Als es brenzlig wird, kommt die Geheimagentin in ihr durch: Mit stählernem Blick und klarem Verstand stellt sich Jessica Chastains Antonia in The Zookeeper’s Wife mutig dem Feind entgegen, beantwortet ruhig dessen bohrende Fragen, macht Konversation, flirtet, tut alles, was sie tun muss, um die Situation und damit nicht nur ihr eigenes, sondern das Leben einer ganzen Schar von Menschen zu retten. Denn ihr Keller ist voller Juden, die ihr Mann, der Zoodirektor Jan Zabinski, Tag für Tag aus dem Warschauer Ghetto befreit, um ihnen in den Vertiefungen des Zoogeländes Obdach zu gewähren und sie schließlich mit gefälschten Papieren aus der von den Nazis kontrollierten Stadt zu schmuggeln. Es ist ein halsbrecherisches Unternehmen im Dienst des polnische Widerstands, das aufzufliegen droht, als die Besuche von Hitlers Chefzoologen Lutz Heck (Daniel Brühl) immer häufiger werden, der Verdacht schöpft, vor allem aber ein Auge auf die hübsche Antonia geworfen hat, die ihm mit ihrer sinnlich-selbstsicheren Art Tieren wie Menschen gegenüber schwer imponiert.
Und damit ist Heck nicht allein. Die Faszination, die Jessica Chastain mit jeder Rolle auslöst, die sie verkörpert, ist nicht nur einem außergewöhnlichen Talent, sondern auch ihrer schlichtweg entwaffnenden Aura zu verdanken, mit der sie sich in den letzten sechs Jahren eine Sonderstellung in Hollywood erarbeitet hat: Eher für Können bewundert als für ihr Profil, hat die zierliche Kalifornierin mit dem feuerroten Schopf seit ihrem Durchbruch in Terence Malicks The Tree of Life mit den profiliertesten und spannendsten Regisseuren überhaupt zusammengearbeitet: Christopher Nolan (Interstellar), Jeff Nichols (Take Shelter), J.C. Chandor (A Most Violent Year), Ridley Scott (The Martian) und Guillermo del Toro (Chrimson Peak). Ihre Figuren lassen sich dabei recht klar in zwei Lager aufteilen: Auf der einen Seite stehen die warmherzigen, fürsorglichen und beschützenden Mütter, auf der anderen die knallharrten, zielstrebigen Ermittlerinnen. Nicht selten überschneiden und durchdringen sich die Rollenprofile dabei gegenseitig, zumal sich ihre Mutterfiguren nicht selten in Situationen wiederfinden, in denen ihr intuitiver Beschützerinstinkt gefragt ist – wie etwa im Indie-Horrorfilm Mama, in dem sie sich quasi zwangläufig den beiden verwilderten Nichten ihres Partners annimmt, oder in Take Shelter, wo sie an der Seite von Michael Shannon als besorgte Ehefrau der Gewalt der Natur entgegen sieht und sich letztlich entscheiden muss, was für ihre Familie bedrohlicher ist: der aufkommende Sturm oder der zunehmend labile psychische Zustand ihres Gatten. Aber auch die selbstbewussten Einzelkämpferinnen in ihrem Repertoire demonstrieren Mut und Härte nicht allein der Karriere willen, sondern immer auch, um für das einzustehen, was ihnen lieb und wichtig. Seien es die entführten Frauen, die sie als Polizistin in Texas Killing Fields zu retten versucht, oder gleich die ganze Welt, der sie als engagierte CIA-Agentin in Zero Dark Thirty einen Gefallen tut, als sie sich auf die erbitterte Suche nach Osama bin Laden macht. Und auch ihr neuester Film fällt in diese Kategorie: In John Maddens Politdrama Miss Sloane übernimmt sie demnächst die Rolle der kompromisslosen Lobbyistin Elizabeth Sloane, die sich mit Haut und Haar für die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zur besseren Kontrolle des Waffenbesitzes in Amerika einsetzt.
The Zookeeper’s Wife dagegen war Jessica Chastain eine ganz persönliche Herzensangelegenheit, ein Film geschrieben, gedreht und produziert von Frauen, bei dem sie nicht nur die Hauptrolle übernahm, sondern auch selbst als Ko-Produzentin in Erscheinung trat. Denn auch darum geht es ihr: Ähnlich wie Jennifer Lawrence und Meryl Streep, setzt sich Chastain seit geraumer Zeit lautstark für den Kampf um Gleichberechtigung in Hollywood ein und hat mittlerweile sogar ihre eigene Produktionsfirma gegründet, mittels derer sie die Projekte und Arbeit von Frauen im Filmgeschäft voranzutreiben gedenkt. Unter der Regie von Niki Caro schlüpft sie in The Zookeeper’s Wife jedoch zunächst erneut in die Rolle einer Mutter, die ihre Familie diesmal vor dem Unheil der Nazis zu schützen sucht, und darüber hinaus im Laufe des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit ihrem Ehemann über 300 Juden das Leben rettet. Es ist eine Geschichte von einer Tragweite ähnlich der Oskar Schindlers, die Caro zwar weniger erfolgreich als Spielberg, aber mit mindestens ebenso großer Hingabe auf die Leinwand bringt, während Chastain erwartungsgemäß alles gibt, um ihrer Figur die nötige Präsenz und Achtung zu verleihen, die ihr zweifelsohne gebührt.
