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Grenzenloses Herz

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Press
Foto: Poly Maria

Wartezeit

Es ist einer der immensen Fortschritte der Gegenwart, dass Herkunftsorte von Künstlern immer unwichtiger werden. Niemand assoziiert mit Elfriede Jelinek die Stadt Mürzzuschlag, auch wenn sie sich irgendwann einmal gegen ein Denkmal nicht mehr wehren kann. Wobei hier seit Thomas Bernhards Testament und seinen sich schelmisch widersprechenden Wünschen natürlich auch für die Nachwelt einiges geregelt werden kann. Und auch Anja Plaschg alias Soap&Skin wird eher nicht in einem Atemzug mit ihrem Herkunftsort Gnas genannt werden. Ein Ort in der Ost-steiermark, eingebettet zwischen der Seniorentherme in Bad Gleichenberg, ein Ort, in dem die Zeit stehengeblieben ist, mit dem harmonischen Vulkankegel von Straden und den Weingärten von Klöch, das auch die Vorlage für jene Backhendlstation beherbergt, die Privatdetektiv Brenner im „Knochenmann“ von Wolf Haas beinahe zum Verhängnis wird. Die harmonisch hügelige Landschaft erstaunt und beruhigt die Besucher, die die Buschenschänken stürmen.

Damit die Preise stimmen und der Schein gewahrt bleibt, muss hinter den Kulissen gehackelt werden. Der Schinken schneidet sich schließlich nicht von alleine, die Mischungen wollen serviert, die Arbeitnehmer zum Wohle des Gastes angetrieben und die Säue geschlachtet werden. Und hier schließt sich der Kreis, denn Anja Plaschgs Vater war Schweinezüchter. Die Tochter hatte ein Herz für die Tiere, das diese durchaus verdient haben.

Still_c_Ioan_Gavriel_1.pngStill: Ioan Gavriel

Wenn man in so einem Ort heranwächst und schon früh erkennt, dass einen Bilder, Töne oder Sätze erfüllen, dann erkennt man auch schnell, dass die gleichaltrige Umwelt andere Prioritäten setzt. Wie überall ist der Initiationsritus der erste Vollrausch und dieser Brauch wird dann Wochenende für Wochenende aufs Neue gepflegt. Mopeds, Motorräder und Autos kommen dann dazu, um den Mädls zu imponieren und um sie in die Landdiscos und zu den Feuerwehr- und Landjugendfesten zu transportieren, mit der Hoffnung, auch den Rückweg bestreiten zu können. Das endet dann meist mit der Erfahrung des ersten Toten der eigenen Generation, denn Kraftproben auf Straßen mit klingenden Namen wie „Sterzautobahn“ enden nicht immer vor der Haustüre, sondern in manchen Fällen auch tragisch. So tragisch, dass Familien an den Langzeitfolgen zerschellen.

All das führt dazu, dass die eigene Geisteswelt verteidigt werden muss. Stete Verteidigung führt zur Stärke, seinen Weg zu suchen und letztendlich auch zu finden.

Sechs Jahre sind seit dem letzten Soap&Skin Album „Narrow“ vergangen, das im Zeichen der Verarbeitung des Todes von Plaschgs Vater stand. Schon seit ihrer ersten Veröffentlichung vor zehn Jahren war klar, dass die Gepflogenheiten des Musikgeschäfts und die üblichen Veröffentlichungsrituale wie Interviews am laufenden Band von ihr gewissenhaft ignoriert werden, dafür sorgten schon der Wille, nur das an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, das auch den Vorstellungen der Urheberin entspricht sowie die ihr eigene sehr bestimmte und doch zerbrechliche Ausstrahlung.

Untätig blieb Plaschg in dieser Veröffentlichungspause nicht. In Ruth Beckermanns Film Die Geträumten begeisterte sie als Rezitatorin von Ingeborgs Bachmanns Briefen an Paul Celan und auch in der Reflexion dieser Briefe mit Co-Hauptdarsteller Laurence Rupp. Im letzten Jahr startete auf Netflix die deutschsprachige TV-Serie Dark, zu der sie die Titelmusik schrieb. Ein seltener Fall einer wirklich durchdachten Auswahl der Komponistin.

