Die Idee, verdiente Vierbeiner auf würdevolle Art zu bestatten, ist keine Erfindung emotional ausgehungerter Großstadtmenschen; Von antiken Grabstätten für Pferde, Katzen und Hunde – je nach regionalem Kult – abgesehen, findet sich beispielsweise neben dem Barockschlösschen Riegersburg im Waldviertel ein kleiner Friedhof für die Jagdhunde des ehemaligen Grafen, der Besuchern gerne als Kuriosum gezeigt wird. Während in den USA schon seit Jahrzehnten Hundebegräbnisse durchgeführt werden und auch in Deutschland eine vitale Tierbestattungskultur existiert, entwickelt sich diese Praxis hierzulande nur zögerlich. Das mag an der vom ländlichen Katholizismus geprägten österreichischen Mentalität liegen, die Tieren eher einen Nutzen als eine Seele attestiert, oder einfach daran, dass in Österreich prinzipiell alles mit Verspätung ankommt. So denkt man bei Tierbestattung wohl eher an von Kinderhand gebastelte Holzkreuze wie in Stephen Kings „Pet Sematary“ als an ein professionelles Gewerbe, zumal es gar nicht so einfach ist, eine Genehmigung dafür zu bekommen. Trotzdem entstanden unter klingenden Namen wie „Antares“, „Anubis“ oder „Franz von Assisi“ in den letzten Jahren mehrere Tierbestattungsbetriebe, meist auf Initiative von tierlieben Privatpersonen, die Haustieren das ungustiöse Schicksal ersparen wollen, ihren letzten Weg in der Tierkörperverwertung mit Schlachtabfällen und verdorbenem Fleisch zu teilen. Wie bei Menschen werden vor allem zwei Arten von Bestattung angeboten: Einäscherung im Krematorium und die klassische Erdbestattung auf speziellen Friedhöfen.
In Frieden ruhen
Der einzige Tierfriedhof im Großraum Wien, der zugleich der älteste Österreichs ist, heißt „Waldesruh“ und liegt in Sierndorf bei Stockerau nahe der Weinviertler Schnellstraße. Seit 2007 wird er vom Österreichischen (nicht zu verwechseln mit dem Wiener) Tierschutzverein betrieben, nachdem die früheren Besitzer das seit Anfang der Achtziger Jahre bestehende Areal durch Nachlässigkeit und Preistreiberei ziemlich heruntergewirtschaftet hatten. Manfred Maier ist einer der wenigen hauptamtlichen Mitarbeiter des Österreichischen Tierschutzvereins und so etwas wie die gute Seele von Waldesruh. Seine Tätigkeit ist ein 24- Stunden-Job: Er steht rund um die Uhr für die Abholung verstorbener Tiere bereit, pflegt eigenhändig die Gräber, informiert halbjährlich an die 400 Institutionen über Tierbestattung, übernimmt den Fahrtendienst für Besucher und führt auch die Beisetzungen durch. Zu dieser Art von Beruf sind wohl nur Überzeugungstäter fähig. Vom Pathos radikaler Tierschützer ist bei Manfred Maier aber nichts zu spüren, eher ehrliches Interesse und eine pragmatische Herzlichkeit im Umgang mit Mensch und Tier. Vor langer Zeit war er einmal Fahrlehrer, doch das Bedürfnis nach einer erfüllenderen Tätigkeit brachte ihn zum Österreichischen Tierschutzverein, wo er sich bald so intensiv engagierte, dass selbst für eigene Haustiere keine Zeit mehr blieb, geschweige denn für einen Zivilberuf. Interessierte Besucher führt Maier stolz über das sorgfältig gepflegte, 3000 Quadratmeter große Gelände, erklärt routiniert die verschiedenen Arten von Gräbern und betont mehrmals, dass der Reinerlös aus Grabmieten und Beerdigungskosten im Gegensatz zu anderen Tierbestattern ausschließlich dem Tierschutz zu Gute kommt. An die 160 Tiere liegen unter dem grünen Rasen begraben, die meisten in aufwändig gestalteten Individualgräbern, die wie Minimundus-Versionen menschlicher Grabstätten aussehen. Manche der Grabsteine, die vom selben Steinmetz wie Falcos Grab am Zentralfriedhof angefertigt werden, haben dementsprechend mehrere tausend Euro gekostet. Wer beerdigt seine Tiere dermaßen opulent? „Tierfreunde“, antwortet Manfred Maier schlicht, „und die sind sowohl vom Alter als auch von der Herkunft ganz verschieden. Von Familien mit einem fünfjährigen Kind, das seinen Hamster bestatten lässt, bis zu den Seniorinnen, die schon mehrere Hunde hier haben und jeden Monat vorbei kommen, gibt es wirklich alles.“
