Aus Müll mach mehr: Die Fotostrecke „Recycling Into Art“ der russischen Künstlerin und Modedesignerin Venera Kazarova gibt dem Wort „trashig“ eine ganz neue Bedeutung.
Aus Mist Kunst zu Machen – böse Zungen würden behaupten, dass das für viele Musiker, Künstler und Filmemacher unserer Zeit zum Alltag gehört. Den direkten Weg zu gehen, und aus „echtem“ Abfall etwas mit Message zu erschaffen, das ist auch nichts Neues mehr. Recycling, Upcycling, Downcycling sind Begriffe, die bereits in unsere Gesellschaft gehören wie das Mango-Lassi zum Wiener Naschmarkt-Bobo. Und das ist auch gut so, lesen sich die aktuellen Klima-Reporte doch so wie der nächste Katastrophenfilm von Roland Emmerich. Dass es höchste Zeit ist, etwas zu tun, hat ein Teil der Menschheit also schon kapiert, ohne dass berühmte Schauspieler in ihren Oscar-Reden darauf hinweisen müssen.
Ohne Umschweife
Einen ganz direkten Weg in dieser Hinsicht geht die in Moskau beheimatete Künstlerin und Modedesignerin Venera Kazarova. Sie kreiert aus entsorgten Materialien wie Netzen, Müllbeuteln & Co. etwas, das man auf den ersten Blick schon High Fashion nennen könnte. Festgehalten wurde diese Müll-Couture in der Fotostrecke „Recycling Into Art“, für die sie mit der Fotografin Ira Bordo und Make-up-Artist Olga Glazunova zusammenarbeitete. „Ich will zeigen, dass Luxus in den simpelsten Alltagsdingen stecken kann.“, so die Russin, die auch Kleidung für Theaterproduktionen und Choreografien entwirft. Inspiration findet sie vor allem in den Formen der Natur, träumerischen Landschaften und der Märchenwelt. Und natürlich aus der Welt der Kunst, wie ihre Fotostrecken „Arcimboldo“ und „Magritte revisited“ zeigen. Mal schafft sie zerbrechlich-wirkende Kleider aus Papier-Scherenschnitten, mal sind ihre Konzepte düstere und erotische Reminiszenzen an die Entwürfe von Alexander McQueen. „Ich versuche mit meinen Arbeiten meine Liebe zu Materialien wie Papier und Stoff mit besonderen Vintage-Teilen oder eben recycelten Materialien wie Kunststoff zu verbinden. Dabei verwende ich alles, was mir in die Hände fällt.“
Saint Laurent lässt grüßen
So sind ihr bei „Recycling Into Art“ ausrangierte Gebrauchsstoffe und Verpackungsmaterialien in die Hände gefallen. Die Models in der Fotostrecke posieren in perfekter Haute-Couture-Manier, eingehüllt in fantastische Gebilde aus Plastik, Papier und Metall. An die Stelle von kostbarem Chiffon tritt altes Brotpapier. Statt feiner Seide und Perlenstickereien „veredeln“ Luftpolsterfolie und Strohhalme die Kreationen. Kostüme aus Müllbeuteln mit Off-Shoulder-Schnitt hätten vielleicht auch Yves Saint Laurent begeistert. Und Headpieces, geformt aus altem Besteck, wirken geradezu kämpferisch. Und wie so oft in der Modewelt ist die richtige Attitude alles: In theatralischen Posen und passender Miene sieht man die Models, die wirken, als trügen sie die erlesensten Roben aus Paris und nicht den Müllbeutel von gestern. Würdevoll und nachdenklich blicken die Mannequins in die Kameralinse oder ins Leere, die Thematik lässt auch wenig Grund zum Feiern. Auffallend ist auch, dass die Künstlerin vor allem Dinge verwendet, die alle direkt nach ihrem ersten Gebrauch wieder weggeworfen werden. Auf die Tatsache, welche Fülle an solchen Einwegprodukten es gibt, wird man durch dieses Projekt erst aufmerksam. Plastikteller, Plastikbecher und Plastiklöffel in unschuldigem Weiß werden zu Heiligenscheinen drapiert, ein Widerspruch und Fingerzeig zugleich. Verpackungsmaterial und Papierservietten erheben sich explosionsartig vom Kopf des Models, genauso wie Wölkchen aus glänzender Alufolie. Die Lücke zwischen Müll und Glamour, von der man dachte, dass sie unüberwindbar sei, füllt Kazarova mit ihren außergewöhnlichen Konstruktionen – und ein bisschen Glitter im Gesicht. Mit dem richtigen Zugang kann eben auch Schrott zu etwas Wunderschönem werden, und das im besten Sinne. Die Outfits und Headpieces hat die Künstlerin übrigens rein für diese Fotostrecke angefertigt und direkt auf den Models modelliert. Wiederverwendbar sind sie dadurch nicht und werden damit – und das ist vielleicht die gewollte Ironie an der Sache – zum Wegwerfprodukt.
Fotos: Ira Bordo; MUAH: Olga Glazunova; Models: Anna Shmorgun@Aquarelle models,
Lina @Aquarelle models, Julia Koshelevaâ