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faqtory – Film

© Magdalena Blaszczuk

Lebensentwürfe

Text – Oliver Stangl

Bereits im Bereich des Kurzfilms zog die 1979 in Graz geborene, in Wien arbeitende Johanna Moder einiges an Aufmerksamkeit auf sich: In Her mit dem schönen Leben (2007) erzählt sie einfühlsam von der 16-jährigen Jessica, die von der Entlassung ihres Vaters aus der Bahn geworfen wird, ein Ventil für ihre angestauten Aggressionen sucht und in einer Schulkollegin eine Freundin und Unterstützerin findet. Beim FAK Studentenfilmfestival erhielt Moder, die ihr Ensemble aus rund 160 Jugendlichen auswählte, Preise für die Beste Regie und die Beste Produktion; der Film wurde auf arte ausgestrahlt, die DVD findet sich im Verleih von sixpackfilm. Dabei verlief der Weg zum Film für Moder nicht linear, wie sie vor einigen Jahren in einem Interview mit dem Radiosender Ö1 verriet: „Ich habe, unterstützt durch meine Mutter, in der Kindheit sehr viel gelesen und wollte zunächst in Richtung Schriftstellerei. Mit 16 begann ich dann Theater zu spielen und da gab es über das Schauspiel die erste Überlegung, Geschichten auch in Form von Bildern zu erzählen. Ich wollte aber auch mit Menschen arbeiten. So hat sich der Film schließlich als bestes Medium dafür herausgestellt.“ 2001 studierte Moder an der Filmakademie Wien Filmregie und arbeitete an zahlreichen Filmen als Regieassistentin mit.

Nun legt sie mit High Performance – Mandarinen lügen nicht (produziert von FreibeuterFilm, gefördert von ÖFI, FFW und dem Land Steiermark) ein gelungenes, tragikomisches Spielfilmdebüt vor. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Brüder Daniel (Marcel Mohab) und Rudi (Manuel Rubey), die zumindest auf den ersten Blick sehr unterschiedlich sind: Der alleinstehende Daniel, der mit seinem wirren Haar dem Typ des Bohemiens entspricht, in einer kleinen Wohnung haust und sich hauptsächlich von Tiefkühlpizza ernährt, ist freier Schauspieler im Off-Bereich. Obwohl er sich mit Nebenjobs über Wasser hält, muss er dennoch immer wieder seinen Vater (Helmut Berger) um Geld bitten. Rudi dagegen ist ein erfolgreicher Manager, der mit Businessausdrücken um sich wirft, stets wie aus dem Ei gepellt auftritt und mit Frau und Kind in einer luxuriösen Wohnung residiert. Als Rudi seinem Bruder anbietet, schnelles Geld als Performancecoach in seinem Unternehmen zu verdienen, ist Daniel zunächst ablehnend. Einerseits mag er seinen Bruder nicht besonders, andererseits will er nicht Teil des bösen kapitalistischen Systems sein. Doch Rudi insistiert und Daniel erklärt sich schließlich bereit, die IT-Mitarbeiterin Nora Windisch (Katharina Pizzera) zu coachen. Zunächst vermutet Rudi, dass er herausfinden soll, ob Nora romantische Gefühle für seinen Bruder hegt, doch Rudi will etwas anderes: Daniel soll mehr über Nora herausfinden – sprich: sie ausspionieren. Denn der schwer unter Druck stehende Rudi verdächtigt Nora, wichtige Informationen zurückzuhalten, die er für einen Geschäftsabschluss braucht. Als Daniel schließlich Gefühle für Nora entwickelt, gerät er in einen Loyalitätskonflikt. Satirisch greift Moder Themen wie Solidarität, Liebe und Selbstverwirklichung auf und stellt dabei den Einzelnen immer wieder in ein größeres Umfeld: Daniels Theaterkollektiv etwa, das in seinen Darbietungen gesellschaftskritisch auftritt, wird von inneren Spannungen zerrissen, denn Solidarität wird letztlich nur so lange großgeschrieben, bis sich die Chance zur Solokarriere ergibt – jeder ist sich selbst der Nächste. Auch die alternativen Lebensentwürfe der politisch überkorrekten, Getreide-Espresso trinkenden Hippie-Gruppe, die im selben Haus wie Daniel wohnt, sind letztlich wenig überzeugend; die im Titel vertretene Mandarine kommt bei einer Gruppensitzung zum Einsatz, die sich hinsichtlich der Probleme Daniels und Katharinas als nutzlos erweist. Möglicherweise sind einige dieser Szenen eine kleine Spur zu überzeichnet, doch gleichen die Stärken des Films die kleineren Schwächen locker aus. Moder führt ihr Ensemble gut, lässt die Dialoge schnell und auf Pointe spielen, vergisst aber nicht auf tragische Zwischentöne. Mohab überzeugt als Versager ebenso wie Rubey als Großkotz; Pizzera bringt Verletzlichkeit ebenso wie Stärke ein. Die von Robert Oberrainer geführte Kamera setzt weniger auf „große“ Bilder sondern ist unmittelbar bei den Figuren. Der Film atmet Lokalkolorit abseits von Gemeindebau und Stadtrandsiedlung, ein durchaus sympathischer Trend im jüngeren österreichischen Kino (gedreht wurde etwa im Werkzeug H in der Schönbrunnerstraße, im Sofitel in der Leopoldstadt oder im Palais Sans Souci). Somit ist High Performance ein schönes Beispiel dafür, dass gesellschaftsrelevante Filme nicht um jeden Preis nach Sozialtristesse aussehen müssen.

