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FAQ35 Music Selection

Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Press
“Sir” Oliver Mally © Anne Sophie Unger

Mit dem Album Tourist (2000), und noch mehr mit Boulevard (1995), hat Ludovic Navarre, der mit wechselnden Mitstreitern die Band St Germain verkörpert, Elektro/House-Geschichte geschrieben. Doch was beatmäßig 1995 innovativ und 2000 schon hart am Mainstream war, ist 2015 eher eine musikalische Schnarchsocke, wozu auch passt, dass der Mann die letzten 15 Jahre so gut wie vom Erdboden verschluckt war. Mit dem aktuellen, schlicht St Germain betitelten Album holt sich Navarre sowohl Vocal- als auch Instrumental-Support aus Afrika, was der Produktion (zumindest im Genre World Music) doch eine gewisse Relevanz verleiht. Nach dem Jazz nimmt sich Navarre diesmal den Blues vor, dem auf unorthodoxe Weise gleich im Opener „Real Blues“ mit einem durchgekneteten Vocalsample von Lightnin’ Hopkins gehuldigt wird. Blues wird hier weniger als kompositorische Form denn als thematische Klammer verstanden, wenn auch zwangsläufig unklar bleibt, wovon da mit beeindruckenden Stimmen in afrikanischen Sprachen gesungen wird. Der Einsatz der afrikanischen Instrumente Balofon, Kora und N’Goni (aus Mali) gibt den Stücken eine originäre Koloratur, was aber in voller Länge gehört leider Tapetencharakter annimmt. Als Soundtrack im schicken Nachmittagsclub eignet sich St Germain perfekt, was die allzu soften Beats betrifft, hat Navarra den Anschluss verloren. Oder ist das schon bewusst Retro?

Auf andere Art retro ist Lana Del Rey (LDR). Etwa in der Farbigkeit des Covers von Honeymoon ist sie aktuell bei einem ausgebleichten Siebzigerjahrebunt angekommen. Oder beim reaktionären Frauenbild, das die Kunstfigur LDR transportiert. Ein wenig Licht in die dunkle, bedeutungslose Existenz der Frau kann nur die pathologisch hochgejazzte Liebe zu einem Mann bringen, der sich solcher Zuneigung nur unwürdig erweisen kann, ja fast muss. Wird dieses Szenario immer wieder durchgespielt, führt das zu Leid und tiefer Traurigkeit der Frau. Bei LDR hört die musikalische Ausformung (fast nur) dieses Themas auf den Namen Sadcore, die schwere, elegische Cinemascopegeschütze auffährt. Auf nicht knickrigen 65 Minuten, verteilt auf 14 Stücke, denen etwas Abwechslung nicht geschadet hätte, wird mit jeder Menge Hall auf der mit beeindruckendem Tonumfang ausgestatteten Stimme diese Traurigkeit geradezu zelebriert. Herausragend aus dem Einerlei des Pathos-Pops sind genau die zwei Stücke, bei denen auf Fremdmaterial zurückgegriffen wird: Ein mehr als würdiges Cover von Nina Simones „Please Don’t Let Me Be Misunderstood“, sowie eine leider nur 80 Sekunden lange Verschnaufpause in der Mitte mit einem Rezitativ von T.S. Elliot, das mit tollen Sounds unterfüttert wird.

Auf wiederum andere Weise etwas mühsam (geworden) sind die Schwestern Sierra und Bianca Cassady, besser bekannt als CocoRosie. Auf Heartache City, ihrem sechsten Album, setzen die Sisters ihren Weg zurück zu ihren Anfängen fort: Mit La maison de mon rêve (2004) war das frankophile Duo im Kontext des New Weird America genannten Movements, gepusht von Antony Hegarty, aufgetaucht. Angesiedelt zwischen Kinderlied und Queer-Performance einer singenden und einer rezitierenden Schwester produzierten sie spannende, eigenwillige Platten. Mit der aktuellen jedoch schließt sich ein Kreis und sie beginnen, sich zu wiederholen. Als Clowns mit Schmollmund greifen sie verstärkt auf Analoges wie Blockflöte oder Glockenspiel und kaputtes Kinderspielzeug zurück und tappen damit in die Falle der Vorhersehbarkeit, die auch für ihr bizarres kostümiertes Auftreten zuschnappt. Der einzige Song, der spontan hängebleibt, ist „Lost Girls“ mit Intensität und einem catchy Refrain. Der Rest eiert eher ohne Zug zum Tor vor sich hin.

Einen massiven Kurswechsel hingegen hat Lambchop-Vorstand Kurt Wagner mit dem Projekt HeCTA und dem Album The Diet vollzogen. „It’s not Americana, house, techno, trap, juke, or blaze“ sagt der Pressetext. Nona, will Wagner doch mit seinen Lambchop-Mitstreitern Ryan Norris und Scott Martin Songwriting meets Electronics praktizieren. Mit Hands Off Cuba und der CoLAB EP startete Wagner bereits 2005 ein ähnliches Unterfangen. Support kam bei HeCTA noch von John McEntire und Morgan Geist. Die neun Stücke von The Diet sind gewöhnungsbedürftig, was nicht negativ gemeint ist. Man wirft Musikern/Bands ja gerne vor, sie würden auf der Stelle treten, bei HeCTA zieht das nicht. Wagners warme, markante Stimme findet sich jedoch nicht immer gut mit der Elektronik zusammen. Erster Earcatcher ist der vorab veröffentlichte, pulsierende Track „The Concept“, auch „Change Is In Our Pocket“ und „Sympathy for The Auto Industry“ wissen mit ihren gewitzten Headline-Lyrics zu gefallen. Insgesamt hört man dem Album aber an, dass es ein Experiment und damit (nur) ein Stück des Weges des Neocountry-Stars ist, was aber auch respektabel ist.

Mehr als respektabel ist auch der musikalische Output des Contemporary-Blues (Eigendefinition)-Singer/Songwriters „Sir“ Oliver Mally. Mit Shapeshifter veröffentlicht der Mann von der südsteirischen Weinstraße sein vierundzwanzigstes Album (inkl. der Blues Destillerie und diversen Kooperationen) in Zusammenarbeit mit dem Multiinstrumentalisten Martin Moro. Dass Mally international unterwegs ist, verrät das gänzlich englischsprachig gehaltene Cover. In Österreich kann man den Blues zwar haben, seine musikalische Manifestation findet dieser aber auf der ganzen Welt, durch die der „Sir“ auch emsig tourt. Die acht Songs von Shapeshifter sind luftige, durchaus traditionelle Songs, in denen der (wenn es nach den Texten geht) Gelegenheitstrinker mit der angenehm aufgerauten Stimme fast symbiotisch mit der Klampfe verschmilzt. Die virtuos gezupfte Gitarre geleitet den Mann mit dem stilsicheren Backenbart thematisch durch die Ups & Downs einer Existenz als Blueser (Unterwegs-Sein, Saufen, der Teufel, die Liebe…) und sogar Ironie findet Einzug („You Can’t Beat The Devil“). Die beeindruckende Coverversion von „Marie“ (Towns Van Zandt) macht erst recht bewusst, welch großer Songschreiber „Sir“ Oliver himself ist. 

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