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HANIA RANI

Nach zahlreichen Soloalben und Soundtracks bringt die polnische Künstlerin mit „Ghosts“ ein besonders verspieltes Album heraus.

Foto: Jakub Stoszek

Hania Ranis Musik nimmt den Raum und setzt ein Gefühl an seine Stelle. Je öfter die aus Danzig stammende Künstlerin eine Venue nach der anderen ausverkauft, desto mehr bleibt sie bei sich. Dabei hat Rani nur kurz Zeit, Interviews zu geben, bevor es mit „Ghosts“ im Oktober wieder auf Tour geht. Wie fleißig die Dreiunddreißigjährige ist, beweist sie allein damit, dass das am 8. Oktober auf Gondwana Records erscheinende „Ghosts“ nicht ihr erstes Album in diesem Jahr ist. Im Februar kam schon „On Giacometti“ heraus, das sie als Musik für einen Film über den gleichnamigen Künstler schrieb. Dass „Ghosts“ einen durchaus anderen Sound verspricht als die bisherigen Alben, hat Rani aber schon mit den ersten veröffentlichten Singles gezeigt. Zwischen der Enge Berlins und der Weite Polens findet Hania Rani dabei Geschichten, die etwas über das Dazwischen erzählen: Selbst wenn dieses zwischen Leben und Tod liegt.

„Ich will den Übergang von etwas extrem Häuslichem und Privatem zu etwas beinahe Fantastischem und Verzaubertem lernen.“

Überall Zuhause

Hania Rani bricht mit der Erwartung, dass man ein Zuhause oder eine Basis haben müsse: „Ich fühle mich an vielen Orten zu Hause und ich habe aufgehört, dagegen anzukämpfen. Jede Stadt, jeder Ort gibt mir andere Antworten, andere Wege: Die Art und Weise, wie ich ins Studio komme, macht zum Beispiel einen großen Unterschied – ob ich zu Fuß gehe, mit dem Fahrrad fahre oder die U-Bahn nehme.“ Mit „Ghosts“ will Hania Rani zeigen, wie sie auf die Realität reagiert. Ihr Sound wird zu einem Raum, der sich mit dem Flüchtigen verbindet: „Und dann sind da noch die ‚Ghosts‘: die Geister, Geschichten, Erinnerungen und flüchtigen Dinge in unserem Leben. Sie kleben das Gewebe unserer Realität erst zusammen.“ Die Art und Weise, wie der Raum die Musik formt und umgekehrt, hat dabei auch damit zu tun, welchem Raum man sich aussetzt: „Man ändert buchstäblich seine Perspektive. Das ist auch etwas, was Giacometti gesagt hat: Wenn man in den Bergen ist, wird man von dem, was man sieht, betrogen, weil die Berge so nah erscheinen und die Menschen so weit weg. Die Berge erscheinen aber nur nah, weil sie so massiv sind, während sie eigentlich weit weg sind.“ Nachdem die bisherigen Soloalben, „Esja“ oder „Home“, fast etwas Privates, Zurückgezogenes in sich tragen, schleicht „Ghosts“ an der Schwelle zwischen Sichtbarem und Unsichtbaren: „Ich will den Übergang von etwas extrem Häuslichem und Privatem zu etwas beinahe Fantastischem und Verzaubertem lernen.“ Dabei gehe es nicht mehr nur darum, von etwas Kleinem zu etwas Großen zu kommen, sondern etwas Weiches, Kantenloses zu nehmen und es zu etwas extrem Großem und Grenzenlosem zu machen, so Rani: „Das ist fast wie in seinem eigenen Schlafzimmer zu träumen! Du bist in einem konkreten, bekannten Raum, bis du deine Augen schließt und irgendwo komplett anders bist.“

