New York, die Seventies und harte Musik: Für Martin Scorsese nichts Neues. Der Stadt setzte der Kultregisseur in den siebziger Jahren mit dreckigen Kultfilmen wie Mean Streets (1973) oder Taxi Driver (1976) nachhaltige Denkmale und die Soundtracks seiner Filme enthielten nicht selten Nummern aus den Genres Rock und Punk (außerdem drehte der musikaffine Scorsese einige Videoclips, darunter 1987 für Michael Jacksons „Bad“). Doch auch das Fernsehen ist für Scorsese kein Fremdland; zuletzt etwa produzierte er für HBO das von Terence Winter er-dachte, von der Kritik gelobte Prohibitionsdrama Boardwalk Empire, für das er auch die Pilotfolge inszenierte. Die selben Funktionen nimmt Scorsese nun bei der eben angelaufenen HBO-Serie Vinyl ein, für die er erneut mit Winter (der auch das Drehbuch zu Scorseses kapitalismuskritischer Satire The Wolf of Wall Street aus dem Jahr 2013 schrieb) zusammenarbeitete. Zusätzlich mit an Bord des Kreativteams sind Drehbuchautor Rich Cohen und Rolling Stone Mick Jagger, der die Idee bereits Ende der neunziger Jahre gebar (die Musik der Stones erklang schon des Öfteren in Filmen Scorseses, der 2008 mit Shine a Light auch einen Konzertfilm über die Band drehte).
Sex, Drugs & Music Business
Im Zentrum der Handlung, die im Jahr 1973 einsetzt, steht Richie Finestra (Bobby Canavale, der ebenfalls bei Boardwalk Empire dabei war), Boss des fiktiven Musiklabels American Century Records. Finestra ist kurz davor, sein Label an den deutschen Medienkonzern Polygram zu verkaufen, doch der Deal droht zu platzen: Ein Plattenvertrag mit Led Zeppelin will einfach nicht zustande kommen, wodurch die Deutschen den Marktwert von American Century Labels in Gefahr sehen. Finestra weiß, dass sein Unternehmen dringend einen Hit braucht und treibt seine Mitarbeiter gnadenlos an, nach neuen Talenten zu suchen. Das nächste heiße Ding: Finestra will es um jeden Preis.
In Rückblenden, die in die sechziger Jahre zurückführen, erfährt man von Finestras Vorgeschichte, seinen Anfängen ganz unten, seiner Arbeit als Manager eines Bluessängers, von überwundener Drogensucht und dem Verlust der Unschuld zugunsten von Marktmechanismen. Während sich in der drogenfreudigen Gegenwart langsam der Punk in den New Yorker Underground einschleicht, muss Finestra um den Erhalt seiner angespannten Ehe mit Devon (Olivia Wilde) kämpfen und den launischen Radioguru Frank „Buck“ Rogers (Andrew Dice Clay) besänftigen, der ihn mit einem Boykott bedroht. Als dann schließlich noch eine Leiche auftaucht, wird der Druck immer größer und das Selbstbewusstsein immer kleiner – Finestra wendet sich erneut den Drogen zu. Doch ein Punkkonzert, das Finestra unter Drogeneinfluss besucht, wird schließlich zur spektakulären Wende, aus dem Zusammenbruch erfolgt eine Art Wiedergeburt.
Mit einer Lauflänge von beinahe zwei Stunden ist die Pilotfolge tatsächlich ein Film geworden und Scorsese geizt denn auch nicht mit seinen Trademarks: Da wechseln sich dynamische Kamerafahrten mit Zeitlupe und schnellen Schnitten ab, da gibt es ein Herumspringen zwischen den Zeitebenen, Freeze Frames, einen Ich-Erzähler und jede Menge Profanitäten. Scorsese etabliert so die wüste, intensive Atmosphäre der Serie, die erst mit der zweiten Folge, „Yesterday Once More“, klassischere dramaturgische Wege einschlägt.
Vollständiger Artikel in der Printausgabe.
Vinyl
Musikdrama, USA 2016 – Idee Mick Jagger, Martin Scorsese, Terence Winter, Rich Cohen Regie Martin Scorsese, Mark Romanek, Carl Franklin u.a. Buch Debora Cahn, Adam Rapp, Carl Capotorto u.a.
Mit Bobby Cannavale, Olivia Wilde, Juno Temple, Max Casella, Ray Romano, J.C. MacKenzie, Ato Essandoh, James Jagger, Jack Quaid, Ato Essandoh
Aktuell zu sehen bei Sky On Demand, Sky Go und Sky Online.
Ab 7. April auch auf Sky Atlantic HD