Wie heißt es in „Confusion Is Next“: „You gotta cultivate what you need to need.“ Thomas Edlinger – künstlerischer Leiter des Donaufestivals, Radiojournalist und Pop-Essayist – erzählt von Aneignungen, exorbitanten Produktionskosten und einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht. Der dem entgegengehaltene Vorschlag des Donaufestival-Programms: freundschaftliche Konfusion.
„Chaos is the future
And beyond it is freedom
Confusion is next and next after that is the truth
You gotta cultivate what you need to need“
Sonic Youth: „Confusion Is Next“ (1983)
Thomas Edlinger: Als wir darüber nachdachten, was thematische Schwerpunkte des Donaufestivals 2025 sein könnten, wollten wir die irritierenden bis verstörenden Zustände der Gegenwart ins Zentrum des Festivals rücken. Diese Planungen fanden vor gut einem Jahr statt; seitdem werden wir von der Wirklichkeit förmlich überrollt. Der Verweis auf Sonic Youth als stilprägende Formation zwischen Popkultur und Avantgarde bezeichnet auf einer grundlegenden Ebene, dass Methoden der Irritation zum künstlerischen Grundinventar gehören. Auch wenn es sich zunächst trivial anhört: Gerade in derart aufgeheizten Zeiten ist es wichtig, festzuhalten, dass es auch eine emanzipatorisch oder produktiv gewendete Kraft der Verstörung oder der Irritation geben kann.
FAQ: Das bringt mich zur Appropriation, bei der Strukturen und Zusammenhänge aus der Mehrheitsgesellschaft übernommen werden, um sie als eigenes Projekt künstlerisch oder sozialpolitisch wieder in Gesellschaft einzuschleusen. Das Konzept der Appropriation war ja von Anfang an Teil der Popkultur, was sie ihrerseits von Kunstströmungen wie dem französischen Situationismus der 1960er-Jahre mit dem „détournement“, das auf Deutsch oft mit „Entwenden“ übersetzt wurde, übernommen hat. Um das ging es stark beim Donaufestival 2022 unter dem Motto „Stealing the Stolen“. Konfusion wäre dann ein Resultat dieser Entwendungen?
Appropriation im Sinn einer zweckentfremdenden Wendung spielt in das Programm des Donaufestivals immer wieder hinein. Bei der diesjährigen Ausgabe wäre eine dafür quasi prototypische Arbeit die Performance „El Gran Retorno“ der guatemaltekischen Künstlerin Regina José Galindo. Eine Marschkapelle wird am ersten Samstag zu Mittag durch die Kremser Innenstadt ziehen. Aber statt Uniformen tragen die Musikerinnen und Musiker Trauerdressen und marschieren rückwärts. Ein wie ich finde starkes Zeichen gegen die zunehmende Remilitarisierung und an Fahrt aufnehmende Neofaschismen, was der Politik- und Filmtheoretiker Drehli Robnik treffend „flexible Faschismen“ genannt hat.
Hier knüpft ein Theorie-Talk an, der direkt davor im Kino im Kesselhaus stattfindet: 2011 veröffentlichten die Kultur- und Medienkritiker Markus Metz und Georg Seeßlen ihr epochales Buch mit dem schönen Titel „Blödmaschinen. Die Fabri-kation der Stupidität“. 14 Jahre später gibt es einen Nachfolge-Band, der darstellt, wie die leer gemachten Köpfe nun mit Angst gefüllt werden. „Blödmaschinen II: Die Fabrikation der politischen Paranoia“ kommt Mitte Mai wie auch Teil I im Suhrkamp Verlag heraus. Dieses Buch wird in einer multimedialen Form vorgestellt und diskutiert.

Thomas Edlinger © David Višnjic
Sie sind seit 2017 künstlerischer Leiter des Donaufestivals. Seit einigen Jahren kommt Krise nach Krise. Was ist das Spezielle an der aktuellen Situation, wie geht man als Festival damit um?
Krisenerscheinungen häufen sich und viele meinen, dass wir in einer Zeit der Multi- oder Polykrisen leben. Das ist richtig, ist aber nicht das erste Mal in der Geschichte. Ein Spezifikum der aktuellen Situation ist, dass wir global und in Echtzeit von Krisen erfahren. Problematisch ist die algorithmisch und somit medial-technisch befeuerte Bestreitung einer geteilten Wirklichkeit, wodurch sich ein durch Social Media brisant verstärktes Einfallstor für das auftut, was man Autoritarismus oder Neofaschismus nennen kann.
Ein Festival ist natürlich auch ein Fest. Das hat weniger mit Eskapismus zu tun, als vielmehr mit den Möglichkeiten, Momente des Andersseins zu zelebrieren, Auswege zu skizzieren, und das Für und Wider von Empathie zu besprechen. Beim Donaufestival geht es darum, in ein Feedback zu treten mit dem, was gerade in der Wirklichkeit passiert. Wie reagiert man auf so schnell sich ändernde Zusammenhänge? Es ist ein auf vielen Ebenen vorgeschlagenen Reflektieren über bestimmte Aktualitäten.
Der Event-Bereich – sowohl bei Clubs als auch bei Festivals – ist seit einiger Zeit unter massivem Druck: Inflation, Verteuerung der Gagen der Bands, von Logistik-, Energie-, Miets- und Lohnkosten, dazu ein verändertes Freizeit- und Konsumverhalten. Viele Veranstalter erzählen mir, dass Events rund ein Drittel mehr kosten, während Förderbudgets fast gleichgeblieben sind. Wie sehen Sie das?
Für das Veranstaltungsgewerbe kann man für die Zeit zwischen 2017, als ich angefangen habe, und 2024 von einer Verteuerung von rund 33 Prozent sprechen. Europaweit wurden Kulturbudgets nicht in demselben Maß angehoben. Exklusiv Acts und Projekte zu bringen, ist mittlerweile fast nicht mehr machbar und man wird sich überlegen müssen, wie Festivals kooperativer organisiert werden können. Neben ökonomischen Argumenten spielen auch ökologische eine wichtige Rolle. Möglicherweise werden Vorstellungen von Exklusivität und kompetitive Bookings in den Hintergrund treten.
Das wäre sicher wünschenswert, aber ist es von einer quasi inneren Logik her nicht so, dass sich Festivals mit Uraufführungen schmücken werden; oder schlicht müssen?
Natürlich gibt es im Kulturbetrieb nicht nur gutes Einvernehmen, sondern auch Konkurrenzverhältnisse; und das ist auch gut so. Das befeuert Kreativität und künstlerisches Schaffen. Eine große Frage für die Zukunft ist, wie man diese Verhältnisse für alle Seiten zufriedenstellend lösen kann. Es gibt eine starke Diskrepanz dahingehend, dass immer mehr Künstler:innen sich auf immer weniger Präsentationsformen drängen. Die Herausforderung wird sein, wie Kulturinstitutionen es schaffen, für ein Publikum attraktiv zu bleiben. Das, glaube ich, ist eine Aufgabenstellung, die man aber natürlich nicht allein lösen kann. Dazu braucht es Kommunikation und nicht nur ein Gegenüber, sondern viele Gegenüber.
Weiters stehen u. a. Konzerte von Spiritualized, Anna von Hausswolff, Sega Bodega oder Shabaka auf dem Programm.
Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 79
Donaufestival
2.–4. und 9.–11. Mai 2025
verschiedene Orte in Krems
www.donaufestival.at