Der Artist und der Autist sind nur einen Buchstaben voneinander entfernt. Beide sind Demiurgen, die zumindest über ihre eigene Welt uneingeschränkt regieren. Der ursprünglich aus der Schweiz kommende Schlager-Schamane Dagobert Jäger durchschreitet diese Welten mit dem bedächtigen, aufrechten Gang eines Laufsteg-Models. Er singt über die Liebe, so wie es schon viele vor ihm gemacht haben und es auch noch unzählige Menschen nach ihm versuchen werden. Als Liebesliederverfasser nennt er sich schlicht Dagobert. Und macht dabei Jagd auf die Herzen der Hörer. Vorläufig auf die Herzen des deutschsprachigen Raumes, in Wien an einem Oktoberabend im Brut Künstlerhaus. Aber die Weltherrschaft darf ein Schlagerstar, zumindes als Plan B, nie ausschlagen …
Wann hast Du Deine Stimme beziehungsweise das Singen als Möglichkeit entdeckt, dich künstlerisch mitzuteilen?
Nachdem ich die Schule beendet und sonst nichts mehr zu tun hatte habe ich begonnen Musik zu machen. Ich wusste ja nichts von Musik und habe einfach primitiv drauflosgespielt und Sachen aufgenommen. Dann habe ich auch Texte aufgeschrieben und die auch gesungen. Das habe ich nur so für mich gemacht und mich geschämt, dass ich so eine blöde Stimme habe. Auch die Texte waren schrecklich. Ich habe ja nur geschrieben, damit ich etwas zum Singen hatte. Später habe ich entdeckt, dass wenn ich Liebesbriefe für Frauen aufschreibe und die dann singe, dass die Songs dann irgendwie ganz gut sind. Und es hat sich auch meine Stimme nicht mehr so schlimm angehört. Ich habe das eine Weile gemacht und mich nun daran gewöhnt.
Du hast schon einige Selbstexperimente hinter Dich gebracht, wie den kompletten Rückzug in die Abgeschiedenheit. Ist diese Form der Schlagermusik jetzt ein Experiment, ein Zwischenstadium deines Musikerdaseins?
Also die Art von Musik, die gerade mache, wird sich bestimmt noch entwickeln. Die Songs, die ich für das erste Album ausgewählt habe, sind von einer kammermusikalischen Intimität. Ich habe ja auch den Plan, die Welt zu erobern und das kann ich mit den paar Songs noch nicht.
Wie prägend war das Leben in den Schweizer Bergen? Du lebst ja jetzt wieder in der Großstadt Berlin. Hast Du das Gefühl, dass Dich Dein Umfeld musikalische stark beeinflusst?
Ich bin jetzt seit dreieinhalb Jahren in Berlin. Anfangs habe ich gratis ich in einem Cafe gewohnt und fast nichts gesagt. Ich habe dort auch nicht gearbeitet, als Gegenleistung habe ich einfach die Kinder der Besitzer gehütet. Ansonsten war ich so der Zombie der in der Ecke saß. Ich lernte aber dann dort wieder viele Leute kennen und bin wieder ganz sozial geworden. Aber es kann schon sein, dass ich mich wieder mal für eine Weile völlig zurückziehe.
Die Tatsache, dass ich davor für mehrere Jahre komplett allein war hat sehr viel damit zu tun, dass diese Songs so intim wurden und sich nur um mich drehen. Das erste Album ist jetzt halt so, das zweite wird so ähnlich sein, und die Songs, die ich jetzt in Berlin schreibe, werden dann später eine etwas andere Richtung aufmachen. Ich habe ja spät angefangen zu veröffentlichen. Einfach weil ich nie zufrieden war mit diesen ganzen Plattenfirmen. Ich habe jetzt mal veröffentlicht, was ich schon vor langer Zeit gemacht habe, und ich habe noch viel, was raus muss.
Hast Du Interesse an Kollaborationen mit anderen Musikern? Oder möchtest Du eher “Dein Ding” machen?
