Seinen Namen hat sich Francis Kurkdjian – Franzose mit armenischen Wurzeln – bereits im Alter von 25 Jahren gemacht. Damals kreierte er für Jean Paul Gaultier den Duft „Le Mâle“, der bis heute zu den beliebtesten Düften auf dem Markt gehört. Danach kamen viele olfaktorische Meisterwerke wie „For Her“ für Narciso Rodriguez oder Elie Saabs „Le Parfum“ – bis Kurkdjian 2009 seine eigene Maison gründete. Für die Eigenmarke kreierte die Maison Francis Kurkdjian auch das „Rouge Baccarat“, einen Unisexduft, der vielen den Kopf verdrehte und bis heute zu den weltweit populärsten Parfums gehört.
Bei einer ersten Begegnung in seinem Pariser Atelier im Jahr 2019 verströmte Kurkdjian – der bei der Arbeit gern weißes Hemd, dunkle Jeans und weiße Sneakers trägt –, eine weltoffenene, sympathische Ausstrahlung. Seine Welt stellte er mit Begeisterung vor und er verriet sogar kleine Geheimnisse seiner Arbeitsweise. Im Mai dieses Jahres stellte der Mann mit dem dichten Terminkalender während der Filmfestspiele von Cannes eine neue Parfümkreation für Christian Dior vor. Während die Kinostars in voller Pracht auf dem roten Teppich posierten und ihre Preise abholten, präsentierte Kurkdjian beim internationalen Presselaunch den Duft „L’Or de J’adore“. Dabei handelt es sich um eine neue Version des von seinem Vorgänger François Demachy im Jahr 2010 kreierten „J’adore“-Klassikers.
Im Interview beantwortete Francis Kurkdjian Fragen zu seinem Beruf – und er erklärte seine neue Rolle als Direktor für Parfümkreation bei Christian Dior.
Können Sie uns den bisherigen Verlauf der Kollaboration schildern?
Oh, es ist nicht einmal eine Kollaboration, denn normalerweise ist eine Kollaboration eine einmalige Sache. Es geht eher darum, wie es ist, für Dior zu arbeiten. Um ganz ehrlich zu sein, gibt es verschiedene emotionale Phasen. Man ist aufgeregt und hat natürlich auch Angst und Stress. Wenn man auf der Bühne steht, hat man keine Zeit, über all diese Dinge nachzudenken, weil man arbeiten, überzeugen oder beeindrucken muss. Heute muss alles so schnell gehen, doch um ein Parfüm zu kreieren, braucht man Zeit. Für dieses habe ich ganze 18 Monate gebraucht. Ich habe Glück, denn ich schlafe von Natur aus fünf Stunden, wodurch ich viel Zeit zum Arbeiten gewinne. Ich bin eingestiegen, ohne die Möglichkeit zu haben, mich anzupassen und in meine eigenen Spuren zu finden. Das war eine kleine Herausforderung. Wie Sie sicher wissen, bedeutet der Wechsel eines Parfümeurs auch einen Wechsel in der Philosophie der Parfümherstellung. Zum Beispiel in der Art, wie man mit den Rohstoffen umgeht. Diese sind für mich von grundlegender Bedeutung, da sie ihrerseits Werkzeuge und Instrumente sind. Ich achte besonders auf ihre Qualität. Und ich möchte, dass mein Rohstoff genauso ist, wie ich es bin: Ich bin sehr nett, kann aber auch kantig sein. Sie müssen wissen, dass die Arbeit für ein großes Parfümhaus anders ist, als wenn man für eine Marke arbeitet, bei der noch nichts festgelegt ist. In diesem Fall kann man die Marke neu aufbauen, neue Ideen einbringen. „J’adore“ gab es aber bereits samt allen Skizzen.
Sie haben in der Vergangenheit bereits für Dior gearbeitet. Hat sich Ihre Arbeitsweise für Dior in Ihrer neuen Position verändert? Und wie kommen Sie mit Ihrer eigenen Marke zurecht?