High Performance – Mandarinen lügen nicht

Drama/Komödie, Österreich 2014 – Regie, Drehbuch Johanna Moder

Kamera Robert Oberrainer Schnitt Karin Hammer Ton Claus Benischke, David Almeida Ribeiro Szenenbild Martin Reiter, Johanna Hierzegger Kostüm Veronika Albert

Mit Marcel Mohab, Manuel Rubey, Katharina Pizzera, Helmut Berger, Stephanie Fürstenberg

Produktion FreibeuterFilm

Verleih Thimfilm, 94 Minuten

Kinostart 28. März

Zwischen Welten


Text – Pamela Jahn

In Wien ist sie zuhause, sagt Sudabeh Mortezai, hier kennt sie sich aus. Ziemlich gut sogar. Aber von der entlegenen Flüchtlingssiedlung im Nirgendwo von Simmering hatte sie, wie so viele alteingesessene Wiener, trotzdem lange keine Ahnung. Angetrieben von einer ungestümen Neugier und dem feinen Gespür einer Dokumentarfilmerin, machte sich die heute 45-jährige iranisch-österreichische Regisseurin kurzerhand auf den Weg in den 11. Bezirk, um den versteckten Ort hinter den Wellblechmauern zu erkunden, den die Bewohner Macondo getauft haben, und mit den Menschen zu sprechen, die heute dort leben.

Doch nach zwei erfolgreichen Dokumentationen, die beide im Iran entstanden waren und sich zum einen mit Ritualen (Children of the Prophet), zum anderen mit Sexualpolitik (Im Bazar der Geschlechter) befassten, wurde Mortezai schnell klar, dass die Schicksale und Geschichten, die sie dort zu hören bekam, nach einer anderen Form des filmischen Erzählens verlangten: „Ganz unabhängig von meinem persönlichen Anspruch, einmal einen Spielfilm machen zu wollen, merkte ich schon nach den ersten Gesprächen, dass die Menschen, die ja alle sehr viel durchgemacht haben in ihrem Leben, eigentlich keine Lust hatten, noch einmal alles in einem Interview vor laufender Kamera aufzurollen. Das würde also eher eine ungesunde Distanz schaffen, und ich hatte das Gefühl, dass ich ihnen wahrscheinlich näher kommen könnte, wenn ich etwas von Innen heraus mit ihnen gemeinsam entwickeln würde, etwas Fiktionales, das ihnen die Möglichkeit gibt, Dinge von sich preiszugeben, ohne sich dabei emotional zu sehr einzubinden oder zu verausgaben.“

