Startseite » Franz West

Franz West

Text: Fabian Burstein | Fotos: Stefan Tauber

„Ich beneide keinen Menschen, der in Eingweiden lebt“

Franz West gehört zu den gefragtesten Künstlern der Gegenwart. Und zu den bestbezahlten. Mit der Retrospektive „Autotheater“ hat das Kunsthaus Graz, in Zusammenarbeit mit dem MADRE Neapel und dem Museum Ludwig Köln, eine breitgefächerte Personale gestaltet, die dem österreichischen Künstler – erfreulicherweise pre mortem – ein institutionelles Denkmal setzt. Kuratiert wurde die Schau von Peter Pakesch, der Anfang der 80er-Jahre zu Wests frühen Förderern zählte und auch wesentlich zum internationalen Aufschwung des Künstlers beitrug. Pakesch ist heute Intendant und künstlerischer Leiter des Universalmuseums Joanneum – als solcher holt er immer wieder Ausstellungs-„Blockbuster“ an die Mur.

Ihre Mitarbeiterin hat mir erzählt, dass Sie der-zeit sehr viele Interviews geben. Geht es Ihnen auf die Nerven, ständig Ihre Kunst erklären zu müssen?

Franz West: Das ist halt Teil meines Wochenablaufes … viel hängt auch von der Stimmung ab. Es ist insofern interessant, weil man normalerweise nicht herumsitzt und über die Aussage seiner Kunst nachdenkt. Bei Interviews laufen die Erklärungen dann wie von selbst.

Ich war früher Museumswärter und eine der Lieblingsanekdoten des Oberaufsehers drehte sich um eine Putzfrau, die einen Sessel aus einer ihrer Installationen getragen hat, weil sie ihn nicht als Kunstwerk identifizieren konnte. Empfinden Sie das als amüsant oder als Affront?

Franz West: Weder noch. Ich habe keinen besonderen Gedanken dazu. Das ist eine Tatsachenbeschreibung.

Meine erste Konfrontation mit ihrer Kunst waren die berühmten Passstücke, die ich seinerzeit im 20er-Haus gesehen habe. Die Kunstvermittlerin zitierte Sie damals mit den Worten: „Ich behaupte, wenn man Neurosen sehen könnte, sähen sie so aus.“ Wie neurotisch ist Ihre Kunst?

Franz West: Ich habe mit 20 Freud gelesen und wahrscheinlich völlig falsch verstanden. Ich glaubte mich daran zu erinnern, dass Freud die Kunst in Verbindung mit Neurosen gebracht hat und es kam mir wie eine unglaubliche Schlaumeierei vor, wenn ich behaupte, dass Neurosen wohl so aussehen würden. Das ist außerdem unwiderlegbar, deshalb hab ich es gesagt – das entsprach meinem damaligen geistigen Zustand. Die Zeit war eben dünnblütig, voller Parolen …

Sie haben ja auch den Gedanken, dass jeder Mensch ein Künstler sei mitgeprägt. Sehen Sie das heute noch genauso?

Franz West: Ich sehe das insofern nicht mehr so, weil ich gar nicht mehr darüber nachdenke. Ich habe das damals so verstanden, dass sich jeder außerhalb des klischeehaften Alltagslebens betätigen kann – quasi ein Ausbrechen in die Kunst. Ich selber hatte dieses Bedürfnis und dachte, anderen könnte es genauso gehen.

Künstlertum ist ja nicht umsonst mit Exzentrik konnotiert, deshalb habe ich auch vor Künstlern wie Ihnen immer ein bisschen Angst. Ist das auch Teil der Faszination?

Franz West: Na ja, man wäre enttäuscht, wie bürgerlich manche Künstler sind. In meiner Jugendzeit habe ich hauptsächlich mit Literaten verkehrt, ganz abenteuerliche Figuren, darunter auch mein extravaganter Halbbruder (der Dichter Otto Kobalek, Anm.). Die haben wirklich exzessiv gelebt. Was viele dieser Extremisten gemeinsam hatten: Sie haben ein Mütterchen zu Hause sitzen gehabt und wie das tot war, sind die meisten gleich mitgestorben. Meinen Bruder musste ich nach dem Tod der Mutter ins Krankenhaus bringen, weil er sich allein in seiner Wohnung ins Delirium gesoffen hat. Die freischwebende Exzentrik hat also auch immer eine ziemlich starke Erdung.