Die Person Jessica Chastain ist dabei hinter ihren Rollen bis heute erstaunlich mystisch geblieben. Ähnlich wie ihre großen Vorbilder Cate Blanchett und Isabelle Huppert, gelingt auch ihr seit Jahren der schwierige Balanceakt, sich bei aller Öffentlichkeit dennoch ein Stück Privatsphäre zu leisten. Lange Zeit wollte sie nicht einmal ihr Alter preisgeben – ein Geheimnis, dass sie seitdem gelüftet hat. Dabei ist es vielleicht nicht unwichtig zu erwähnen, dass Chastain vor kurzem erst ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert hat. Immerhin gab es Zeiten, da hätte man über Schauspielerinnen in dem Alter fast schon einen Nachruf schreiben können, weil das Kino Frauen über dreißig nichts mehr, oder nur wenig anspruchsvolles, zu bieten hatte. Wenn man sich dagegen Chastains Filmografie anschaut – zur der neben einer Oscar-Nominierung für ihre Rolle der drallen Celia im Südstaaten-Rassendrama The Help auch ein Golden Globe als beste Hauptdarsteller in Zero Dark Thirty gehört – möchte man meinen, dass sie die besten Jahre erst noch vor sich hat. Dass sie wie im Moment für zwei Filme gleichzeitig wirbt, ist dabei so ungewöhnlich, wie die Tatsache, dass sie obendrein vier Projekte in den Startlöchern hat, darunter Aaron Sorkins mit Spannung erwartetes Regiedebüt Molly’s Game, in dem sie die am Olympischen Traum gescheiterte Skifahrerin Molly Bloom verkörpert, die stattdessen eine zweite Kariere als zwielichtige Geschäftsfrau in Hollywood startete, wo sie jahrelang die gefragtesten und teuersten Poker-Runden organisierte, und The Death and Life of John F. Donovan des Frankokanadier Xavier Dolan, für dessen ersten englischsprachigen Film sie neben Natalie Portman und Kit Harrington vor der Kamera steht.
Ob in preisverdächtigen Haupt- oder leise beeindruckenden Nebenrollen, Jessica Chastain weiß, wie man einen Film bereichert. Ihre famose Wandlungsfähigkeit und die unangestrengte Intensität, die sie in jeder noch so verzwickten Situation an den Tag legt, haben dazu beigetragen, dass sie in der Liste der feinsten und begehrtesten Schauspielerinnen ihrer Generation ganz weit oben steht und dort mit Sicherheit auch in den kommenden Jahren einen sicheren Platz haben wird. Fast unmerklich, aber bestimmt sorgt sie mit jedem Engagement auf der Leinwand dafür, dass ihre Figuren niemals auf ihre geschlechtsspezifischen Attribute reduziert werden oder nur der Zierde gelten. Wenn es darauf ankommt, versteht sie sich zu wehren, und man darf gespannt sein, über welche Grenzen hinaus ihre Energie und ihrer rastloser Geist die bezaubernde Rothaarige in den kommenden Jahren noch führen werden.
Lesen Sie das Interview mit Jessica Chastain im aktuellen FAQ.
Die Frau des Zoodirektors / The Zookeeper’s Wife
Drama, USA/Großbritannien 2017
Regie Niki Caro Drehbuch Angela Workman Kamera Andrij Parekh Schnitt David Coulson
Mit Jessica Chastain, Daniel Brühl Johan Johan Heldenbergh, Michael McElhatton
Verleih Universal Pictures, 126 Minuten
Kinostart (bislang nur Deutschland) 11. Mai
Die Erfindung der Wahrheit / Miss Sloane
Drama/Thriller, USA 2016
Regie John Madden Drehbuch Jonathan Perera
Kamera Sebastian Blenkov Schnitt Alexander Berner
Mit Jessica Chastain, Mark Strong, Michael Stuhlbarg,
John Lithgow, Sam Waterston
Verleih Constantin Film, 132 Minuten
Kinostart 6. Juli