Es gibt mehrere Antworten auf die Frage, wer Hedy Lamarr war. Eine lautet: Ein Filmstar, bedeutend vor allem in den 1940er Jahren, vermarktet von MGM, dem Hollywood-Studio, bei dem sie unter Vertrag stand, als „schönste Frau der Welt“. Eine andere: Das junge Ding, das in diesem uralten Film nicht nur vollkommen nackig schwimmen ging, sondern deren Gesicht wenige Szenen später auch die titelgebende Ekstase, sexueller Natur natürlich, abbildete. Dritte Möglichkeit: Eine skandalaffine Lebedame, der zahlreiche Affären auch mit Frauen nachgesagt wurden, die sechs Mal verheiratet war, die zwei Mal beim Ladendiebstahl erwischt wurde und die dem drohenden Alter mit Hilfe zahlloser „Schönheits“-Operationen zu entkommen suchte, solange, bis nichts mehr zu retten war. Weitere Möglichkeit: Eine dieser ehemals glamourösen Diven, die sich aus der Öffentlichkeit schließlich zur Gänze zurückziehen, die auf unscharfen Bildern wesen, von denen gerüchteweises gemunkelt wird und die möglicherweise lange schon tot sind.
Die erste Antwort aber müsste lauten: Hedy Lamarr war die Erfinderin eines Frequenzsprungverfahrens vermittels dessen Torpedos auf verschlüsselten Funkkanälen gesteuert werden konnten. Sodann ließe sich ergänzen, dass auf dieser Erfindung weite Bereiche unserer modernen Kommunikationstechnologie (WiFi, GPS, Bluetooth) fußen sowie selbstverständlich jede Menge militärischer Anwendungen. Abschließende Fragen: Wem mag diese Antwort wohl tatsächlich als allererste einfallen? Und wer mag sie ohne Mühe zur Deckungsgleiche bringen, die glamourös schimmernde Sexgöttin und den weiß bekittelten Erfindergeist?
Bombshell: The Hedy Lamarr Story ist angetreten, diesen Missstand zu beheben. Soll heißen, Lamarrs unbestreitbare Verdienste im Vergnügungssektor um ihre, historisch gesehen, sehr wahrscheinlich doch um einiges bedeutenderen im Bereich der Wissenschaft zu ergänzen. Zwar ist Alexandra Deans Dokumentarfilm nicht der erste, der dies unternimmt – schon 2004 beleuchtete der Österreicher Georg Misch mit seinem essayistischen Porträtfilm Calling Hedy Lamarr die bis dato eher verschattete Seite der Diva –, doch gelingt es ihm, das Thema zu öffnen und das Beispiel Lamarr als paradigmatische Studie für das Dilemma der schönen Frau im 20. Jahrhundert zu behandeln.
Dabei wendet Dean das klassisch-konventionelle Dokumentarfilmverfahren an: Talking Heads im Wechsel mit illustrierenden Bildern rufen die Vergangenheit wach: Stationen einer Biografie, die chronologisch geordnet dargeboten wird; Familienmitglieder steuern ihre Erinnerungen bei, Wissenschafts- und Filmhistoriker nehmen Einschätzungen vor, Fans geben ihrer Bewunderung Ausdruck, dazu gesellen sich in fließender Montage Archivaufnahmen und Originaldokumente, Musik wird moderart eingesetzt und bleibt dezent im Hintergrund. Insgesamt und zum großen Glück widersteht Dean der Versuchung, die zahlreichen Widersprüche und Brüche glätten oder auflösen zu wollen, die das abenteuerlich turbulente Leben der Lamarr durchziehen. Statt Zielgerichtetheit zu suggerieren, wo keine war, gelingt ihr damit vielmehr ein Bild in der Fläche, das zeigt, wie dieses Leben, aufgespannt zwischen den beiden Polen Hollywood-Göttin und Daniel Düsentrieb, eine geradezu unüberblickbare Reihe von Anspielstationen fand. Es ist dies ein Bild, das einer durchschnittlichen menschlichen Existenz hienieden, die bekanntlich mehr dem Chaos denn der Sinnhaftigkeit gehorcht, äußerst angemessen ist. Soll heißen: Ordnung ergibt sich immer erst in der Rückschau, und Ordnung wird hier nicht gesucht, weil sie dem Gegenstand nicht gerecht wird.