Können Sie als Kurator meine Sorgen im Umgang mit Künstlern nachvollziehen oder sind Sie dazu schon zu routiniert?

Peter Pakesch: Ich erlebe die so genannte Exzentrik eher als extremspezifische Individualität, die Teil einer Werksgeschichte ist. Es ist auch Erbe einer romantischen Künstlervorstellung, dass die herkömmlichen bürgerlichen Regeln bei Künstlern nicht notwendig sind. Dort, wo die eigene Arbeit zur Norm und zu einem ganzen Kosmos wird, dort fängt mein Interesse an. Schlechte Künstler zeichnen sich durch eine aufgesetzte Exzentrik aus, die sie glauben, ständig vorführen zu müssen.

Ich finde jene West-Werke am faszinierendsten, wo ein humoristischer Titel Teil des Kunstwerks wird. Ist die ironische Komponente ein gewollter Aspekt Ihrer Arbeit?

Franz West: Ich war hauptsächlich mit Leuten zusammen, die mit Literatur zu tun hatten. Die waren sehr kritisch gegenüber ästhetischen Belangen – diesem Druck ist man mit einer gewissen Ironie begegnet. Das Spöttische ist auch ganz gut, weil es Distanz bringt, da kommen dann nicht so gesetzte Wertmaßstäbe zum Tragen. Außerdem: Was andere Leute ironisch finden, erscheint mir oft gar nicht so. Ich war kürzlich beim Impuls Tanz, da haben die Leute das ganze Stück lang sehr viel gelacht und ich habe das gar nicht verstanden. So geht’s mir oft … Lustigkeit ist ein Riesen-Missverständnis.

In einem Interview meinten Sie mal, ihre Galeristen seien von ihrem interaktiven Kunstbegriff nicht sehr angetan gewesen, weil man abgegrabschte Kunstwerke schlechter verkaufen kann …

Franz West: Am Anfang war das so. Ein Kunsthändler hat meine Sachen sogar angenagelt, damit man sie ja nicht berühren kann. Meine Kunst war für damalige Verhältnisse sehr impulsiv – heute hat sich das alles wieder beruhigt. Der Kunstmarkt und seine Wellen, das sind krankhafte Zeiterscheinungen, die sich seit dem 13. Jahrhundert ständig wiederholen.

Peter Pakesch: Die Verwendbarkeit der Objekte ist beim Franz West eine sehr wichtige Sache gewesen – und das war auch bei den Museen eine widersprüchliche Angelegenheit. Heute wird das von den Institutionen gerne angenommen – der Respekt vor Künstlern, die die Interaktion suchen, ist gewachsen. Es gibt aber nach wie vor die Widersprüchlichkeit der unterschiedlichen Interessen: Die Restauratoren sind zum Beispiel noch immer schwer dagegen, dass man Kunstwerke angreift.

War ihre Kunst auch ein Gegenkonzept zu den Aktionisten? Die so genannten Happenings waren bei aller Anarchie ja auch nichts anderes als hermetische Schaustücke.

Franz West: Na ja, ich mochte dieses übertrieben Negative nicht. Immer nur Blut und Scheiße … Schon gut, aber nur? Als ganzer Lebensinhalt? Ich beneide keinen Menschen, der in Eingeweiden lebt. Apropos: Der Hundertwasser hatte angeblich in seinem Wohnzimmer eine Plastik-Tonne, wo er immer reingeschissen hat. Das hat er dann aufgehoben.

Gibt’s die Tonne noch?

Franz West: Keine Ahnung.

Die könnte man sicher um viel Geld versteigern … Sie bewegen sich ja auch im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz. Ihre Skulpturen sind sehr viel Geld wert. Ist das für Sie ein Synonym für Wertschätzung?