Foto: Jakub Stoszek

 Vom Eintauchen in den Sound

„Deshalb habe ich dieses Album fast so aufgebaut, als wäre es eine Liveshow. Normalerweise sagt dein Label, dass du die besten Songs an den Anfang stellen sollst. Aber ich wollte diesen sanften Anfang, etwas sehr Abstraktes. Ich liebe die Idee, dass sich das Album wie eine Reise anfühlt.“ Während man sich in den Synths verliert, wird der Weg durch eine Klavierimprovisation gebrochen: „Ich wollte etwas Natürliches und Echtes haben, denn ich schätze diese Momente im Leben so sehr: Dinge, die man nicht wiederholen kann. Darum sind viele der Aufnahmen für ‚Ghosts‘ erste Takes oder improvisierte Motive. Ich habe in den letzten Jahren, in denen ich an Soundtracks oder Alben mit anderen Künstlern gearbeitet habe, gelernt, dass das erste Gefühl oft das Beste ist und man es kaum wiederholen kann.“ Gleichzeitig machen sich Ranis viele Live-Erfahrungen in den neuen Tracks durchaus bemerkbar. Erst im letzten Jahr hat sie neben ihren regulären Tour-Dates Aufnahmesessions mit Cercle, Arte und KEXP gemacht, die alle inzwischen mehrere Millionen Aufrufe auf YouTube zählen. „Ich bin sehr gestresst, wenn Menschen eng um mich herumsitzen, denn ich fühle mich beobachtet. Ich habe dann das Gefühl, dass ich noch mehr in mich gehen muss, denn die schönsten Momente, wenn ich live auftrete, sind die, in denen ich meine Umgebung komplett vergesse. Dann öffnet sich alles. Aber diese Momente sind extrem selten. Eigentlich ist es wie Meditation: Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe, kann ich mich ein bisschen mehr darauf einlassen. Und selbst wenn es nur für eine kleine Sekunde in einer Show passiert, bin ich zufrieden.“

 Ambivalente Euphorie

Nachdem der Musik der polnischen Künstlerin bisher oft etwas Melancholisches zugeschrieben wurde, wird schon mit „Hello“ klar, dass sich das mit der aktuellen Veröffentlichung verändert. Anstatt der zurückhaltenden Nostalgie, die sich oft im stillen Kämmerchen abspielt, will die Musikerin eine Brücke zwischen den Dingen schlagen, die viele nicht ausdrü-cken können. Dabei sucht sie im Ambivalenten: „Es gibt ein paar Songs, in denen ich versuche, mir den Moment zwischen Leben und Tod vorzustellen und wie es sich anfühlen könnte, ein Geist zu werden. Es gibt einen Song namens ‚Moans‘, der für mich dabei ganz besonders ist. Ein Stöhnen ist wie ein Schrei, der sowohl das Ergebnis von Schmerz als auch von Freude sein kann.“ Ranis Debütalbum „Esja“, in dem der Klaviersound vorrangig war, wurde in „Home“ bereits durch den Gesang erweitert, „aber als ich von meiner Tournee im Jahr 2022 zurückkam, fühlte ich: Ich bin bereit, viel zu singen.“ Dabei wird das Singen in „Ghosts“ zu einer neuen Möglichkeit, eine Schwelle zu überwinden, die vielen im Weg steht: „Worte sind buchstäblich. Wenn ich singe, kann ich mich nicht hinter der Flüchtigkeit von Musik verstecken. Während ich die Lyrics für ‚Moans‘ geschrieben habe, habe ich das Wort ‚Death‘ betont und später mit schönen Harmonien unterlegt, die den Song in diesem Moment erweitern. Es ist seltsam, aber das Einzige, was dort wirklich funktioniert hat. Es war seltsam, als ich den Song zum ersten Mal aufführen und wirklich spielen musste.“ Gleichzeitig „(…) war es einfach ein so befreiender Moment, mich endlich mit meinem eigenen Ich auf der Bühne zu befreien und diese Worte zu sagen.“

Zwischen Leben und Tod

Die Befreiung, von der Hania Rani spricht, hat auch mit ihrem Selbstverständnis als Künstlerin, oder überhaupt als Mensch zu tun. Man brauche Zeit, so Rani, um zu wissen, welche Geschichten man wirklich erzählen will. Es sind die ernsten Themen, die die Musikerin interessieren, wobei „die wichtigsten Dinge, wie Tod, Liebe oder Wahrheit“ sehr widersprüchlich und nicht eindeutig definierbar sind …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 72

Hania Rani „Ghosts“ (Gondwana Records)
Am 15. Oktober 2023 spielt Hania Rani im Wiener Konzerthaus.

 

 

| FAQ 72 | | Text: Ania Gleich
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