Ja es gab doch viele Anfragen, die anscheinend kein Mensch außer mir ausgeschlagen hätte. Es gab dadurch auch ein bisschen böses Blut manchmal. Aber wenn ich irgendwelche Texte singen muss, mit denen ich gar nichts zu tun habe, dann kann ich das nicht machen. Auch wenn ich viel Geld damit verdienen würde. Vielleicht bin ich in Zukunft einmal entspannter mit dem Thema. Aber im Moment macht das für mich keinen Sinn. Ich musste bei mir anfangen und bin jetzt immer noch bei mir. In Zukunft werde ich mich noch in vielerlei Hinsicht öffnen, aber zur Zeit bin ich noch nicht bereit.
Du hast in den zwei Filmen “Helden von Berlin” und “Kein großes Ding” von Klaus Lemke mitgespielt. Welche Rolle spielt die Schauspielerei mittlerweile in Deinem Leben?
Ich sehe mich nicht im geringsten als Schauspieler. Ich bin da halt zufällig zu den Lemke Filmen gelangt. Und das waren ja Nebenrollen. Solorollen könnte ich mir schon vorstellen. Ich möchte aber nicht so tun müssen, also wäre ich jemand anderer. Ganz lustig wäre es, so Filme zu machen wie Roy Rogers. Der ist in Amerika ein absoluter Megastar. In den 1950er und 1960er Jahren hat er unzählige Filme gemacht und viele Country Hits geschrieben. Die Filme waren alle gleich. Er hat in einer Stunde fünf Lieber gespielt, ein paar Gangster abgeknallt und eine Frau geheiratet. Und er hieß auch immer Roy in seinen Filmen.
Wie ironiefrei möchtest Du wahrgenommen werden?
Immer dieses Thema … Aber ist schon klar, dass so eine Frage kommt. Also wenn ich Songs schreibe, und ich glaube, dass hört man auch, dann haben die wirklich etwas mit mir zu tun. Was ich erlebe schreibe ich auf und daraus wird ein Song. Das ist alles sehr persönlich. Dagobert ist auch keine ausgedachte Kunstfigur. Ich nehme mich selber allerdings nicht so wahnsinnig ernst als Künstler. Ich finde es logisch und auch gut, dass verschiedene Leute mich verschieden wahrnehmen. Wenn manche denken, ich mache halt “auf lustig”, so sollen sie ruhig ihren Spaß haben. Und wenn andere denken, der spricht mir aus dem Herzen, dann funktioniert das ja auch. Die Songs habe ich immer geschrieben, wenn ich gefühlsmäßig aufgewühlt war. Ich hab tatsächlich sehr wenig Fantasie und kann mir keine tollen Geschichten ausdenken.
Wie stehst Du zum Thema Bescheidenheit?
Bin einfach überhaupt kein Konsummensch. Ich finde auch Besitz belastend. Ich habe noch nie für irgendetwas Geld verdient außer für Musik und für das Schauspielen in einem Klaus Lemke Film. Bescheiden bin ich glaube ich trotzdem nicht. Ich plane ja schon mehr oder weniger die Weltherrschaft. Ich möchte mit meinen Songs um die Welt kommen und nicht immer nur hier im deutschsprachigen Raum bleiben.
Kommen wir nochmal zurück zu Deiner Suche nach den Extremen, Introspektion am Land versus Sozialisation in der Großstadt.
Die Bergzeit in der Natur hat mir sehr geholfen, kreativ ganz aus mir zu schöpfen. Irgendwann wollte ich meine Sachen aber zu den Leuten bringen und dann konnte ich nicht weiter auf dem Berg sitzen bleiben. Die größte deutschsprachige Stadt Berlin kannte ich schon ein bisschen und ich dachte, da geh ich wieder hin. Jetzt wohne ich hier schon ein Weile und es funktioniert ganz gut. Aber ich weiß, dass ich dort nicht alt werde. Ich würde gerne noch mehr von der Welt sehen. Eine Insel für mich im Südpazifik, das schwebt mir so vor. Ich wäre ja auch schon einmal beinahe nach Afrika ausgewandert. Da ist es immer warm und ich brauche kein Haus. Ich interessiere mich ja für fast nichts auf der Welt und schon gar nicht für Sprachen, aber ich möchte gerne Suaheli lernen. Das werde ich demnächst in Angriff nehmen.
