Produkte und Preise sind zweitrangig. Die Kunden erwerben ihren persönlichen Anteil am Charme der geliebten Marke!“ Es sind Aussprüche wie dieser – im konkreten Fall ein Zitat des deutschen Markenverbands-Präsidenten Franz Peter Falke – die wie ein Mantra durch die gewinngetriebenen Marketing-Abteilungen geistern. Es scheint fast so, als ob die „Marke“ zum allheilbringenden Messias diverser Konsum-Variablen geworden wäre: Treue, Vertrauen, Intensität, Preistoleranz, Mundpropaganda – all das scheint nur dort zu funktionieren, wo die Emotionalität der Marke an die Stelle rationaler Kaufvorgänge getreten ist.
Doch was stimuliert das vielbeschworene „Gefühl“? Unternehmen rund um den Globus geben Millionen, wenn nicht sogar Milliarden aus, um es mittels aufwendiger Werbekampagnen herauszufinden. Was jedoch viele der so genannten Brand-Strategen vergessen: Dass etablierte Marken selten „gemacht“, sondern viel häufiger im Rahmen eines jahrzehntelangen Prozesses entstanden sind. Umso neidvoller blickt man auf jene Mitbewerber, die dieses Procedere schon hinter sich haben und „nur mehr“ darum kämpfen, den, über Generationen gewachsenen Ansprüchen immer wieder aufs Neue gerecht zu werden. Ihre Botschafter sind keine Spots, Anzeigen und Broschüren, sondern viel eher Menschen, die selbstverständlich mit einer Marke leben und ihren Geist unaufgefordert weitertransportieren.
Dies ist das Porträt so einer Marke, deren Stern, trotz einer nicht immer einwandfreien Moderne, sämtliche Konkurrenten überstrahlt. Und es ist das Porträt eines Menschen, der dem Stern freiwillig folgt und auf seiner Reise immer ein paar Leute auf der Rückbank sitzen hat.
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Gerne nimmt man Mercedes-Fahrer aufs Korn. Protzer seien sie, Neu- und Immer-schon-Reiche, die ihren Wohlstand mit teuren Autos und einem fadenkreuzartigen Motorhauben-Schmuck zur Schau stellen. Nichtsdestotrotz gehört eine dick ausgestattete S-Klasse zum klassen-übergreifenden Wunschdenken vieler, vorwiegend männlicher Führerscheinbesitzer. Das Phänomen ist wohl dort zu suchen, wo Konsumenten behaupten, beim Lebensmitteleinkauf auf perfektes Service zu achten und dann in Lidl-Filialen zuschlagen: Soziale Erwünschtheit heißt die Krux der zur Schau gestellten Adoration. Und so haben Mercedes-Fahrer und Mercedes-Nichtfahrer eines gemeinsam: Sie verschweigen etwas. Die einen, dass sie ihr Wohlbefinden über ein Auto definieren – und die anderen, dass sie ihr Wohlbefinden gerne über ein Auto definieren würden, es sich aber nicht leisten können. Das unbeschwerte Bekenntnis zum Kult-Auto Mercedes beginnt rund 25 Jahre früher, bei der legendären W123er-Baureihe, die von 1976 bis 1986 – also eine Dekade lang – die gehobene Mittelklasse dominierte. Kaum jemand würde heute bestreiten, dass die Coupés, Stufenhecklimousinen und Kombis jener Modell-Ära noch im Hier und Jetzt zu den optischen Highlights der designaffinen Automobil-Welt zählen.
Die Verkaufsbezeichnungen der 123er endeten, wie bei Mercedes üblich, auf Null: Egal ob 220D, 280CE oder 300TD – jede Subklassifizierung demonstrierte das hohe Traditionsbewusstsein der Marke. Die Usance der abschließenden Null ist bis heute State of the art. Doch jenseits der Nomenklatur beklagen Mercedes-Liebhaber mit dem Auslaufen der 123er Serie das Ende einer legendären Epoche – eine Epoche, in der ein Mercedes schon mal 750.000 Kilometer ohne gröberen Defekt fuhr, in der ein Motor selbst bei afrikanischen Temperaturen nicht überhitzte und ein „Zierat“ diesen Namen auch verdiente. Haben Sie sich schon mal gefragt, wann und warum Mercedes seine Vormachtstellung im Taxi-Segment determinierte? Die Antwort wurde Ihnen soeben auf einer zeitlosen Kühlerhaube serviert.
Hier, im Epizentrum des 123er-Siegeszugs, kumuliert das Charisma der Marke Mercedes. Alles davor – etwa der 600er Mercedes Pullman oder der 300SL Roadster Flügeltürer – steht ob der historischen Dimension außer Frage. Und alles danach ist eben Mercedes, wie man ihn heute kennt: Ein Auto mit erstklassiger Qualitätsanmutung, aber nicht immer mit erstklassiger Qualität. Womit auch die Frage beantwortet wäre, warum immer mehr Taxler auf Skoda Octavia umsteigen.
