Die Überraschung war durchaus gegeben, als die London Motor Show heuer ihre Pforten öffnete, um die jährliche Leistungsschau der Automobilbranche zu zelebrieren: Ausgerechnet Lotus, der britische Traditionskonzern mit Formel-1-Reputation und einem damit verbundenen Muskeln-Männer-und-Maschinen-Ruf, übte sich in automotiven Soft Skills. „Eco Elise“ nennt sich die Studie, die bislang für unvereinbar gehaltene Welten und Werte verbindet: Öko und Sportwagen. Dabei geht es im konkreten Fall lediglich um Umwegrentabilitäten wie geringes Gewicht oder verminderten Spritverbrauch. Das Öko im Eco definiert sich über die verwendeten Materialien des optisch nur bedingt zum Klassiker tauglichen Gefährts. Dabei beginnt der sanfte Zugang bereits im Innenraum. Die Sitzpolster des Eco Elise bestehen aus biologisch vollständig abbaubarer Wolle, die einem ethisch korrekten Herstellungsverfahren folgt und sich auch farblich am Naturton der dafür geschorenen Schafe orientiert. Öko-Authentizität pur. Schließlich gilt es, dem Ende des Erdölzeitalters korrekt entgegen zu rasen. Der Bodenraum des von bundesdeutschen Journalisten bereits auf den liebevollen Namen „Öko-Liesel“ getauften Fahrzeugs ist mit Teppichen aus Sisal-Fasern, einem ursprünglich aus Mittelamerika stammenden Agavegewächs, bedeckt. Aber auch das Äußere ist durch und durch gut gemeint: In Kooperation mit dem Chemiekonzern Du Pont wurde ein spezielles Lacksystem entwickelt, das auf Wasser basiert und dementsprechend freundlich zur Umwelt ist. Doch vor allem Teile der Karosserie, wie das Hardtop, das auch zwei Solarkollektoren zwecks Speisung der Bordelektronik beherbergt, und der Spoiler haben es in sich: Sie sind aus Hanf gefertigt. Zwar beinhaltet die Hanfkarosserie im Augenblick noch ein spezielles Kunstharz, um den außerordentlich leichten und robusten Werkstoff zu fertigen, doch auch daran wird gearbeitet. Schon in naher Zukunft soll das jetzige Kunstharz durch ein wieder verwertbares Harz ersetzt werden. Kompost statt Schrottplatz könnte die Devise lauten. Ein Hauch von Räucherstäbchenduft im Autohaus.
Dabei gilt Hanf seit Jahrtausenden als einer der wichtigsten – wenn auch etwas in Vergessenheit geratenen – Rohstoffe der Menschheit. Egal ob für Textilien, Papier, Lackfarben oder gar Sprengstoff. Im Rahmen der Präsentation des Eco Elise argumentierte selbst Lotus die Güte und Festigkeit des Rohstoffs Hanf mit seiner historischen Bedeutung als einst wichtigstes Ausgangsmaterial für robuste Taue in der Schifffahrt.
Doch der Verweis auf maritime Gefilde wäre gar nicht nötig gewesen: Denn Hanf galt schon einmal als zukünftiger Grundrohstoff für die Automobilindustrie – im Jahr 1941, als Auto-Pionier Henry Ford sein so genanntes „Hemp Car“ alias „Soybean Car“ erstmals der Öffentlichkeit zeigte. Es war der 13. August 1941, als im Rahmen der Dearborn Days, einem Volksfest in Dearborn, Michigan – wo sich heute noch das Hauptquartier des Fordkonzerns befindet –, das bucklige Gefährt präsentiert wurde. Dessen Karosserie bestand aus einer Vielzahl an natürlich nachwachsenden Rohstoffen und wurde dabei auch mit Hanfdiesel betrieben. Das offizielle Werbestatement lautete vollmundig: „Das Auto, das vom Acker wächst.“ Wobei Freunde des Blödel-Kinos hier wohl eher an den grenzdebilen Kiffer-Klassiker aus dem Jahr 1978, „Up In Smoke – Viel Rauch um nichts“ von Tommy Chong und Cheech Marin, denken müssen. Darin bestreiten zwei Dauer-grasraucher, den Weg von Mexiko in die USA mit einem Auto, gefertigt aus tatsächlicher Rauchware. Selten war Kino klischeereicher. Und unterstreicht sozusagen das traditionelle Nahverhältnis zwischen Hanf und Autos. Stoff für Diplomarbeiten.