Der Gegenstand: Hedy Lamarr wurde als Hedwig Eva Maria Kiesler am 9. November 1914 in Wien in einen großbürgerlichen jüdischen Haushalt hineingeboren und wuchs in Döbling auf; Vater Emil war Bankdirektor, Mutter Gertrud ausgebildete Konzertpianistin, Hedwig besuchte eine Privatschule und wurde in ihrer kreativen Entwicklung gefördert. In späteren Jahren erklärte Hedy Lamarr ihren Erfindergeist unter anderem mit der Erklärungsfreudigkeit ihres Vaters. Der sah offenbar kein Problem in dem naturwissenschaftlichen Interesse, das seine kleine Tochter an den Tag legte; statt sie auf Puppenspiel und spätere Heirat zu verweisen, beantwortete er jede ihrer neugierigen Fragen bis ins kleinste Detail und schulte solcherart das Bewußtsein des Mädchens für technische Zusammenhänge und mechanische Grundlagen.
Großgeworden in den Roaring Twenties lag es für die junge Frau aus gutem Hause, die fast noch ein Mädchen war, deren Schönheit aber bereits ganze Ballsäle raunen machte, vermutlich nahe, ihr Glück beim relativ neuen Medium Film zu versuchen. Und da gutes Aussehen die Währung dieser Industrie ist, war Hedwig Kiesler reich. Es dauerte nicht lange, da spielte sie Hauptrollen. Und es dauerte nicht lange, da zog sie sich aus. Der 1933 unter der Regie von Gustav Machatý entstandene Ekstase sorgte aus oben bereits erwähnten Gründen für einen handfesten Skandal. Und trieb ihren ersten Mann, den österreichischen Waffenfabrikanten und Austrofaschisten Fritz Mandl, in den eifersüchtigen Wahn, alle vorhandenen Kopien des freizügigen Films aufkaufen zu wollen. Es war dies Vorhaben glücklicherweise ebensowenig von Erfolg gekrönt wie der Versuch, seine Gattin auf die Funktion des hübschen Anhängsels (im Englischen „Trophy Wife“ und/oder „Armpiece“) zu reduzieren – letzteres sollte auch seinen Nachfolgern nicht gelingen. 1937 ergriff Hedwig filmreif die Flucht aus der Mandl-Ehe und brauchte nicht lange, um unter dem Namen Hedy Lamarr in Hollywood Fuß zu fassen.
All dies, und wie erstaunlich kreuz und quer, ja eigentlich drunter und drüber es weiter ging, lässt sich auf kurzweilige Weise in Deans Film verfolgen. Dessen veritables Herzstück aber sind die Tonbandaufnahmen eines Interviews, das der Journalist Fleming Meeks 1990 via Telefon mit der zu diesem Zeitpunkt bereits völlig zurückgezogen und zudem verarmt lebenden Lamarr geführt hat. In ihren eigenen Worten und mit ihrer eigenen Stimme wird nun also endlich hörbar, was ihr wichtig war. Nicht das, was andere für wichtig hielten. Hörbar wird auch eine warmherzige und humorvolle Frau, die zwar vielfach enttäuscht und unterschätzt und manipuliert und ausgebeutet worden ist, die darüber aber weder den Glauben an sich selbst verloren hat, noch an der Welt in all ihrer Ungerechtigkeit verzweifelt ist. Und die sich darüber hinaus ein fröhliches Gemüt bewahrt hat.
Als Hedy Lamarr 1997 von der Electronic Frontier Foundation mit dem Pioneer Award ausgezeichnet wurde, meinte sie lapidar: „It’s about time.“ Drei Jahre später, am 19. Januar 2000, starb sie in Altamonte Springs, Florida. 2014, zu ihrem Hundertsten Geburtstag, erhielt sie am Wiener Zentralfriedhof ein Ehrengrab; im selben Jahr wurde sie in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen. Unnötig zu sagen, dass den Gewinn, den ihre Erfindung abwirft, andere einstreichen.
Stellen wir uns vor, was Hedy Lamarr, oder besser Hedwig Kiesler in ihrem Leben hätte erreichen können, wenn sie Wissenschaftlerin geworden wäre, anstatt sich im Hollywood-Studiosystem in einigen letztlich doch eher marginalen Filmen zu verdingen. Stellen wir uns vor, was hätte sein können, wäre es zur Abwechslung einmal nicht um die Schönheit einer Frau gegangen, sondern um ihren Verstand.
GENIALE GÖTTIN – DIE GESCHICHTE VON HEDY LAMARR /
BOMBSHELL: THE HEDY LAMARR STORY
Biografie, Dokumentation, USA 2017
Regie, Drehbuch: Alexandra Dean; Kamera Buddy Squires, Alex Stikich;
Schnitt: Alexandra Dean, Penelope Falk, Lindy Jankura;
Musik: Jeremy Bullock, Keegan DeWitt
Verleih: Polyfilm, 88 Minuten
Kinostart: 31. August 2018