Franz West: Das kann auch auf Wertschätzung beruhen … Mir ist es auf jeden Fall sehr recht. Ich hoffe halt, nicht allzu sehr davon manipuliert zu sein. Früher hat niemand meine Sachen gekauft, da war das sehr billig – das hat sich eben geändert.

Warum hat Geld in Zusammenhang mit Kunst so einen schlechten Ruf?

Peter Pakesch: Hat es das?

Franz West: In manchen Phasen schon. Zum Beispiel in den Sechzigern, da habe ich in einer Galerie in Grinzing ausgestellt und gefragt, ob die auch gleich was verkaufen können, weil ich gerne ein bisschen Geld gehabt hätte. Daraufhin haben sie mir gesagt, dass sie eine „Informationsgalerie“ seien. Damit war das erledigt.

Peter Pakesch: Das ist schon ein sehr romantisches Erbe, dass ein Künstler arm sein soll …

Sie waren ja selbst lange Galerist. Was war ihr zentrales Motiv? War es der Idealismus oder das Geld?

Peter Pakesch: Das Geld sicher nicht. Eine Galerie war damals, in den Achtzigern, eine sehr gute Möglichkeit, zeitnah etwas zu bewegen. Das wäre bei Museen unmöglich gewesen. Es gab eine ganze Generation von neuen Künstlern und was für mich wichtig war: dass so etwas wie Gruppenbildung stattfindet. Das war auch das Signifikante bei West: Dass er über seine eigene Arbeit hinaus eine fruchtbare Umgebung geschaffen hat.

Franz West: Künstler sein hat ja auch mit der Möglichkeit zu tun, einer werden zu können. Und wo es keine Galerien gibt, gibt’s eben auch keine Künstler. Kunst hängt sehr viel mit der Beziehung zum Vermittelnden zusammen.

Bewunderung und Etabliertheit sind ja etwas sehr Schönes. Geht Ihnen nicht trotzdem die Provokation ab? Wünschen Sie sich nicht manchmal die Zeiten zurück, in denen sich die Leute über Sie echauffi ert haben?

Franz West: Das tun sie ja lächerlicherweise eh noch immer. Das finde ich dann originell. Jetzt habe ich aber kürzlich für die Staatsoper den Vorhang gestaltet und interessanterweise hat sich niemand aufgeregt. Vor 30 Jahren wäre das ein Skandal gewesen. Ich musste vorher nur ein drei Meter langes Geschlechtsteil entfernen – das war dann offenbar doch nicht zumutbar.

Mit Autotheater haben Sie jetzt eine große Retrospektive, die in drei europäischen Städten (Köln, Neapel, Graz, Anm.) gezeigt wird bzw. wurde. Macht Ihnen der epische Rückblick auf das eigene Schaffen manchmal Angst?

Franz West: Nein. Sorge macht mir nur, wie das dann jeweils ausschaut. Ich habe ja starke Stimmungsschwankungen … eine Ausstellung kann nach zwei Wochen wieder ganz anders wirken. Früher habe ich mich sehr geniert für meine alten Sachen. Das ging dann immer so 10, 15 Jahre und dann hat mich wieder interessiert, was für Ideen ich überhaupt gehabt habe. Wie eine Ausstellung rüberkommt, ist letztendlich unberechenbar und auch Glückssache.

Wenn man als Kurator eine Retrospektive gestaltet, muss man sich da manchmal selbst disziplinieren, dass man nicht in eine anbiedernde Lobhudelei verfällt?

Peter Pakesch: Eine Retrospektive bedingt eine intensive Auseinandersetzung und das ist auch das Belohnende daran: Dass man sich ausschließlich auf einen Künstler konzentrieren kann. Die Frage der Lobhudelei stellt sich nicht wirklich, weil die hat eigentlich schon mit der Entscheidung stattgefunden, dass man eine Retrospektive macht. Schwierig wäre vielleicht, wenn man eine Retrospektive gestaltet und bei der Arbeit draufkommt, dass der Künstler doch nicht so gut ist – das wäre theoretisch auch möglich. Ist mir aber glücklicherweise noch nie passiert …

| FAQ 09 | | Text: Fabian Burstein | Fotos: Stefan Tauber
Share