Hedwig Eva Maria Kiesler, der Welt bekannt unter dem Künstlernamen Hedy Lamarr, kommt am 9. November 1914 in Wien zur Welt, knapp drei Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs. Der Vater ist Bankdirektor, die Mutter ausgebildete Konzertpianistin. Die Not des Kriegs übersteht man relativ gut, die Tochter erhält Klavier- und Ballettunterricht, lernt Sprachen. Eine insgesamt behütete Kindheit mit musischem Einschlag könnte man meinen, doch Kiesler fühlt sich in der bürgerlichen Welt nicht wohl, bricht mit 15 die Schule ab, nimmt Schauspielunterricht und will beim Film Karriere machen. Nach einigen kleineren Rollen übernimmt Hedwig mit knapp 18 Jahren die Hauptrolle im tschechoslowakischen Film Ekstase (Regie: Gustav Machatý). Die Nacktszene, die sie dort absolviert, sorgt für einen Skandal – und macht sie auf einen Schlag bekannt. Nach einem Aufenthalt in Berlin kehrt sie nach Wien zurück und heiratet, doch die Ehe mit dem Wiener Industriellen Fritz Mandl hält nicht lang: Der Kontrollfreak will ihr das Auftreten im Film verbieten, zudem macht Mandl, als Sohn eines jüdischen Vaters jedoch katholisch erzogen, Waffengeschäfte mit den Nationalsozialisten, die Kiesler – deren Familie selbst jüdische Wurzeln hatte – ablehnt.
Nach der Zwischenstation Paris geht Kiesler nach London, wo sie von Louis B. Mayer, Boss des Hollywoodstudios MGM unter Vertrag genommen wird. Sie gilt schnell als Sexbombe und ist für viele die schönste Frau der Welt; ihre Frisur wird zum Vorbild, das Schauspielerinnen wie Joan Bennett imitieren. In den folgenden Jahren ist sie, die sich nun Hedy Lamarr nennt, in vielen Filmen zu sehen, darunter dem Gangsterdrama Algiers (1938, Regie: John Cromwell), der Steinbeck-Verfilmung Tortilla Flat (1942, Regie: Victor Fleming) oder dem Monumentalepos Samson and Delilah (1949, Regie: Cecil B. DeMille). Auch im Filmfiasko I Take This Woman (1940) – das Drama verbrauchte drei Regisseure – spielte sie mit. Lamarr überzeugte mit Aura und Laszivität, psychologisch anspruchsvollere Rollen blieben allerdings großteils aus. Schließlich häuften sich die Flops, 1958 stand sie zum letzten Mal vor der Kamera. Ihr Privatleben war von vielen Affären, sechs gescheiterten Ehen und zwei Anklagen wegen Ladendiebstahls geprägt. In die Schlagzeilen brachte Lamarr es auch wegen der immer häufigeren Schönheits-Operationen („Meine Schönheit ist mein Fluch“), mit denen sie den Alterungsprozess stoppen wollte, der sie aber immer mehr zur Karikatur ihrer einstmals so strahlenden Leinwandpersona machten. Dazu kam jahrelanger Medikamentenmissbrauch.
In ihre letzten Lebensjahren kommunizierte Lamarr, die sich bei einem Auftritt in einer Talkshow im Jahr 1969 als „einfache komplizierte Person“ bezeichnet hatte, nur noch telefonisch mit der Außenwelt, auch mit ihren drei Kindern. Am 19. Jänner 2000 verstarb Hedy Lamarr in Florida. Testamentarisch hatte sie verfügt, dass ihre Asche im Wienerwald verstreut werden solle, ein Wunsch, den ihr die Kinder auch erfüllten. Schließlich widmete die Stadt Wien der Schauspielerin auch ein Ehrengrab am Zentralfriedhof.
Neuentdeckungen
In den letzten Jahren ging Lamarrs Name auch wegen einer Erfindung durch die Medien, die sie gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil entwickelt hatte: Die Funkfernsteuerung für Torpedos wurde von der US-Navy allerdings abgelehnt. Welche Rolle Lamarr bei dieser Erfindung hatte, ist nicht bis ins letzte Detail geklärt. Die Erfindung passt aber zu Lamarrs Ablehnung des Nationalsozialismus; während des Krieges engagierte sie sich auf US-Seite für die Bewerbung von Kriegsanleihen. 1997 wurde Hedy Lamarr von der Electronic Frontier Foundation mit dem Pioneer Award ausgezeichnet. Ihr lapidarer Kommentar: „It’s about time.“ In jüngerer Zeit hat sich Dramatiker Peter Turrini mit Lamarr auseinandergesetzt („Sieben Sekunden Ewigkeit“), außerdem ist eine US-Mini-Serie geplant, in der Gal Gadot Lamarr verkörpern soll. Und in Wien steht im Jüdischen Museum von 27. November 2019 bis 10. Mai 2020 die Ausstellung „Lady Bluetooth“ auf dem Programm. Der Titel bezieht sich dabei auf jene Datenübertragungstechnik, die angeblich auf der Frequenzwechsel-Erfindung Lamarrs/Antheils basiert. Das dafür entwickelte Frequenzsprungverfahren gilt heute als Vorläufer für Drahtlostechnologien wie Bluetooth und Mobilfunk. Die Schau widmet sich den verschiedenen Aspekten in Lamarrs Biografie und legt einen Schwerpunkt auf die Jahre in Wien und Berlin. Zu sehen gibt es unter anderem Objekte aus Lamarrs Nachlass: etwa eine Puderdose, ein Zigaretten-Set, eine Zigarettenspitze oder einen Trachtenhut der Firma Geiger.
Der Katalog zur Ausstellung ist mit 180 Seiten angemessen umfangreich und beleuchtet auch das Umfeld der Schauspielerin ausgiebig: So wird der zwiespältige Charakter ihres ersten Ehemanns Mandl, des „Kanonenkönigs der Zwischenkriegszeit“ einer näheren Betrachtung unterzogen und auch der familiäre Hintergrund Lamarrs kommt nicht zu kurz. Ungenauigkeiten, die die Herkunft von Lamarrs Eltern betreffen, werden korrigiert, treffend wird das schillernd-komplexe Familienumfeld als „Wiener Panoptikum“ bezeichnet. Auch auf jene Mittel, mit denen das Hollywood-System der vierziger und fünfziger Jahre seine Stars zu überirdischen Wesen stilisierte, wird ein Schlaglicht geworfen, exemplarisch dafür stehen die Arbeiten des Hollywood-Fotografen Laszlo Willinger.
Lady Bluetooth. Hedy Lamarr
27. November 2019 bis 10. Mai 2020
Museum Judenplatz
In Kooperation mit dem Jüdischen Museum Wien zeigt das Filmarchiv Austria von 12. Dezember bis 7. Jänner 2020 die Retrospektive „Hedy Lamarr – Ihre Filme“.