Erfüllung

Das alles führt nun zu Soap&Skins drittem Album „From Gas To Solid / You Are My Friend“, das Ende Oktober erscheint. Sucht man einen Produzenten, wird man nicht fündig. Das entspricht nicht der Arbeitsweise von Plaschg, denn das würde bedeuten, die eigenen Klangwelten, die eigenen Worte zur Diskussion stellen zu müssen. „Ich sammle seit über zehn Jahren akustische Aufnahmen verschiedener Instrumente und Klänge. Fast alles was hörbar ist, basiert auf Samples. Selbst wenn Musiker involviert sind, sample ich einzelne Töne und Schläge und arrangiere sie so neu. Die Arbeitsweise gleicht eher dem Prozess des Malens auf einem offenen Raster am Bildschirm. Ich kann so aus meinen technischen Fähigkeiten hinaustreten und mich allein darauf fokussieren, was ich höre. Das gibt mir die Freiheit.“ 

Und diese Freiheit nützte Anja Plaschg auf eine Weise, die einen staunen und gleichzeitig jubilieren lässt. Sie, die immer mit Begriffen wie Schwere, Dunkelheit, Tod oder Verzweiflung in Zusammenhang gebracht wurde, gewährt der Sonne, der Versöhnung, der Hoffnung und dem Lachen zarten Eingang in ihre Songs. Das war nach Veröffentlichung der Vorabsingle „Heal“ zu erahnen, denn an Vince Clarke (Yazoo, Erasure)  angelehnte Synthesizermelodien führen nicht in die dunkle Unterwelt, sondern lassen zumindest die Möglichkeit der Leichtigkeit des Lebens offen. Über den meisterhaften Sounds thront dann die Stimme und diese vermittelt schlicht und einfach Einmaligkeit. Sie verbindet Kontrolle, das Wissen um das eigene Können und diese spezielle individuelle Sensibilität, die sie unverwechselbar macht. Man könnte von Songs wie „Italy“ lange schwärmen und die Ebenen aufzählen, auf denen sie funktionieren, man könnte Superlative wie „Klassiker der Moderne“ oder „Album des Jahres“ auspacken, in Wahrheit werden diese Prädikate den Songs von „From Gas To Solid“ nicht gerecht. Sicher ist nur, dass diese Musik und diese Lieder noch lange bleiben werden.

Das letzte Lied

Ganz am Schluss ist dann eine der vielen Überraschungen versteckt, mit denen wirklich niemand gerechnet hat. Plaschg nimmt sich „What A Wonderful World“ an, jenem Song, der Ende der Sechziger für Louis Armstrong geschrieben wurde, schon mit seinem Anfang „I See Trees Of Green / Red Roses Too“ Millionen in seinen Bann zog und seither u. a.  von Roy Black, Rod Stewart, Joey Ramone und Robert Wyatt gecovert wurde. Es ist auch ein Lied, das von der Filmindustrie geliebt wird und spätestens seit Good Morning Vietnam immer wieder eingesetzt wird. Um so einen Song zu interpretieren, braucht man Chuzpe, aber davon hat Anja Plaschg eine Menge. Wer „Pale Blue Eyes“ live in neue Sphären heben kann, der schafft auch hier das Kunststück, nicht nur eine eigene Spur zu hinterlassen, sondern das Lied einzugemeinden und zum Teil des eigenen Universums zu machen.

Und sollte jetzt jemand mit dem Spruch, dass der Prophet im eigenen Land nichts gelte, daherkommen, dem sei ins Stammbuch geschrieben, dass der Kunst von Soap&Skin Ländergrenzen ziemlich egal sind. Und dass die Immunität der meisten Österreicher und der Wiener im Besonderen gegen Berühmtheiten aller Art auch ein Glücksfall ist, denn dieser Zustand ermöglicht es, weiter aus der Ruhe des Stadtrands zu schöpfen, zu samplen, Songs zu schreiben und diese uns, wenn die Zeit reif ist, zu schenken.    

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Soap&Skin

„From Gas To Solid / You Are My Friend“ 

(Play It Again Sam / Hoanzl / Rough Trade)  

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