Faktisch gesehen ist Macondo zunächst einmal ein Ort, an dem heute über 2000 Flüchtlinge aus 22 verschiedenen Ländern leben. Den Namen hat die Siedlung, in deren Zentrum eine Kaserne aus der Monarchie steht, von chilenischen Asylanten, die in den Siebzigern vor der Diktatur Pinochets flohen. In Mortezais Film ist Macondo zudem ein großes Stück Heimat für den elfjährigen Ramasan (Ramasan Minkailov) aus Tschetschenien, der mit seiner Mutter (Kheda Gazieva) und zwei Schwestern in der Siedlung ein neues Zuhause gefunden hat. Man erfährt, dass der Vater angeblich im Krieg gefallen ist, und darf nun ein Stück weit miterleben, wie Ramasan sich sichtlich darum bemüht, diese Leerstelle in der Familie weitestgehend zu füllen und zugleich seinen eigenen Mann zu stehen. Pflichtbewusst kümmert er sich um die Schwestern und hilft der Mutter im Alltag, beispielsweise wenn es ans Einkaufen geht oder der nächste Termin mit der Ausländerbehörde ansteht. Doch dieser eigentümliche Mikrokosmos, den sich der Bub mühevoll geschaffen hat, gerät aus den Fugen, als plötzlich ein mysteriöser alter Freund des Vaters auftaucht. Von den Wahrheiten, die mit Isas Ankunft in Macondo zunehmend ans Licht kommen, will Ramasan nichts wissen und flüchtet sich stattdessen in immer gefährlichere Auswege, die ihm den Boden schließlich gänzlich unter den Füßen wegzuziehen drohen.

Nun ist das alles nicht sonderlich neu oder originell, doch der Film fällt zunächst einmal dadurch auf, dass er neben einem gekonnt authentisch-dokumentarischen Blick vor allem ein großes Herz hat für seinen kleinen Helden und überhaupt für seine Figuren und ihre Schicksale, die Mortezai konsequent aus der Perspektive ihrer Laiendarsteller filmt, um sich ohne multikulturelles Gedöns ganz auf ihre Welt einzulassen. Gebannt schaut man Ramasan zu, wie er seinen Alltag bewältigt, dessen Wege kaum vom eigenen Willen abhängen. Auf seinen Gängen entsteht dabei zugleich ganz beiläufig eine soziokulturelle Landkarte jenes urbanen Ghettos am Rande der österreichischen Mehrheitsgesellschaft, sowie das spannende Panorama einer Art und Weise des Zusammenlebens, die sich aus diversen Codes sowie kleinen, aber vielsagenden Verrichtungen und Gewohnheiten zusammensetzt. In Macondo wird jede Nebensache, jedes beiläufige Gespräch zum Ereignis, kommt man mit jedem Schritt den Figuren näher.

So viel Einfühlungsvermögen lässt unweigerlich die Frage aufkommen, wie viel von der eigenen Persönlichkeit und Vergangenheit der Filmemacherin in der Geschichte steckt? „Für mich ist der Film sehr persönlich“, gesteht Mortezai mit zurückgehaltener Stimme, „auch wenn es hier um einen Jungen aus Tschetschenien geht und ich damals ein Mädchen aus dem Iran war. Aber ich bin mit 12 Jahren mit meiner Familie nach Österreich immigriert und habe diesen ganzen Prozess mehr oder weniger selbst durchlebt.“ Das merkt man nicht zuletzt, wenn man den Dialogen folgt bis hin zu den Sätzen, die Ramasan im Interview mit der Asylbeamtin für seine Mutter übersetzt. Dann sieht man auch einen Film, der die Migranten nach ihren Bindungen und deren Kraft befragt, der seine Hauptfigur durch einen ausgetüftelten Parcours navigiert, auf dem die gleichen Motive immer wiederkehren. Und wenn man schließlich jenseits der Gesten und Worte wieder auf die Bilder schaut, kann man in ihnen mitunter sogar ein leichtes Flirren, einen Vorschein von Heimat erkennen.

Dass der Film ausschließlich in Österreich produziert worden ist, nennt Mortezai ein großes Glück: „Natürlich ist Macondo im Vergleich zu anderen Produktionen ein relativ bescheiden budgetiertes Projekt, aber ich bin schon sehr froh gewesen, dass man es von vornherein auch thematisch angenommen hat. Denn ich habe zwar schon ein relativ ausgearbeitetes Drehbuch gehabt, aber es war immer klar, dass es da sehr viele Offenheiten geben wird und Risiken, auf die man sich einlassen muss.“ Unterstützung bei der Produktion hatte sie nicht zuletzt von ihrer heimischen „Filmfamilie“, der Produktionsfirma FreibeuterFilm, die sie mitbegründet hat, auch wenn sie keine Produzentin ist, wie sie selbst sagt. Aber auch der Weg zum Filmemachen war kein direkter. Auf das Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien folgten einige Jahre in der österreichischen Filmbranche, unter anderem als Leiterin des Wiener Programmkinos Filmcasino, bevor sie sich dazu entschloss, in die USA zu gehen, um dort in L.A. noch ein Filmstudium abzuschließen. Erst danach habe sie eigentlich richtig begonnen, eigene Filme zu machen.