Das Fordsche Hemp Car besaß eine plastikähnliche Karosserie aus Naturfasern, die dem Anschein nach so robust war, dass in einem der wenigen noch existierenden Filmdokumente über das Hemp Car die automobile Innovation höchst werbewirksam mit einem Vorschlaghammer malträtiert wurde – offensichtlich um eindrücklich zu demonstrieren, dass hier die unkaputtbare mobile Zukunft im Anrollen ist. Von wegen Hanf macht weich. Zur Serienproduktion kam es allerdings nie – nicht einmal der Prototyp ist erhalten.
Dabei muss man die Uhr nochmals um ein Stück zurück drehen, um die Entstehungsgeschichte dieses vergessenen Klassikers des ökologischen Designs nachvollziehen zu können. Auch wenn es Ford nicht um den Klimaschutz gehen konnte, als ihm die dann doch etwas verschrobene Idee in den Kopf kam. Bereits 30 Jahre vorher, um 1910, war Henry Ford von der Vorstellung höchst angetan, landwirtschaftliche Produkte und Autoproduktion zusammenzuführen. Dass der massive Einsatz von Nahrungsmittelpflanzen für die Treibstoffgewinnung heutzutage zur Explosion der Getreidepreise und steigenden Hungersnöten führt, lässt die Geschichte noch absurder erscheinen.
Fords Gründe waren pragmatische: Schon damals produzierte die amerikanische Landwirtschaft beachtliche Überschüsse, die Ford auf die Idee brachten, diese anderweitig, in einem Sektor abseits der Lebensmittelindustrie, zu verwerten. Henry Ford experimentierte damals mit diversen Feldfrüchten wie Weizen, um diese als potenzielle Rohstoffe für die Autoindustrie zu verwenden. Und bereits wenige Jahre später, 1915, sollte das erste Ford-Modell mit einer technischen Komponente, hergestellt aus einem landwirtschaftlichen Produkt vom Fließband laufen. Das T-Modell, besser bekannt unter dem Kosenamen Tin Lizzy, besaß eine Starterbox, gefertigt aus einem Kunstharz, das aus Weizen-Gluten bestand und durch Asbest-Fasern verstärkt wurde.
Bereits 1919 setzte Henry Ford erstmals an, um aus Hanf-Biomasse gewonnenen Ethanol-Sprit im großen Stil marktfähig zu machen. Was indes nicht gelingen sollte, da die Petroleum-Lobby schon damals Stärke bewies, indem sie für entsprechend hohe Steuern auf alles Alkoholhältige sorgte und die schnelle Erschließung neuer Ölfelder stetig sinkende Öl-Spritpreise bescherte. Quellen in der Fachliteratur sprechen auch davon, dass die Alkoholprohibition der Zwanziger Jahre ihr übriges getan hat. Was insofern skurril ist, als Henry Ford als vehementer Befürworter der Alkoholprohibition galt und übrigens auch überzeugter Antisemit mit besten Kontakten zum späteren Nazi-Deutschland war. Stattdessen setzte Ford in den Zwanziger Jahren auf Sojabohnen. Mit Hilfe des jungen Chemikers Robert Boyer begann ein Forschungsprozess, um den Einsatz von Sojabohnen im Autobau zu optimieren. Zunächst galt die Aufmerksamkeit dem Soja-Öl, das als Ausgangsstoff für Farben und Lackierungen, aber auch als Gummialternative und als Basis für Glycerin, aus dem man die Stoßdämpfer fertigte, diente.