Ich denke, das ist eine Frage für einen Modedesigner. Viele in der Parfüm- oder Modebranche arbeiten da und dort, und niemand stellt sich die Frage, ob sein Gehirn in der Lage ist, vom einen zum anderen zu wechseln. Auch ich nicht. Es ist vor allem eine Frage der Organisation, der Disziplin und natürlich der harten Arbeit. Wenn du verstanden hast, worum es geht, dann weißt du auch, was zu tun ist. Wie ich bei meiner Arbeit vorgehe? Das Werkzeug für einen Parfümeur ist ein leeres Blatt Papier, oben mit einem Platz für meine Formel, die ich händisch niederschriebe. Das Schöne ist, dass ich bei Dior Dinge ausdrücken kann, die mit meiner Persönlichkeit und mit meinem Leben sehr eng verbunden sind, wie zum Beispiel die Gartenarbeit. Zwischen den Rosen und Jasminblüten zu arbeiten, ist der schönste Arbeitsplatz auf der ganzen Welt.
Wie beginnen Sie den Prozess der Kreation eines Parfüms? Gibt es eine erste Inspiration?
Ich bin völlig unfähig zu arbeiten, wenn es keine Inspiration und keine Geschichte gibt. Bei „L’Or de J’Adore“ zum Beispiel gibt es eine Geschichte. Es ist ein 25 Jahre altes Parfüm, unvergleichlich und unübertroffen. Ich bin überzeugt, dass es mit „J’Adore“ noch 25 Jahre weitergehen wird. Und der Grund, warum wir dachten, es sei interessant, etwas Neues zu kreieren, ist, dass ich es eher als eine weitere Konzentration denn als eine neue Version sehe. Wenn ich „J’Adore“ in der Luft rieche, so spüre ich die tiefe Seite dessen, was im Herzen von „J’Adore“ steckt. Das ist der Punkt, an dem wir über Fokussierung und Vergrößerung und all diese Aspekte sprechen, denn ein Duft besteht aus Schichten von Rohstoffen.
Am Anfang sprachen Sie von Ihrer Vision. Als „J’adore“ 1999 herauskam, sah die Welt ganz anders aus. Wir Menschen und unsere Lebensumstände haben sich stark verändert. Ist es schwierig, für uns moderne Menschen mit modernen Problemen, die beinahe alles haben, einen Duft zu kreieren?
Was alle Menschen verbindet, ist das Träumen. Man kann nicht alles haben, das ist klar, aber man kann niemandem das Träumen verbieten, sonst werden die Menschen verrückt. Das Haus Dior ist ein Haus der Träume, und das ist der Hauptgrund, warum ich dorthin gegangen bin. Ich hatte es nicht nötig, für Dior zu arbeiten, ich hatte meine eigene Maison, ich war so frei wie ein Vogel. Doch ich war neugierig auf etwas Neues. Glück und Freude sind besonders in der Zeit, in der wir jetzt leben, wichtig. Christian Dior hatte eine sehr kurze Schaffensperiode, de facto hat er innerhalb von zehn Jahren das erschaffen, was heute noch da ist – nämlich ein weltberühmtes Imperium mit tausenden von Mitarbeitern. Aber die Art, wie wir es heute spielen, ist anders. Ich denke, Sie haben recht: Die Menschen denken, dass sie alles haben. Heutzutage gibt es so viel mehr Parfüms auf dem Markt als früher. Aber meine Aufgabe und die Aufgabe der Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, die Aufgabe der gesamten Maison ist es, dafür zu sorgen, dass wir einen Traum schaffen.
Aber das ist auch eine Frage des Herzens.