Zu vielen Gräbern weiß er eine Geschichte zu erzählen; von einem Chihuahua beispielsweise, der tragisch im Italien-Urlaub verunglückte, oder von einem 70 Kilo schweren Hirtenhund, der aus Ungarn hertransportiert werden musste und dessen Grab als einziges menschliche Dimensionen erreicht. Ganze Adelsgeschlechter von Dobermännern ruhen hier, dazwischen Katzen und Kleintiere aller Art, bald soll es auch eine Urnenwand geben, und den verstorbenen Pflegetieren des Vereins ist ein großes Gemeinschaftsgrab gewidmet, auf dem sich noch die Osterhasen tummeln. Besonders die Individualgräber werden tatsächlich über Jahre hinweg regelmäßig besucht: „Du warst mein Lebenswunsch und die Erfüllung!“ steht in goldener Gravur auf dem Grabstein des Pudels Wotan von der Burg Raifbach, der halb unter einem Meer aus Kunstblumen verschwindet, und auf einem anderen: „Wir danken dir und Murli für die wundervollen Jahre voller Treue und Liebe, in unseren Herzen und Gedanken werdet ihr immer weiterleben, bis der Tag kommt, an dem wir uns am Ende des Regenbogens wiedersehen.“ Darunter stehen mehrere weiße Engel und ein eierbehangener Osterstrauch; die Besitzerin, erzählt Herr Maier, wechselt sich bei den Besuchen jede Woche mit ihrer Schwester ab, die das gegenüberliegende Grab ihres Kaninchens nicht weniger sorgfältig schmückt. Außerhalb der Friedhofsmauern, die hier Zäune sind, stößt dieser hingebungsvolle Totenkult nicht immer auf Verständnis: „Wir wissen natürlich, dass unsere Kunden oft hören, ‚Was tust du dir denn so viel an wegen dem Tier, nimm dir doch einfach ein neues.‘ Aber wenn man zehn oder zwanzig Jahre mit einem Tier gelebt hat, ist es einem natürlich ans Herz gewachsen, und wenn es dann stirbt, bricht für viele eine Welt zusammen. Da ist der Friedhof einfach eine gute Möglichkeit, die Trauer zu verarbeiten.“ Auch die Begräbnisse sind pietätvoll gestaltete Nachahmungen traditioneller Trauerzeremonien, für die Manfred Maier mit einem Totengräber vom Zentralfriedhof zusammenarbeitet: Begleitet von klassischer Musik wird der Leichnam in einem Holzsarg an langen Seilen in die Grube hinuntergelassen, manche Hinterbliebenen stiften auch Blumenkränze oder bereiten eine Grabrede vor, sofern sie emotional in der Lage sind, an der Beerdigung teilzunehmen. Sogar Exhumierungen werden dann und wann beantragt. „Da war zum Beispiel eine Dame, deren Frettchen vor zwanzig Jahren hier bestattet wurde, und weil sie inzwischen nicht mehr die Möglichkeit hat, auf den Friedhof zu kommen, hat sie jetzt kremieren lassen, was noch übrig war, damit sie die Asche immer bei sich zu Hause haben kann.“ Nach dem ausführlichen Rundgang am Tierfriedhof bleibt nur festzustellen: Was immer für die Seelenruhe verstorbener Menschen getan wird, das gibt es für Tiere mit Sicherheit auch schon. Der Österreichische Tierschutzverein kämpft mittlerweile darum, umgekehrt eine größere rechtliche Flexibilität für Humanbestattungen zu erwirken: Denn manche Tierfreunde möchten die Gräber ihrer Schützlinge nicht nur jahrelang pflegen, sondern sich nach dem eigenen Tod auch selbst darin bestatten lassen – so wie eben andernorts in einem Familiengrab.
In Treue verbunden
Mit der Tradition der Grabpflege, inklusive regelmäßiger Pilgerfahrt zum Friedhof und roten Kerzen kann Elisabeth Zadrobilek wenig anfangen, egal, ob es sich bei den Verstorbenen um Menschen oder Tiere handelt. Vor fünf Jahren verwirklichte die resolute Werbefachfrau deshalb nach langer Vorarbeit ihre Vision einer alternativen und zeitgemäßen Kultur der Verabschiedung und gründete den ersten österreichischen Anbieter von Naturbestattungen – gedacht für all jene, die so wie sie selbst nicht unter die Erde wollen. Das Angebot reicht von Ascheausstreuungen auf einer slowakischen Wiese über Bestattungen im Wasser von Donau und Adria zu einem persönlichen Baum im „Wald der Ewigkeit“. Zusätzlich vertritt die Naturbestattung G.m.b.H in Österreich jene Schweizer Firma, die aus der Asche von Verstorbenen Diamanten wachsen lässt; und weil wie gesagt alles, was für Menschen getan wird, bei Tieren erst recht möglich ist, wurde Frau Zadrobilek auf diese Weise nebenbei auch zur Tierbestatterin. „Das ist etwas ganz anderes, als wenn man die Asche auf einen Friedhof stellt, wo man vielleicht einmal im Jahr einen Ausflug hin macht. Die meisten lassen sich den Diamanten dann in ein Schmuckstück einfassen, so können sie ihr Tier immer bei sich tragen“, erläutert Zadrobilek die Vorteile dieser „Bestattungsform“, deren Name „Semper Fides“ wohl auf die Unvergänglichkeit des Materials und der