Nur drei Jahre nach seinem letzten, als kreative Wiedergeburt gefeierten Album „World Peace is none of Your Business“, legt der größte Querkopf Manchesters mit „Low In High School“ (BMG) nach. Schon auf dem Cover verabreicht Morrissey, der seit längerem in Los Angeles lebt, seinem Heimatland mit dem Slogan „Axe the Monarchy“ eine Abreibung, aber es wäre nicht Morrissey, wenn er sich nur mit Großbritannien auseinandersetzen würde. Der Charakterkopf, dem man unendliche Wehleidigkeit, Egomanie, Unnachgiebigkeit und zumindest zweifelhafte öffentliche Kommentare jederzeit vorwerfen kann, hat nichts von seiner Originalität verloren. Bei Songtiteln wie „The Girl from Tel Aviv Who Wouldn’t Kneel“ oder der abschließenden Ballade „Israel“ hätte Morrissey in viele Fettnäpfe steigen können, aber in seinen Songs bleibt er ein Künstler ohne Brett vor dem Kopf – und hält auch Dauerkonflikten seine ureigene Romantik entgegen. Dass er als alternder Dandy auch seine Pausen braucht, lässt er uns in seiner Ode an die Faulheit, „Spend the Day in Bed“, wissen. Und hat damit natürlich den Applaus auf seiner Seite. Musikalisch vertraut er endlich auf seine Stimme und lässt sich auffallend oft vom Piano begleiten. So wird 2017 ein Jahr, das Morrissey mit einem mittleren Triumph abschließt.
Triumphe feiert Joe Henry vor allem im Stillen. Der Produzent verpasst jedem Künstler, der sich auf ihn einlässt, einen Sound, der die Songs, die Stimmen und die Atmosphären noch besser machen, als sie ohnehin schon sind. Er lieferte in Zusammenarbeit mit Solomon Burke, Ramblin’ Jack Elliott oder Allen Toussaint tolle Arbeiten ab und bewies heuer auch mit „Dorado“, der am besten klingenden Platte des Jahres von Son of the Velvet Rat seine Ausnahmetalent. Im Gegensatz dazu steht er als Songwriter und Solokünstler eher für sperrige Songs, die sich ihre Zeit nehmen und dem Hörer auch nicht sofort ins Gesicht hüpfen. Dafür kann dann die Belohnung umso reicher ausfallen. Die Songs auf „Thrum“ (e.a-r music) machen da keine Ausnahme, sie hüten ihre Rätsel gut und faszinieren doch. Die Stimmungen und Nuancen bleiben hängen. Ganz zum Schluss lässt er sich mit dem Walzer „Keep US In Song“ noch zu einer Ode an die Musik hinreißen und vertraut ganz dem Dreivierteltakt.
„Screen Memories“ (Ribbon Music) ist nach längerer Schaffenspause wieder ein Lebenszeichen des Elektronikbastlers John Maus aus Minnesota. Nach Abschluss seines Studiums vergrub er sich wieder in seinem Studio und nahm alle Songs im Alleingang auf. Das wäre eine gute Ausgangsposition für ein einmaliges persönliches Statement, das Grenzen zu sprengen versucht und Vorbildern und Vorgängern die lange Nase zeigt. Aber irgendwann dürfte sich Maus in den Sound von Jean-Michel Jarres Millionenseller „Oxygene“ verliebt haben. So taucht diese Blaupause und teilweise auch noch Melodiefetzen daraus an ziemlich vielen Ecken auf. „Screen Memories“ wird dadurch zu einer Verneigung vor den Elektronikvorvätern der Siebziger. Leider können auch die Songs den Karren nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Es bleibt zu hoffen, dass er für das nächste Album die Sparks entdeckt, denn deren Werk würde wesentlich abwechslungsreichere Inspiration für den Nachgeborenen Maus liefern.
Kommen wir vom flachen Minnesota ins ebenfalls nicht unbedingt gebirgige Burgenland. Thomas Pronai gönnt seinen Broken Hearts eine Pause und spielte „Ready for the Country“ (Container Recordings) nur mit punktueller Unterstützung einiger Freunde ein. Auf jeder seiner Platten schafft es Bo Candy einen Song unterzubringen, der in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit zumindest das Zeug zum Klassiker hätte. Auf dem Debüt war das „I Lost My Faith in You“, ein Lied, das leider für Johnny Cash zu spät kam, aber nach einer Hundertschaft von Coverversionen schreit. Auf dem zweiten Album folgte das einzige bekannte Liebeslied an seine Feinde: „Until the End“. Hier setzt er den Reigen würdig mit dem zarten „Aligned“ fort, und weil man eigenen Klassikern auch fremde gegenüberstellen kann, überrascht uns Bo Candy mit einer Breitbandversion des Titelsongs aus der Feder von Neil Young. Die Pedal Steel von Markus Mayrhofer jubelt vor sich hin und man kann sich blendend vorstellen, wie die Musiker mit dem Chef in der Mitte im Burgenland in den Sonnenuntergang reiten und zufrieden lächeln. Diese Platte macht ihnen garantiert niemand mehr streitig.
Es gibt nur eine Richtung, und das ist vorwärts. So lautet die Devise von Ash My Love. Auf dem zweiten Album „Money“ (Noiseappeal) huldigt das Duo dem dreckigen Blues und frühen Rock’n’Roll und versucht dabei, die alten Formen nicht zu ändern, sondern ihnen mit ihrer Energie wieder neues Leben zu geben. Das gelingt famos, kein Song geht über vier Minuten und die Einfachheit ist hier der Schlüssel zum Erfolg. Der Blues gehört der Welt und seine Seele kann man auch an der Kreuzung der Burggasse mit dem Neubaugürtel verkaufen.
Verkauft haben sich Calexico definitiv nie. Das – zum ersten Mal – in Kalifornien aufgeno-mmene „The Thread That Keeps Us“ (City Slang) erscheint im Jänner. Sofort fällt auf, dass sich die Vorsteher Joey Burns und John Convertino beinahe von den für diese Band so typi-schen Mariachi-Bläsersetzen verabschiedet haben und sich stattdessen auf eine Reise durch Kalifornien begeben. Sie greifen die spanischen Wurzeln ebenso auf, wie die Sounds der Heroen der Sechziger und Siebziger in und um Los Angeles. So könnte ein Song wie „The Town and Miss Lorraine“ locker aus der Feder von Harry Nilsson stammen. Vor allem aber erzählen sie Geschichten von Einwohnern, die abgesehen vom endlosen Sommer nicht mehr viel verbindet. Calexico haben den Mut, auf ihrem mittlerweile neunten Album neue Wege zu gehen –und schlagen sich so klar auf die Gewinnerseite.