Ob sich nun mit dem Schritt Richtung narratives Kino auch die Motive für ihre Arbeit geändert haben, vermag die Regisseurin selbst nicht zu beurteilen. „Mich haben schon immer Menschen und ihre Geschichten am meisten begeistert“, sagt sie. „Im Grunde das, was mich auch im normalen Leben fasziniert, auf offener Straße. Von den Themen her, haben meine Dokumentarfilme und jetzt der Spielfilm vielleicht eher wenig miteinander zu tun, aber das ist auch gut so. So lange es um Menschen geht, um ihre Psychologie, um ihr Leben und um ihre Erlebnisse, interessiert es mich. Da bin ich für alles offen.“

Macondo

Drama, Österreich 2014 – Regie, Drehbuch Sudabeh Mortezai

Kamera Klemens Hufnagl Schnitt Oliver Neumann Sound Design Atanas Tcholakov, David Almeida-Ribero Production Design Julia Libiseller Kostüm Carola Pizzini

Mit Ramasan Minkailov, Aslan Elbiev, Kheda Gazieva, Rosa Minkailova, Iman Nasuhanowa, Askhab Umaev, Hamsat Nasuhanow, Champascha Sadulajev

Produktion FreibeuterFilm

Verleih Filmladen, 98 Minuten

Kinostart Herbst 2014

Wie der Vater, so der Sohn … 

Text – Bettina Schuler

Irgendetwas stimmt nicht mit Ertan (Murathan Muslu). Das sieht man schon an seinem gebrochenen Blick, der im krassen Gegensatz zu seinem vor Kraft strotzenden Körper steht und dank dem er es mit jedem Gegner aufnehmen könnte. Doch Ertan will nicht mehr. Nicht mehr kiffen, nicht mehr dealen, nicht mehr kämpfen. Egal, gegen wen. Weshalb, das wissen wir zunächst nicht. Nur, dass er einst ein Held der Straße war, unerschrocken und gefährlich. Unvorstellbar, wenn man jetzt in seine empfindsamen, strahlend blauen Augen blickt, aus denen in jedem Moment eine Träne herauskullern könnte.

Zunächst sind es nur vage Andeutungen, die darauf schließen lassen, dass er wegen eines langen traumatischen Gefängnisaufenthaltes nicht mehr zurück in sein altes wildes Leben will. Eine Prostituierte, die ihm von seinen ehemaligen Freunden als Geschenk serviert wird und deren körperliche Nähe ihn komplett überfordert, die Zagheit, mit denen er auf die freundschaftlichen Gebärden seiner Kumpels antwortet oder die Fremdheit, mit der er sich in den Straßen und in der Freiheit bewegt. Es scheint, als wolle er durch seine unauffällig Bewegungen vermeiden, dass ihn jemand sieht und auf sein altes Leben, dass er endlich hinter sich lassen will, anspricht.

Es muss etwas Schlimmes gewesen sein, weshalb er im Knast saß. Ansonsten würden seine kriminellen Freunde ihn nicht so respektvoll behandeln und sein großer gesetzestreuer Bruder sich nicht mit dieser Entschiedenheit von ihm abwenden. Selbst seine Mutter, bei der er nach der Haft Unterschlupf findet, kann ihn kaum noch in die Augen schauen ohne zu weinen. Denn er hat gemordet. Einen alten Klassenkameraden umgebracht, ohne etwas dabei zu spüren. Zumindest wird er das später seinem Sohn Mikail (Alechan Tagaev) erzählen. Doch nicht etwa als Heldengeschichte, so wie es jeder ordentliche Gangster machen würde, um sich selbst als besonders gefährlich hochzustilisieren, sondern als Warnung davor, was geschehen könnte, wenn Mikail seinen jetzigen Lebensstil nicht schleunigst ändert.

Mikail will auf seinen Vater nicht hören. Zumindest vorerst nicht. Lieber versucht er sein ungutes Gefühl im Magen mit coolen Sprüchen zu vertreiben, so wie alle in seiner Gang. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Denn wer soll ansonsten die Rechnungen für seine Mutter und Schwester zahlen?