Christian Dior war ein sehr freundlicher und großzügiger Mann. Als ich ein kleines Kind war, hatte meine Mutter eine sehr gute Freundin, ihr Name war Françoise. Weil sie sehr eng befreundet waren, war sie für mich fast so etwas wie meine Tante. Françoise arbeitete mit Christian Dior zusammen, war 18 Jahre alt, als sie im Atelier als Modellistin anfing. Sie bekam die Skizzen von Christian und wurde darin geschult, aus diesen Skizzen Kleider zu machen. Mein Glück war es, als Kind den vielen Geschichten zuhören zu dürfen, die alle mit Monsieur Dior zu tun hatten. Eine handelte davon, wie Christian den Mitarbeitern etwas zu essen brachte – und das im Zweiten Weltkrieg, wo es nur wenig zu essen gab. Es mangelte an allem, aber Monsieur Dior schaffte es immer, aus dem Nichts etwas zu zaubern. Ich denke, dass meine Arbeit als Parfümeur mehr und mehr darin besteht, andere Menschen glücklich zu machen. Und wenn ich das von jemandem höre, ist das das schönste Kompliment. Schönheit ist in gewisser Weise ein Vermächtnis, eine Hauptsache. Ich denke, das ist wichtig und das sollten wir nie vergessen.
Sie sind in viele künstlerische Projekte involviert, von denen ich eines verpasst habe, nämlich die Oper „Salome“ von Richard Strauss mit Cyril Teste an der Wiener Staatsoper. Können Sie uns über das aktuelle Kunstprojekt, das Sie gemeinsam mit Refik Anadol für Dior erschaffen haben, erzählen? Refik Anadol ist ja als Medienkünstler und Architekt, der mit künstlicher Intelligenz arbeitet, bekannt.
Sein Handwerk ist sehr weit weg von meinem als Parfümeur. Ich habe ihm erklärt, wie ein Parfüm im Detail funktioniert – wie in der Mathematik und der Physik, weil es bei seiner künstlerischen Arbeit ja im Grunde um Zahlen geht und darum, wie man Zahlen zum Sprechen bringen kann. Jasmin zum Beispiel ist eine Nummer, Benzol ist eine Nummer – wir müssen Rohstoffe nach Nummern klassifizieren. Seine Datenbank sind Zahlen, meine Datenbank ist der Geruch. Ich nahm alle Formeln von jedem Rohstoff, und wir übertrugen die Daten in ein Computerprogramm. Die Visuals von Refik Anadol sind meine Daten, die sich aus den Formeln meines Parfüms ergaben.
Dieses digitale Kunstwerk ist vielleicht ein Blick in die Zukunft. Was denken Sie, wird der Verbraucher in der Zukunft eine Verbindung von Düften undTechnologie erleben?
Erst heute habe ich in den Nachrichten eine Sendung über soziale Medien und ihre große Bedeutung gehört. Ich denke, die Zukunft des Parfüms liegt in der Aufklärung, da Parfümkreation ein relativ neues Medium ist. Es ist so alt wie die Fotografie. Die moderne Parfümerie ist im Grunde das Erbe des allerersten Films, der als Symptom der Fotografie entstanden ist. Die Parfümerie ist in gewisser Weise neu in der Form, wie wir sie heute betreiben: Nach einer Formel werden die natürlichen und synthetischen Rohstoffe definiert und dupliziert. Lange Zeit wurden die Formeln nicht aufgeschrieben, sondern nur mündlich übertragen. Seit dem Ende des Industriezeitalters schreiben wir die Rezeptur auf, weil es darum geht, die Formel zu duplizieren, sie zu vervielfältigen. Was ich also sehe, ist eine Marktverschiebung bei Marken, die legitimiert sind, Parfüms zu kreieren. Es wird künstliche Intelligenz geben, die in der Lage ist, zu verstehen, was auf dem Markt passiert. Es entsteht ein Parfüm, das man tragen kann, aber kreativ ist das nicht, da fehlt die Bedeutung, der Unterschied, die Kreativität. Ein Parfüm ist im Grunde etwas, das man auf die Haut aufträgt und das mehr oder weniger gut riecht. Eine Kreation ist etwas, das eine einzigartige Emotion hervorruft – abgesehen davon ist es ein Handwerk. Ein Computer mit einer Datenbank ist ein anderes Werkzeug. Es hilft uns, viele Dinge zu tun, aber in einer anderen Art und Weise, was sicherlich auch in Ordnung ist. Es ist wie in der Mode: Man hat Duplikate und man hat Kreation. Das sollte unterschieden werden.