darin symbolisch konservierten Tierliebe hinweisen soll. Die Diamanten, die je nach Wunsch und finanziellen Mitteln aus dem reinen Kohlenstoff der Asche, des Haar- oder Federkleids oder unter Beigabe von Silizium kultiviert werden, unterscheiden sich von natürlich gewachsenen Diamanten einzig durch die Färbung: Reine Diamanten können durch das im Organismus natürlich enthaltene Bor leicht bläulich, Diamanten mit Silizium gelblich erscheinen. So ist es schon vorgekommen, dass ein semmelroter Kater zur großen Freude seiner Besitzerin selbst als Diamant noch semmelrot war. Neben der ästhetischen Qualität – bei ihrer Kundschaft handelt es sich in zweiter Linie naturgemäß um Schmuckliebhaberinnen, die im Nachhinein gerne erzählen, was aus ihrem Liebling Schönes geworden ist – steht auch für Zadrobilek der Aspekt der Trauerbewältigung im Vordergrund: „Man baut zu vielen Kunden eine Beziehung auf, und bekommt dann auch alles mit: Wie das Tier gestorben ist und wann es gestorben ist und was es alles konnte und wie lieb es war. Die Menschen leiden ja auch sehr, und sie müssen sich oft komplett neu orientieren, weil plötzlich nie¬mand mehr da ist, um den sie sich kümmern können.“ Mitten im Gespräch springt Elisabeth Zadrobilek einmal unvermittelt auf, holt das Foto einer zierlichen schwarzen Pekinesin mit rosa Spielzeug im Maul von ihrem Schreibtisch und gerät auf ihre geradlinige Art ins Schwärmen: „Ich weiß es ja selber: Die Filiz hab ich noch vor meinen Kindern gehabt, und dann hab ich mich natürlich viel mit dem Hund beschäftigt. Das war so eine Quirlige, so eine Herzige! Die hat alles verstanden und fünfzehn verschiedene Stofftiere beim Namen gekannt! Als sie vierzehn Jahre alt war, hat der Tierarzt gesagt, entweder sie lebt noch zwei Wochen, oder wir lassen sie einschläfern – na, da stehst aber schön neben dir. Geheult haben wir wie die Schlosshunde.“
Filiz wurde im Garten begraben, auf einen Tierfriedhof hätte Elisabeth Zadrobilek sie sicher nicht gebracht, denn: „Anfangs kommt man vielleicht öfter hin, aber man kann ja auch nicht ewig in der Trauer leben.“ Die Tiere einäschern zu lassen, erscheint ihr als die sinnvollere und mittlerweile gefragtere Variante der Bestattung, schließlich kann man eine dekorative Urne auch bequem zuhause aufbewahren. Manche sorgen sich dann allerdings, was mit der Asche ihrer Haustiere passieren wird, wenn sie einmal selbst das Zeitliche segnen – dafür hat Frau Zadrobilek eine Lösung in ihrer Funktion als Naturbestatterin parat. Im von ihr betreuten „Wald der Ewigkeit“ gibt es auf mehrere solcher Anfragen hin bereits einen eigenen „Baum der Tierfreunde“, unter dem Hund und Herrl auf Wunsch in einer gemeinsamen Urne beerdigt werden.
Epilog: Eigennamen
Manch weniger tierliebem Zeitgenossen geht diese Demonstration von Verbundenheit über den Tod hinaus freilich zu weit. Irgendwo muss doch die Grenze zwischen Tier und Mensch bewahrt werden, würde ansonsten nicht die Gleichstellung im Grab auch eine Gleichstellung im Leben erfordern? Was unterscheidet denn außerdem die derart veredelten Sissis, Paulis und Muckileins vom Igel am Straßenrand oder vom eben verzehrten Kalbsbraten? Die Erklärung der Tierbestatter lautet ähnlich: „Wenn ein Tier jemandem ein Leben lang so viel Liebe gegeben hat, dann möchte man auch nach dem Tod eine gewisse Pietät und Würde bewahren“, und Zadrobilek setzt hinzu: „Manche Tiere sind wirklich sensationell, und die haben ja einen Namen, eine Geschichte!“ Vermutlich liegt genau darin der Schlüssel zu dieser nicht allen zugänglichen Zwischenwelt: Wenn ein Tier stirbt, fühlen sich manche wie durch den Tod einer wichtigen Bezugsperson eines Stücks der eigenen Lebensgeschichte beraubt. Da kann es schon erleichternd sein, den Verlust in etwas Greifbarem zu sublimieren und gleichzeitig das Tier durch Bewahrung seines Namens wenigstens in der Erinnerung lebendig zu erhalten. Das ist die hochtrabende Version, die andere wäre: Einige Menschen haben zu ihren Tieren einfach ein innigeres Verhältnis als zu den meisten anderen Menschen und wollen ihnen dem entsprechende Ehren erweisen. Selbst wenn es sich dabei nur um einen ausgeprägten Hang zur Inszenierung des Morbiden handeln sollte, kann im Land der schönen Leich‘ daraus eigentlich niemandem ein Vorwurf gemacht werden.