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Die Geschichte des Namens Mercedes ist im Grunde eine österreichische. „Mercedes“ selbst kommt eigentlich aus dem Spanischen und heißt „Gnade“. Und als solche empfand es der in Baden bei Wien ansässige Geschäftsmann Emil Jellinek, wenn er – wir schreiben das Jahr 1897 – in einem motorisierten Gefährt aus dem Hause Daimler saß. Jellinek wurde zum ersten „Testimonial“ des Daimler-Konzerns, indem er wie besessen neue Fahrzeuge orderte, um damit in den so genannten „besseren Kreisen“ – bei Aristokraten, Finanzmarktgrößen und Kulturkapazundern – zu reüssieren. Zwischendurch probierte er sich sogar als Rennfahrer und verwendete dabei ein, durch seine zehnjährige Tochter inspiriertes Pseudonym: Mercedes. Der Rest ist Geschichte: Emil Jellinek avancierte im auslaufenden 19. Jahrhundert zum Vertriebspartner von Daimler und bestellte in bis dato nicht gekannten Stückzahlen. So kam es, dass sich das Prinzip „Wer zahlt, schafft an“ wieder mal bewahrheitete. Schon bald tauchte der Name „Daimler-Mercedes“ am Markt auf und machte Mercedes zu einem Markennamen, der auf der Liebe eines Vaters zu seiner Tochter basiert.
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Wenn Manfred Schmid über die Geschichte des Namens Mercedes erzählt, spürt man eine seltsame Empathie. Zwar ist der Vintage-Benz-Spezialist – ganz so, wie es das Klischee des passionierten Autoschraubers vorgibt – Vater dreier Söhne. Doch seine Liebe zu Mercedes ist denselben Weg gegangen wie seinerzeit im Hause Jellinek: Zuerst sprang der Funke vom Auto auf den Vater über. Und der teilte die automobile Leidenschaft mit dem Nachwuchs. Somit könnte Mercedes auch Manfred heißen oder Tausende andere Namen tragen. Denn die Geschichte von Mercedes wird immer auch eine zwischenmenschliche bleiben, die man von Generation zu Generation weitergibt. Daran kann nur einer – oder besser gesagt eine – etwas ändern: Nämlich Mercedes selbst. Letztendlich hat es die Marke in der Hand, ob man die sterile Masse oder die treuen Affinados begeistern will. Beides ist legitim. Doch in jedem Fall muss man mit den Konsequenzen leben.
Was die Jellineks und die Schmids unterscheidet, ist ein Lehrstück dafür, dass Kult zumeist unabhängig von sozialen Schichten funktioniert. Während der alte Emil wie verrückt sammelte, ging es bei Manfreds Vater um den einen sehnsüchtig herbeigesehnten Mercedes, der im Neuzustand das Haushaltsbudget bei Weitem gesprengt hätte. „Die Marke Mercedes ist bei uns auf den Tisch gekommen, weil sie damals große Autos mit Diesel-Motoren gebaut haben, die sparsam und auch hundertprozentig verlässlich waren.“ Dass sich die Gründe für das Faible weit komplexer gestalteten, ahnte der Halbwüchsige Schmid schon damals. Vielleicht auch weil er sah, wie der Vater für seinen kleinbürgerlichen Traum vom eigenen Mercedes kämpfte. „Mein Vater war kein reicher Mann. Er hat nichts weggeschmissen und immer alle Teile aufgehoben. Als Bub habe ich immer mitgeschraubt, wenn er wieder mal aus drei Wracks ein funktionierendes Auto bauen wollte.“ Aus jener Zeit nahm Manfred Schmid die Erkenntnis mit, dass einem nichts geschenkt wird. Fast hätte Schmid gesagt: „Auch nicht vom eigenen Vater.“
Denn als der 18-jährige Manfred die Matura bestand, schloss er von anderen auf sich. Und die bekamen Reisen, Wohnungen, Motorräder und eben Autos. Schmid Senior offerierte „nur“ die Möglichkeit eines Studiums – zunächst eine herbe Enttäuschung.
Manfred Schmid sagt es nicht. Weil er weiß, dass ihm der Vater sehr wohl etwas geschenkt hat. Nämlich die Begeisterung für Mercedes, die Lust am Schrauben, summa summarum also die Leidenschaft für seinen heutigen Beruf. Diese Leidenschaft machte Schmid zu einer Art Integrationsfigur der deutschsprachigen Vintage-Benz-Szene. Einerseits repariert, restauriert und rekonstruiert er sein liebstes Spielzeug – nämlich legendäre Modelle aus allen möglichen Epochen – andererseits geht er, bezahlterweise, immer wieder auf Jagd nach neuen Raritäten.