Und warum gerade Suaheli?
Ich finde es klingt toll. Es haben mir schon mehrere Leute gesagt, das man diese Sprache relativ leicht lernen kann. Es ist eine relativ rudimentäre Sprache. Und wenn man dann die Dinge die man erlebt noch einfacher ausdrücken kann, ist das vielleicht ganz gut. Deutsch ist sehr schwierig.
Welche anderen Kontinente würden Dich noch interessieren?
Der Südpazifik ist wichtig. Afrika möchte ich auch mal besuchen. Die USA muss man sich auch mal reinziehen. Und dann vielleicht irgend so eine komische, asiatische Großstadt.
Könnte man in Asien vielleicht auch Fan-Publikum vorfinden?
Das denke ich auch. Die Japaner finden das bestimmt super. Die Scorpions hatten da auch ihre erste Goldplatte. Auch die Einstürzenden Neubauten sind dort ja ganz groß, oder täusche ich mich da?
Wie wichtig sind Dir Musikvideos?
Ich schreibe die Songs und singe die. Vom Videomachen habe ich echt keine Ahnung. Mit meinem Chauffeur Henning Gronkowski funktioniert das echt gut. Das Video zu “Ich bin zu jung” hat er gemacht. Er arbeitet auch an seine eigenen Filmen. Ich hab ihn entdeckt und der wird noch ganz groß rauskommen. Hermes Phettberg ist ein ganz enger Freund von Henning, der kommt übrigens heute auch zum Konzert. Dann lerne ich ihn endlich auch einmal kennen.
Die Kleidung im Musikvideo bzw. generell Deine Kleidung kommt ja von Deiner Schwägerin?
Der Anzug im Video “Ich bin zu jung” nicht. Das ist mein Hauptanzug. Und so viele habe ich gar nicht. Ich habe nach der Schule so zwei Jahre lang als Penner gelebt und war immer schlecht angezogen. Dann habe ich diesen Kulturpreis mit 18.000 CHF gewonnen. Das erste, was ich mir leisten wollte war ein Anzug. Ich habe mal diesen Film “Der Graf von Monte Cristo” gesehen. Den Film fand ich nicht gut, aber ich wollte unbedingt so einen Anzug. Ich habe also vom Kulturpreis 9.000 CHF in diesen Anzug investiert. Das war vor zehn Jahren. Mittlerweile ist er schon sehr speckig, da ich ihn noch nie gewaschen habe. Irgendwann hat dann mein Bruder geheiratet und seine Frau ist Schneiderin und macht Klamotten. Und die Teile, die sie in ihrem Laden nicht verkauft, bekomme ich seither.
Von der Mode wieder zurück zur Musik. Welche Musik hat Dich stark geprägt?
Mit den Scorpions in meiner Kindheit hat alles angefangen. Die sind das absolut wichtigste. Ich höre die immer noch fast jeden Tag. An manchen Tagen höre ich alle Alben chronologisch durch, Blackout ist dabei mein Lieblingsalbum. Das ist für mich quintessenzielle Musik, die ist in meiner DNA drin. Ich fand viele Bands gut, bis ich sie live gesehen habe. Ich war zum Beispiel ein großer David Bowie Fan, kannte jeden Song auswendig. Aber das Konzert während meiner Schulzeit war dann so langweilig, dass ich ihn nie wieder angehört habe. Das gleiche passierte mit Tom Waits.
Obwohl Du mittlerweile einen Chaffeur hast, ist das Zu-Fuß-Gehen ja immer noch eine ganz wichtige alltägliche Praxis für Dich.
Ja. Es gibt zwei Arten von Gehen für mich. Das eine ist das Draußen-Herumlaufen. Das andere mache ich immer noch jeden Tag und zwar stundenlang: In einem geschlossenen Raum auf und ab gehen. Das brauche ich. Es ist so ein Meditations-Zeug, ich bin dann in meiner Welt und alles ist ok.