Mit Risse im Beton ist der 1982 geborenen Regisseur Umut Dağ bereits zum zweiten Mal in der Sektion Panorama auf der Berlinale vertreten. Bereits vor zwei Jahren durfte er mit seinem Debütfilm Kuma diese Sektion der Berliner Filmfestspiele eröffnen. Während in Kuma jedoch zwei türkische Frauen und deren problematische Sozialisation in Europa im Mittelpunkt des Geschehens stehen, konzentriert er sich in seinem neuen Film auf die Männer der zweiten und dritten Einwander-Generation, die noch immer nicht ihren Platz in der österreichischen Gesellschaft gefunden haben. So wie Mikail und sein Vater Ertan, die beide in einem ärmlichen Randbezirks Wiens aufgewachsen sind, in dem Gewalt und Geldnot an der Tagesordnung sind. Dealen ist hier nichts Außergewöhnliches, sondern vielmehr der Weg, den es zu gehen gilt. Schule, Ausbildung oder gar Studium, das alles liegt jenseits ihrer Vorstellungkraft. Allein die Musik, eine Karriere als erfolgreicher Rapper, könnten sie sich noch als Alternative zum Dealer-Dasein vorstellen. Insbesondere Mikail, der bereit ist, für seinen Traum von Geld und Ruhm alles auf eine Karte zu setzen.

Der Zuschauer, der von Anfang an ahnt, dass Mikails Plan nicht aufgeht, wird Zeuge dieses zum Scheitern verurteilten Ausbruchversuchs und muss hilflos dabei zusehen wie Mikail immer tiefer und tiefer in sein Unglück hineinreitet. Die Kamera ist dabei immer mitten im Geschehen platziert und arbeitet fast nur mit Nahaufnahmen. Wodurch man den Charakteren und ihren Emotionen sehr nahe kommt.

Einen weiteren großen Anteil an der Emotionalität und Authentizität dieses Filmes haben auch die vielen Laienschauspieler, die wie Alechan Tagaev alias Mikail in exakt solchen Lebensumständen aufgewachsen sind und für ihre Rollen somit auch aus dem eigenen Erfahrungshorizont schöpfen können. Ja, sich eigentlich fast schon selber spielen.

Das zeigt sich in den Dialogen, die Dağ teilweise gemeinsam mit den Schauspielern erarbeitet hat ebenso wie in ihrer Affinität zur Rap-Musik, mit der sich die jungen Laiendarsteller auskennen und identifizieren. Selbst die Konzertszenen, denen man ansonsten immer gerne ansieht, dass sich Statisten nur unbeholfen zur Musik bewegen, wirken hier völlig ungestellt. Was sicherlich auch daran liegt, dass der Regisseur und die Produzenten eigens für den Dreh ein Konzert mit dem Rapper Azad organisierten.

So gelingt es Umut Dağ und seiner Autorin Petra Ladinigg, die bereits das Drehbuch für Kuma schrieb, einen tiefen Einblick in dieses Milieu zu geben. Vielleicht sogar tiefer als es jeder Dokumentation gelungen wäre. Denn in Risse im Beton können sich die Akteure hinter ihren Figuren verstecken und ihre eigenen Ängste, Zweifel und Träume offen aussprechen, ohne sich dabei öffentlich eine Blöße zu geben.

Am Ende bleibt zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer. Ein Mini-Happy-End, das vielleicht darauf schließen lässt, dass zumindest die vierte Einwanderer-Generation, Mikails zukünftige Kinder, aus den Fehlern ihrer Eltern lernen werden.

Risse im Beton

Drama, Österreich 2014 – Regie Umut Dağ

Drehbuch Petra Ladinigg, Umut Dağ Kamera Georg Geutebrück

Schnitt Claudia Linzer Musik Iva Zabkar Kostüm Cinzia Cioffi

Mit Murathan Muslu, Alechan Tagaev, Mehmet Ali Salman,

Erdem Turkoglu, Ivan Kriznjak, Shamil Iliskhanov, Daniel Mijatovic,

Magdalena Paulus, Martina Spitzer, Elif Dag˘

Produktion Wega Film

Verleih Filmladen, 105 Minuten

Kinostart Herbst 2014

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| FAQ 26 | | Text: Pamela Jahn, Oliver Stangl, Schuler Bettina
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