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Freiheit in einer beengten Welt

Text: Ania Gleich | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Die Schauspielerin und Musikerin Anja Plaschg alias Soap&Skin hat im neuen Film des Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala, „Des Teufels Bad“, sowohl die Hauptrolle als auch die Komposition des Soundtracks übernommen. Im Interview erzählt Anja Plaschg von Freiheit, Vergänglichkeit und ihrer Arbeit beim Film.

© Magdalena Blaszczuk

Anja Plaschg macht lächelnd die Tür auf. Die großen Koffer in ihrer Wohnung sollen wir einfach ignorieren. Sie sei selbst gerade erst von der Berlinale zurückgekehrt. Dort wurde der neue Film „Des Teufels Bad“ des Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala gezeigt, in dem die österreichische Künstlerin die Hauptfigur Agnes spielt (Kameramann Martin Gschlacht wurde mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet). Obwohl es nicht ihre erste Filmrolle ist, zeigt das mit Genrefilm-Elementen spielende Historiendrama eine ganz neue Seite der als Soap&Skin bekannt gewordenen Musikerin. Die Geschichte aus dem 18. Jahrhundert steht stellvertretend für hunderte Schicksale von Frauen in Europa. Der Film, dessen Handlung auf historischen Verhörprotokollen beruht, erzählt von einem Phänomen, das man kaum erfinden könnte: Menschen, die an Depression litten, waren „in des Teufels Bad“. Agnes ist eine dieser Frauen und insbesondere nach ihrer Hochzeit schnürt ihr das Korsett aus gesellschaftlichen Pflichten und religiösem Dogma die Luft ab. Ihre Sensibilität und die besondere Beziehung zur Natur haben keinen Platz mehr. Also macht sie, was viele Frauen als den einzigen Ausweg aus ihrem Leiden sahen: Da Selbstmörderinnen keine Erlösung im christlichen Sinne zuteil wurde, begingen sie ein Gewaltverbrechen, um durch die folgende Todesstrafe von ihrem Schmerz und ihren Sünden erlöst zu werden. In der heutigen Zeit wäre Agnes vermutlich Künstlerin geworden, meint Plaschg.
Wieso sich die ursprünglich aus der Steiermark kommende Musikerin in der Kirche wohler fühlt als am roten Teppich, und was die Filmarbeit mit ihr als Künstlerin gemacht hat, erzählt Anja Plaschg im Interview.

Anja Plaschg trägt einen „Pouran Parvizi“-Blazer von der gleichnamigen Wiener Designerin mit iranischen Wurzeln.
Fotografiert von Magdalena Błaszczuk

Du bist gerade aus Berlin zurückgekehrt, oder?

Nach der Weltpremiere und dem Rummel auf der Berlinale bin ich erschöpft, aber glücklich, dass Des Teufels Bad endlich geboren wurde.

Ursprünglich hättest Du nur die Filmmusik für „Des Teufels Bad“ machen sollen. Was hat dich an der Geschichte so berührt, dass Du stärker involviert sein wolltest?

Grundsätzlich habe ich mich mit Veronika Franz und Severin Fiala initial wegen der Filmmusik getroffen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ungefähr gelesen, worum es geht und natürlich „Ich seh, ich seh“ gesehen, der mich sehr beeindruckte. Was die Musik betrifft, waren wir uns über Grundsätzliches gleich einig: Die Klangfarben und Instrumente der Zeit zu verwenden und sie durch meinen experimentellen Zugang zur Musikproduktion in die Gegenwart zu holen. Dann habe ich aber das Drehbuch gelesen. Und das hat mich erschüttert und bewegt. Daraufhin habe ich ihnen eine E-Mail geschrieben. Die Geschichte hat mich angesprochen, weil sie tief mit meiner Familiengeschichte verwurzelt war: transgenerationale Traumata, Katholizismus, Depression. Nach der Mail hatten Veronika und Severin dann den Impuls, mich auch für die Rolle anzufragen. Und mich hat es zerbogen.

Der Schmerz, den Agnes im Film durchlebt, erscheint universell. Obwohl die Geschichte im 18. Jahrhundert spielt, ist ihr Zustand heute noch genauso nachvollziehbar.

Ja, und deswegen habe ich das in keiner Sekunde hinterfragt: Es war so klar. Ich kann mich jetzt mit mir, mit meiner Person, mit meiner Geschichte vollkommen hineinstürzen. Gleichzeitig geht es aber nicht um mich, sondern um das Schicksal so vieler Frauen, die zu dieser Zeit keine Stimme bekommen haben. Und nur dadurch, dass sie diese Verbrechen begangen haben, wurden ihre Geschichten dokumentiert.

Wie hast Du Dich auf die Rolle psychisch und physisch vorbereitet?

Ich habe das tatsächlich anfangs sehr praktisch gedacht. Wir haben ja entschieden, dass ich meinen steirischen Dialekt wieder erlernen muss. Kurz war die Überlegung, dass ich auch Oberösterreichisch spreche. Aber dann war es gewollt, etwas Vergrabenes wieder aufzudecken und die zermürbende Fremdheit, in der sich Agnes befindet, damit auch zu verstärken. Nur ich hatte meinen Dialekt in der Zwischenzeit verlernt. Daraufhin habe ich ein Jahr sehr viel Zeit in der Steiermark und bei meinen Verwandten verbracht. Ich habe dort bei der Schafzucht, beim Hühnerschlachten oder bei der Feldarbeit mitgeholfen.

