Als die Diagonale 1996 zum ersten Mal in Graz stattfand, da hatte man gleich das Gefühl, dass da etwas passte. Die Vorgeschichte des Festivals war spannend und auch turbulent gewesen, mit Filmtagen in Wels, die noch von einem ganz anderen Geist geprägt waren (und auch noch nicht Diagonale hießen), dann mit drei Jahren in Salzburg, vom Programm her durchaus vielversprechend, aber es klickte irgendwie nicht. Mit dem Termin im frühen Frühling im südlichen Graz traf die Diagonale dann eine gute Konjunktion, dazu kommt auf jeden Fall, dass die Stadt eine lange intellektuelle (und eine damit einhergehende hedonistische) Tradition hat, in die man sich gar nicht ausdrücklich stellen musste, um sie auf neue Weise weiterzuschreiben.
Ein Dokumentarfilm von Markus Mörth bei dieser diesjährigen Diagonale gibt zu diesen Umständen ein wenig Kontext: Die Grazer Gruppe beschäftigt sich in erster Linie mit Literatur, da das nun einmal das Leitmedium von Leuten wie Alfred Kolleritsch oder Barbara Frischmuth war, und von Peter Handke, der in diesen Zusammenhang selbstverständlich auch gehört. Es taucht aber auch Willi Hengstler auf, der als Filmemacher vielleicht sogar bekannter ist, vor allem wegen Fegefeuer (1989). Nebenbei erfährt man in Die Grazer Gruppe auch viel von den Generationenverhältnissen, die Österreichs Nachkriegsgeschichte bestimmt haben. Bei der Diagonale könnte man sich ja durchaus fragen, ob die Festivalgeschichte nicht auch ein Indiz für ein geglücktes Generationenexperiment ist: Wo das Forum Stadtpark sich noch als Avantgardefestival begreifen musste, kann ein heutiges österreichisches Filmfestival alle Formen vom populären Fach bis zum abgefahrensten innovativen Film in sich aufnehmen. Es bildet damit nicht zuletzt Strukturen ab, die von der Generation Bildungsexplosion geschaffen wurden: eine differenzierte Filmförderung, vielfältige Studienmöglichkeiten.
Die Filmemacherinnen und Filmemacher, die heutzutage das Programm der Diagonale bestreiten, können von flachen Hierarchien profitieren, die längst etabliert sind. Zum Beispiel ist das Privileg, dass der Spielfilm die Königsdisziplin ist, längst überwunden. Dieses Jahr eröffnet die Diagonale mit einem Dokumentarfilm von Elke Groen über die Stadt Pinkafeld: Der schönste Platz auf Erden. Aus Pinkafeld kommt Norbert Hofer, der FPÖ-Politiker, der einmal Bundespräsident werden wollte, und der damals seine Stadt zu einer Norm erklärte. So wie in Pinkafeld sollte Österreich idealerweise sein, er sah da allerdings viele Bedrohungen. Und er sah sicher nicht das ganze Pinkafeld. Das tut auch Elke Groen nicht, aber sie wird als Dokumentarfilmerin darauf achten, nicht ein Bild durch ein anderes zu belegen, sondern nach Unterschieden und differenzierten Eindrücken zu suchen.
The Lodge, Veronika Franz, Severin Fiala 2019
Ein bisschen zeigen sich die traditionellen Hierarchien dann natürlich doch noch: Im Programm stößt man zuerst einmal auf die langen Spielfilme. Die Festivalleitung zeigt sich bei dieser Sektion in der Regel pragmatisch, es geht da eher darum, ein umfassendes Bild der jährlichen Produktion zu zeigen, und nicht nur das, was die höheren Weihen der Filmkunst verdient. 2020 fallen in diese Kategorie auch drei größere internationale Produktionen, nämlich 7500 von Patrick Vollrath (ein Flugzeug-Thriller mit Joseph Gordon-Levitt, der zeigt, wie weit man es von der Wiener Filmakademie aus bringen kann), A Hidden Life von Terrence Malick (beruhend auf der Lebensgeschichte des Innviertler Bauern und Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter, der 1943 von den Nazis hingerichtet wurde), und The Lodge, der neue Film des Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala, die sich mit Ich seh, ich seh einen Namen im Horrorgenre gemacht haben.
„The Trouble with Being Born“, Sandra Wollner 2020
Besonders gespannt darf man bei den Spielfilmen wohl auf The Trouble with Being Born von Sandra Wollner sein, der gerade erst bei der Berlinale in der neuen Sektion Encounters Weltpremiere hatte. Auch hier spielen Genre-Aspekte eine Rolle, denn die gebürtige Steirerin, die in Baden-Württemberg studiert, beschäftigt sich mit dem Thema Mensch und Maschine. Es ist sicher kein Zufall, dass Science-Fiction, lange Zeit tendenziell ein Männergenre, inzwischen von Frauen neu erschlossen wird …
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Festival des österreichischen Films
24.–29. März 2020, Graz