Manfred Schmids Modus vivendi ist in vielerlei Hinsicht eine Antithese zu heutigen Konsummechanismen. Manchmal müssen Kunden ein Jahr und länger warten, bis sie das gewünschte Auto schlüsselfertig bekommen. Doch Geduld ist in diesem Genre unabdingbar. Das weiß Schmid schon seit seinem ersten Mercedes. „In meinem Elternhaus stand ein 190er Ponton, der 20 Jahre in der Familie war, aber nicht genutzt wurde. Ich habe beim Großvater angeklopft und das Auto eingefordert. Der war garstig genug, mir diesen Mercedes zu verkaufen. Ich musste also hart dafür arbeiten … Den hab ich bis heute. Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Mit „kosten“ meint Schmid in erster Linie Zeit – und die müssen auch Kunden in Form von Contenance opfern. „Die Leute wollen nur das Ziel und nicht den Weg“, schüttelt er etwas abwesend den Kopf. In solchen Fällen würde er die Kundschaft am liebsten zu einem Mercedes Neuwagen-Händler schicken.
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An manchen Tagen kommt Schmid in seine Penzinger Werkstatt und hat dort mehrere 300er SL Coupés – jedes davon rund 100.000 Euro schwer – stehen. Hie und da wird er auch ins Ausland, etwa nach Paraguay, geflogen, um einen ganzen Mercedes-Fuhrpark zu warten. Doch das Salz in Manfred Schmids Sternchen-Suppe ist das oberste Geschoss einer Wiener Park-Garage, die er für die Lagerung von zirka 150 Mercedes-Karosserien nutzt. Das Gros der Fahrzeuge gehört anderen Vintage- Benz-Liebhabern, die sich quasi „unbefristet“ eingemietet haben. Per Definition ist dieser Ort nichts weiter als ein Schrottplatz – schließlich ist kaum eines der Autos fahrtüchtig, geschweige denn pickerltauglich. Doch für den Mercedes-Liebhaber Schmid bedeutet der riesige Blechhaufen ein Sammelsurium an Geschichten, Erinnerungen und wertvollen Ersatzteilen. Rostende Raritäten stehen hier neben ausrangierten 08/15-Modellen. „Für mich ist diese Sammlung ein Mittelding aus Genie, Glück, Wahnsinn und auch ein bisschen Angst.“ Und noch viel mehr. Schon während des Maschinenbau-Studiums erarbeitete sich Schmid ein beträchtliches Zubrot durch die Reparatur von Autos. Auf Kosten der abschließenden Diplomarbeit machte sich der Fast-Magister mit einem Automobil-Kleinhandel selbstständig und wurde ob seiner stetig wachsenden Reputation in Reparatur-Belangen prompt wegen unbefugter Gewerbeausübung angezeigt. Was folgte, war eine Ausnahmeregelung der Kammer, ein gemeinsames Unternehmen mit einem Freund inklusive unschönem Zerwürfnis und schließlich die aktuelle Werkstatt im 14. Wiener Gemeindebezirk. Jedes Kapitel der professionellen Vita brachte einige mehr oder weniger wertvolle Relikte, die heute als ideelle Monumente ein ganzes Parkdeck füllen. Mittlerweile versucht Manfred Schmid verstärkt, sich von den restaurierbaren Fahrzeugen zu trennen. Doch es fällt ihm sichtlich schwer, loszulassen. „Du musst von mir probieren, mal ein Auto zu kaufen … Das klingt jetzt sehr präpotent, aber ich such mir meine Kundschaft aus. Ich freu mich, wenn jemand spürt, was ich ihm zu vermitteln versuche.“ Letztendlich ist Manfred Schmids Überwindung nichts anderes als eine Katharsis. „Ich will viel von dem Zeug loswerden, um mich wieder auf die feinste Art von Autos zu fokussieren. 300SL Roadster Flügeltürer, 600er Mercedes, historische Rennwagen … Ich möchte wieder in einem Elfenbeinturm schrauben dürfen, in gewisser Weise auch eine neue Stufe im Automobilbau erklimmen.“
Was dann aus seiner Werkstatt wird, möchte ich von Schmid wissen. „Die Werkstätte wird erhalten bleiben. Meine Truppe ist so gut, die kann ich alleine laufen lassen.“ Dann mustert Manfred Schmid verträumt einen selbst gebauten 300SE. Und als ob er die gesamte Paradoxie der Mercedes-Liebe subsumieren wolle, lässt er mich wissen. „Die müssen auch erwachsen werden, damit ich wieder spielen kann.“
Manfred Schmid erreichen Sie per Mail: vintagebenz@hotmail.com