Und in puncto Psychohygiene?

Ich habe anfangs überlegt, ob ich ein Coaching oder eine psychologische Begleitung brauche, aber das war recht schnell verworfen. Irgendwas hat mir eine unheimliche Sicherheit gegeben, auch wenn ich wusste: Ich gehe in einen Wahnsinn. Aber allein durch Veronika und Severin wurde eine tolle Ebene aufgespannt, auf der wir uns menschlich und künstlerisch finden konnten. Das war ein respektvoller und warmer Umgang – es gab sehr viel Halt. Das ganze Team war sehr innig und liebevoll. Ich wüsste nicht, ob dieser Prozess in einem größeren, professionelleren, kälteren Gefüge funktioniert hätte.

Prinzipiell ist Film Teamarbeit. Wie war das für Dich als Musikerin?

Ich empfand die Arbeit im Film als luxuriös. Du stehst jeden Tag um dieselbe Uhrzeit auf und weißt, was zu tun ist. Und das gemeinsame Arbeiten an einem Werk ist total stärkend. Vor allem, weil ich es sonst nicht kenne: Als Solo-Künstlerin habe ich hundertprozentige Verantwortung für das, was herauskommt.

Wer wäre Agnes in der heutigen Zeit?

Ich glaube, aus dem Bauch heraus: Künstlerin. Das gibt es ja nach wie vor: Sehr viele Menschen passen nicht in die Gesell-schaft und funktionieren nicht in dem Rad, das von uns erwartet wird. So fühle ich mich auch wie viele andere.

© Magdalena Blaszczuk

Der Charakter von Agnes findet durch ihre Handlung – den Mord am Kind und dadurch die Erlösung von ihrem Schmerz – Macht in ihrer Ohnmacht. Welche Bedeutung hat Freiheit in diesem Film?

Zum einen, dass es in ihrer Zeit in unserem Sinn keine Freiheit für sie gab. Und das war das Tragische: Das Dogma der Kirche hat eine totalitäre Unfreiheit erzeugt. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wie frei sind wir heute wirklich? Es tun alle so, als ob. Dabei kommt mir vor, die Unfreiheit in unserer Gesellschaft verschärft sich derzeit wieder durch digitale Parallelwelten, den allgemeinen Ton und die Polaritäten zwischen uns, die immer stärker werden. Zum anderen will ich ein Plädoyer für den Freitod stellen: Allein das Wort „Selbstmord“ impliziert Gewalt. Dass der Freitod immer noch ein Tabu ist, spricht der Film für mich auch gut an. Agnes findet ihr größtes Glück in dem Moment, in dem sie endlich frei, erlöst von ihrem Schmerz sein kann.

Du meintest, Du hast zur Vorbereitung viel Zeit in der Steiermark verbracht: Was ist Deine persönliche Beziehung zu Religion, Tradition und Depression?

Ich habe eine persönliche Geschichte, die ich im Rahmen dieses Films auch erzähle: Ich bin sehr religiös aufgewachsen. Aber nicht direkt durch meine Eltern, sondern durch meine Großeltern väterlicherseits, mit denen wir bis zu ihrem Tod auf sehr engem Raum zusammengelebt haben. Sie waren streng katholisch. Meine Großmutter ist nach dem Tod meines Großvaters in eine Depression gefallen, die leider nicht erkannt und behandelt wurde. Man hat meine Oma nicht ernst genommen. So habe ich vier Jahre ihre Zustände miterlebt. Beim Dreh habe ich viel an sie gedacht. Sie hat auch damals immer die Himmelmutter angerufen und sie um Hilfe gebeten. Für mich war es als Kind heftig zu sehen, wie sich ihre Religiosität mit der Depression vermischte und wie diese Vermengung in Annäherung zum Tod und Sterben in ihr eskalierte. Das war aber nicht der einzige Fall in meiner Familie.

Depression ist weit verbreitet und ich bin auch davon betroffen. Inwiefern ist Agnes für Dich „eingesperrt“, oder ist sie das überhaupt?

Ja, sie und alle anderen Protagonisten im Film sind symbolisch gesehen eingesperrt, aber Agnes findet durch ihren besonderen Zugang zur Natur, zu Tieren und Insekten ihr kleines Licht, das sie begleitet, doch dann bis zum Ende auch erlischt …

Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 74

 

DES TEUFELS BAD / THE DEVIL’S BATH
Psychodrama/Horror, Österreich/Deutschland 2024
Regie, Drehbuch: Veronika Franz & Severin Fiala
Kamera: Martin Gschlacht; Schnitt: Michael Palm; Musik: Soap&Skin; Sound Designer: Matz Müller Szenenbild: Renate Martin & Andreas Donhauser; Kostüm: Tanja Hausner; Maskenbild: Judith Kröher Falch, Tünde Kiss-Benke; Spezialmaske: Roman Braunhofer; Casting: Henri Steinmetz
Mit: Anja Plaschg, David Scheid, Maria Hofstätter, Natalija Baranova, Lukas Walcher, Claudia Martini, Agnes Lampl, Camilla Schielin
Verleih: Filmladen, 121 Minuten
Filmstart: 8. März

 

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