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FAQ37 Music Selection

Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Press
Noiserv

Andy Warhol ist die erste Assoziation beim Betrachten des Covers von Be Sensational, dem Debütalbum der Französin Jeanne Added. Ob es sich um eine bewusste Referenz handelt, ist nicht bekannt, das verfremdete Porträt der 35-jährigen sieht Warhol, zumindest auf den ersten Blick, zum verwechseln ähnlich. Die schlanke Triobesetzung der Band kommt ohne Gitarre aus, zumindest ohne die mit den sechs Saiten. Dafür übernimmt die Bassgitarre einen maßgeblichen Part. Ansonsten baut das Album der studierten Jazzsängerin komplett auf Electronics, und startet gleich mit dem Schlüsselstück „A War Is Coming“, einem klaren Statement zur politischen Weltlage. „A War Is Coming / And We Stuck Here / Here With Our Mini Pains / With Our Little Tears“ deklamiert Added zu mächtigem Bass und Elektromarsch. In erstaunlich akzentfreiem Englisch singt Added sich als eine Art aktualisierte Anne Clark durch zehn Songs, die zwischen den Polen kraftvoll-kantig und ruhig-balladesk („Look At Them“, „Be Sensational“) changieren. Dabei erinnert sie mit ihrem Songwriting 2.0 auch an Patti Smith, und sogar an eine aufgeräumte Nico in ihrer Spätphase.

Schwer elektronisch ist auch der House-Pop des österreichischen Duos Ogris Debris. Das seit gut zehn Jahren bestehende Produzentenduo Gregor Ladenhauf und Daniel Kohlmeigner veröffentlichen nach jeder Menge EPs ihre erste Produktion auf Albumlänge. Constant Spring heißt der zwölf Tracks lange Ausflug in die Gefilde des druckvollen House mit nicht geringem Pop-Appeal. Mit dem lautmalerischen Stück „Miezekatze“ (2010) wurde das Duo bereits über die einschlägigen Kreise hinaus bekannt, für das Album wurde ein neuer Mix produziert. Mit seinen markanten Vocals und einem untrüglichen Gespür für Hooklines spannt Constant Spring ein akustisches Panorama von reinem House („Giant Steps“) über Techno in „Midnight“, rauen Funk in der Vorab-Single „See The World“, bis zu Dancepop in „Brainfreeze“ auf. Da wird der Aal wieder steppen.

Mit Troy Von Balthasar landen wir im Gehege der Gitarrenmusik, oder besser gesagt in die Sparte LoFi-Pop. Der Mann hat schon eine lange musikalische Karriere hinter sich: Mit der in Hawaii gegründeten Band Chokebore war er nicht nur als Support von Nirvana bei deren letzten Shows 1994 dabei, sondern er soll auch maßgeblich für den Genrebegriff Sadcore verantwortlich sein. Chokebore machten ab 2003 eine Pause auf unbestimmte Zeit, TvB reiste um die Welt und begleitete 2007 Tocotronic auf Tour. Knights of Something ist Troys bereits viertes Soloalbum, aufgenommen unter schwierigen Umständen in seinem Zweitwohnsitz Berlin. Entstanden sind dabei dreizehn somnambule Stücke, die ein wenig an den 2010 tragisch zu Tode gekommenen Mark Linkous alias Sparklehorse erinnern. Insgesamt eher ruhig gehaltene Songs wechseln zwischen karg und stärker elektronisch aufgeladenen. Gemeinsam ist allen eine bittersüße Note. Am 24. Mai wird TvB das Album im Wiener rhiz präsentieren.

Also verpackungstechnisch macht das Album Almost Visible Orchestra (A.V.O.) von Noiserv was her, da wurde echt Aufwand betrieben. Der bei uns noch kaum bekannte David Santos alias Noiserv aus Lissabon stand bereits mit internationalen Cracks wie Arcade Fire oder Portishead auf einer Bühne und ist vor allem im romanischen Sprachraum eine popkulturelle Größe. A.V.O. vereint dreizehn relativ zarte Songs, gesungen mit warmer Stimme und in makellosem Englisch, instrumentiert mit Akustikgitarre und Electronics. Santos’ Ambitionen gehen klar in Richtung Yann Thiersen oder auch Sufjan Stevens, doch irgendwie ist A.V.O. ein wenig zu glatt geraten. Deshalb bleibt bei den ersten Durchläufen auch kaum was hängen. Da hätten ein paar Ecken und Kanten schon ganz gut getan, um akustische Anker zu setzen. Vielleicht sollte man Noiserv auch nur mal live erleben. Als Soundtrack für die Grillsaison eignet sich A.V.O. aber ohne Einschränkung und das ist nicht Nichts. Ihre Gäste werden dieses Album lieben.

Bezüglich Prägnanz ist der schon lange als (inzwischen Ex-)Verleger und als Autor bekannte Alfred Goubran als Singer/Songwriter schon ein anderes Kaliber. Nach einer EP und dem Debüt Die Glut (2014) folgt jetzt Irrlicht. [Goubran] – so schreibt er sich als Musiker – hat mit Lukas Lauermann am Cello und zwei Gastgitarristen instrumental aufgestockt, den produzierenden Multiinstrumentalisten gibt wieder Stefan Deisenberger. Mit beeindruckend kehliger Stimme singt Goubran zehn Stücke, angesiedelt zwischen Blues und Rock der kantigeren Art, die bestimmt keine gute Laune machen. „Ich hab mich nicht verlaufen / weiß nur nicht wo ich bin / ein Fremder unter Fremden / die ihrer Wege gehen“ singt er zu dunkler Soundkulisse am Beginn des Titelsongs und gibt damit schon die Verlorenheit des Einzelnen in einer feindlichen Welt als eines der zentralen Themen vor. Vergänglichkeit, Gewalt, Weltschmerz und „die da oben“ sind weitere zeitlose besungene Topoi. In den hervorragenden Texten ist Irrlicht manchmal nahe am Defätismus, aber nie in der Resignation. Dafür ist dann doch zu viel Wut und Grant in Goubrans Stimme, wenn er etwa in „GPS-Blues“ gegen alles mögliche ansingt. Neben den rumpelnden, bluesigen Songs gelingen Goubran aber auch sinistre, zu Herzen gehende Gassenhauer wie „Captain Thomas“ oder das fast kammermusikalische „Der Tod der schönsten Stunde“. Dieses Album hätte zum großen Teil schon vor Jahrzehnten entstehen können, was seine Relevanz nicht mindert. Eher im Gegenteil.

Ein nicht ganz so großer Wurf ist hingegen Night Moves von den amerikanischen Pennied Days. Vom Trio wieder zum Duo geschrumpft machen die High-School-Freunde John Pelant und Mickey Alfano dort weiter, wo sie vor vier Jahren aufgehört haben. Bei mäßig spannendem Seventies-Rock mit Keyboardschlagseite. Zugegeben, so mancher hübsche mehrstimmige Gesangspart findet sich schon in diesen dezent im Country geerdeten Stücken. Nur stellt sich die Frage, wer außer bekifften 15-jährigen aus den amerikanischen Südstaaten sich diesen Bombastrock anhören soll? Megamelodram fast in jedem Stück kann auch zu viel werden! Mit etwas Fingerspitzengefühl sollte einen aber sowieso schon das unfassbar hässliche Coverbild à la Mittelerde abschrecken. Wer weiß, welch halluzinogene Substanzen da noch im Spiel sind? Eine Europa-Tour der Pennied Days ist in näherer Zukunft zum Glück nicht geplant.

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