Doch das Zauberwort in Hinsicht auf das spätere „Hemp Car“ sollte Sojamehl lauten. Gemahlenen Sojabohnen wurde mittels Kohlenwasserstoffen das Öl entzogen. Zurück blieben Proteine und Kohlehydrate, die als Ausgangsstoffe für ein Kunstharz dienten, das der Karosserie des Hanfautos die notwendige Festigkeit geben sollte. Alles andere neben dem bindenden Kunstharz diente sozusagen als Füllmaterial in Form von Zellulose: Allem voran eben Hanf, Sisal, aber auch Holzmehl, Chinaschilf, Flachs, Baumwolle und sogar Weizen. Zunächst fand der neuartige Kunststoff seine Verwendung vorwiegend für Kleinteile wie Handschuhfachklappen, Lenkräder, Armaturenbretter, Schalthebelknöpfe, Hupenknöpfe, Gaspedale, Verteilerköpfe und allerlei Innenraumdekor. Bis sich Henry Ford nach zwölfjähriger Entwicklung dafür entschied, einen ganzen Prototyp aus dem immer ausgereifter werdenden Material herzustellen: Das „Hemp Car“ alias „Soybean Car“ bestand aus einem Stahlrohrrahmen, an den 14 Karosserie-Platten aus dem neuen Werkstoff montiert wurden, und selbst für die Fenster verwendete man den Kunststoff auf natürlicher Basis. Mit knapp über 1000 Kilogramm Eigengewicht war der Prototyp um etwa ein Drittel leichter als vergleichbare Wagen mit Metallkarosserie. Vollmundig wurde das Auto als Quantensprung in Sachen gesteigerter Sicherheit im Vergleich zu herkömmlichen Fahrzeugen gepriesen.
Im August 1941 noch opulent präsentiert und ebenso als allgemeines Werbemittel für Ford eingesetzt, war die Innovation bis Ende des Jahres jedoch komplett von der Bildfläche verschwunden. Auch wenn in einem Artikel der Fachpublikation „Popular Mechanics“ die Serienreife für das Jahr 1943 versprochen wurde. Offizielle Begründung gab es für diesen Umstand keine. Wobei hier mehrere Faktoren mitgespielt haben dürften: Zum einen ist die Rede von Pearl Harbour und dem damit verbundenen Einstieg der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg, der einen generellen Einbruch der amerikanischen Autoindustrie zur Folge hatte. Zum anderen wird von einer technischen Unausgereiftheit des damaligen Verfahrens gemunkelt und eine damit einherge-hende Skepsis in Hinsicht auf die ökonomische Sinnhaftigkeit weiterer Forschungstätigkeiten begründet. Schließlich war die Erdöl-Plastik- Industrie überproportional stark im Kommen. Aber auch Rohstoff-Hürden durch die immer stärker werdende Hanf-Prohibition in den USA werden genannt. Denn mit dem 1937 beschlossenen „Marijuana Tax Act“ sank der kleingewerbliche Hanfanbau innerhalb weniger Jahre rapide. Dabei handelte es sich um eine Gewerbesteuer für Händler und eine Erwerbssteuer für Käufer von Hanf. Die Wirkung war eine höchst prohibitive. Und kam nicht von ungefähr, wie mittlerweile historisch bewiesen ist: Eine Seilschaft von Industriellen erzwang aufgrund der Konfrontation mit neuen, höchst effizienten Erntemethoden für Industriehanf und damit verbundener Geschäftsverluste für die Chemie-, Holzpapier-, Erdöl- und Autoindustrie dieses bereits damals umstrittene Gesetz. Die Seilschaft bestand aus dem Medienzaren und Papierindustriellen Randolph Hearst, dem Bankier und Erdöltycoon Andrew Mellon und dem Chemieriesen und damaligen General-Motors-Eigner Du Pont – der ja neuerdings die Lacke für den Lotus Eco Elise herstellt.