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FAQ38 Music Selection

Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Press
The Last Shadow Puppets, Everything You’ve Come To Expect (Domino)

2008 kamen die beiden jungen Männer Alex Turner und Miles Kane aus dem Nichts mit ihrem Projekt The Last Shadow Puppets und dem Albumdebüt The Age Of Understatement um die Ecke, das aller Ortens aufhorchen ließ. Turner hatte zu der Zeit die kometenhaft aufsteigenden Arctic Monkeys im Rennen, Kane die nicht ganz so erfolgreichen Rascals. Die Monkeys bestehen nach wie vor (sie eroberten sogar die USA), während sich die Rascals auflösten. Man wähnte auch die Puppets entschlafen, ein Fehler wie sich herausstellt. Mit Everything You’ve Come to Expect liefern Turner und Miles nach acht Jahren einen 12 Stücke umfassenden Zyklus, der dem Erstling um nichts nachsteht. Die Stimmen der beiden sind zum Vorteil gereift und eingebettet in einen federnden Sixties/Seventies-Retrosound, der mit den Streicher-Arrangements von Owen Pallett in praktisch jedem Song hochwertige Easy-Listening-Luft atmet. Eine Prise Ennio Morricone setzt theatralische Akzente und Alex Turner klingt in manchen Passagen fast wie Morrissey. Anspieltips: „Dracula Teeth“ mit seinem knackigen Bass sowie „Sweet Dreams“, das einem David-Lynch-Sountrack entlehnt sein könnte.

Ebenfalls ein Duo bilden die niederländischen Songwriter Geert van der Velde und Thijs Kuijken. Der neue Bandname Black Oak wurde dabei aus van der Veldes Band (The Black Atlantic) und der von Kuijken (I Am Oak) extrahiert. Equinox ist das erste Album von Black Oak, auf dem sich durch das Zusammenführen beider Männer Stärken ein eindrucksvoller Synergie-Effekt ergibt: Die elf Songs sind angenehm unpathetisch geraten, wenn auch die großen Themen verhandelt werden. „When The Night Is All I See“ und „Hunker“ etwa widmen sich nichts Geringerem als dem Sinn des Lebens, den Status der gesamten Menschheit verhandeln „The Grain“ und „Rove“. Klingen tun sie mit ihrem Indie-Folk dabei wie eine gebremste, sphärische Version der Fleet Foxes, die gleichzeitig die Sehnsucht nach Harmonie befriedigt und dem Willen zur inhaltlichen Auseinandersetzung Futter gibt.

Die inhaltliche Auseinandersetzung hat sich auch bei Ex-Antony Anohni vom Individuellen zum Allgemein-politischen hin verschoben. Mit kräftiger Unterstützung der Elektroniker Hudson Mohawke und Oneohtrix Point Never ist von Antony & the Johnsons auf Hopelessness eigentlich nur die Stimme geblieben. In ein ideenreiches Feuerwerk an Beats und durchwegs düsteren Sounds singt Anohni von einer dystopischen Welt, todbringenden Drohnen („Drone Bomb Me“), dem Klimawandel („4 Degrees“), der Enttäuschung über Barack Obama (auf dessen Hope-Wahlkampfplakat der Albumtitel Bezug nimmt) und noch so manch Niederschmetterndem. Inhaltlich taugt das Album durchaus als Soundtrack zur Apokalypse. Soundästhetisch hingegen sind die elf Stücke die reinste Freude. Absolute State-of-the-Art-Elektronik verschränkt sich hier mit relevanter Message. Eines der Alben des Jahres! Mindestens.

Das in Wien ansässige Quintett Bell Etage hat schon länger nichts von sich hören lassen. Mit fishing for continents taucht die Band um „Ernesty International“ Ernst Tiefenthaler nun ebenso souverän wie unspektakulär aus der Versenkung auf. Irgendwie schaffen es Bell Etage seit je her, luftig-ungeschliffen, aber nicht zu rotzig oder allzu schwermütig zu klingen. Das mag mit Fabian Jägers Cello zusammenhängen oder auch wieder nicht. Eine äußerst bekömmliche Zusammenstellung ist es wieder geworden, die emotional von einer gewissen Traurigkeit („Carnival“) über lässige Ausgelassenheit („East Coast West Coast“) mit Bläserrock bis zum finalen, berührenden „Swim Out“ ein breites Spektrum abdeckt und nicht unwesentlich von Ernst Tiefenthalers leiwander Stimme lebt. Wenn schon nicht weltweit, dann zumindest österreichweit hätte sich fishing for continents einen vorderen Platz in den Alternativ-Charts jetzt schon verdient.

Sicher kein Anwärter für Charts jedweder Art ist das Kollektiv Melt Yourself Down mit Last Evenings On Earth. Man sollte auch nicht geschwächt in einen Durchlauf dieses Albums gehen, denn – sagen wir es diplomatisch – es ist nicht ganz unanstrengend und großartig zugleich. Veröffentlicht vom verdienstvollen britischen Leaf Label wird hier gekreuzt, was scheinbar nicht zusammenpasst: Psychedelic Jazz von zwei Saxofonen wird getrieben von nordafrikanischen Rhythmen, funky Basslinien und einer eher im Hintergrund agierenden, im heftigsten Punkstyle „singenden“ Stimme, dazu kommt Elektronik. Doch selbst in diesem teils Postpunk-Abrissbirnen-Sound gibt es kleine Inseln zur Erholung, wie das schaumgebremste „Jump The Fire“. Als Verbindungslinien in die Pophistorie könnte man in diesem Fall Mark Stewart mit seiner Pop Group oder auch die Asian Dub Foundation gelten lassen. Wenn sie einen schwelenden Konflikt mit ihrem Nachbarn eskalieren lassen wollen, spielen Sie am besten Last Evenings On Earth extrem laut mit aktivierter Repeatfunktion, Sie müssen ja selbst nicht zuhause sein.

Wesentlich leichter durchzuhalten ist The Colour in Anything, das dritte Album des britischen Wunderkinds James Blake, obwohl es mehr als doppelt so lange dauert. Der inzwischen 27-jährige hat für zwei Stücke Frank Ocean als Co-Songwriter angeheuert, Co-produziert hat kein geringerer als Rick Rubin. In Interviews spricht Blake davon, dass er sich in den letzten Jahren fast die Birne weggekifft hätte, der Song „Put That Away And Talk To Me“ soll sich darauf beziehen. Es kann dem Album nicht sonderlich geschadet haben, bei fast majestätischen Stücken wie „I Need A Forest Fire“, das er mit Justin Vernon (Bon Iver) im Duett singt, oder der Single-Auskoppelung „Radio Silence“, die sich in der Repetition immer stärker zu verdichten scheint. Blakes zarter, falsettiger Gesang wird von manchem Musikjournalisten („Wimmerkunst“, meinte etwa „Der Standard“) heruntergemacht, was man wohl nur einem antiquierten Männlichkeitsbild zuschreiben kann. Blake macht im besten Sinn sensible, ergreifende Autotune-Songs, die sich zu ganz später Stunde sogar wieder für den Club eignen. 

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