashes &Dust ist eher ein Fall für Oldie- und Countryradios, trotzdem schwer okay.

Der italienische Ausnahmekomponist Ludovico Einaudi sieht sich selbst gern in der minimalistischen Tradition von Steve Reich und Philipp Glass, sein Taranta Projekt geht stilistisch jedoch weit darüber hinaus. Auf Basis der süditalienischen Folklore der Taranta komponiert Einaudi eine atemberaubendes, hybrides Musikstück, das die Zuhörerschaft in seiner rhythmischen Ausgelassenheit geradezu auf den Dancefloor zwingt. Orchester/Rockgitarre/Gesang ergeben nicht, wie man befürchten könnte, abgeschmackten Klassikrock, sondern einen dramatischen Wirbelsturm, dem im Stück „Preludio/Nar I-Seher“ vom türkischstämmigen Multiinstrumentalisten Mercan Dede gar eine Prise Sufi-Ekstase beigemengt wird. Taranta Project, das aus Live- und Studioaufnahmen besteht, ist Weltmusik, welche die schlichten Vorlagen aus der Volksmusik mit ihrem grellen Gesang in einen neuen Kontext setzt und damit auf animierende Weise die Taranta einem internationalen Publikum näherbringt.

   

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