Der Name Tobias Woggon ist Freunden des Fahrradsports schon seit vielen Jahren vertraut: Als Profi-Mountainbiker nahm er jahrelang an internationalen Endurorennen teil. Doch nicht nur sportliche Erfolge zieren seine Biografie, auch mit seinen Reiseimpressionen erregte Woggon in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit. Nun legt er gemeinsam mit dem Verlag gestalten ein neues Buch vor, das sich in Wort und Bild Bikingtrips durch nördliche Gegenden widmet. Nicht Schnelligkeit ist hier der Sinn der Übung, sondern ein Einlassen auf Land und Leute. Denn wie Woggon im Vorwort anmerkt, hielt ihn der enorme Stress während seiner Worldcup-Touren davon ab, sich näher mit lokalen Kulturen und Landschaften zu beschäftigen. Ausgangspunkt für diesen besinnlicheren Ansatz war dabei zunächst die eigene Haustür – die Mountainbike-Trails im Erzgebirge wurden zum Schlüsselerlebnis: „Als ich begonnen habe, meine Heimat mit den Augen der Menschen zu sehen, die mir in aller Welt begegnet sind, hat das meine Wahrnehmung völlig verändert. Heute weiß ich, dass unsere Mittelgebirge für einen Mountainbiker aus Colorado genauso exotisch, neu und spannend sind wie für uns staubige Trails und die weite Landschaft in seiner Heimat.“
Für die insellastige „Tour du Nord“ (Schottland, Färöer Inseln, Island, Grönland, Kamtschatka) setzte Woggon dabei auf die Begleitung des bekannten Fernsehkochs Markus Sämmer – was das Buch auch ein Stück weit zum Dokument der kulinarischen Erlebnisse macht – und den Fotografen Philipp Ruopp, der die Landschaften bewährt eingefangen hat: schön, aber nicht verkitschend. In jedem Abschnitt des Buchs gibt es zu Beginn praktische Tipps: So werden im Schottland-Kapitel (Ziel war die Isle of Skye) nicht nur die reizvollen Hügel und Seen der Highlands in Szene gesetzt, es gibt auch praktische Angaben zur Durchschnittstemperatur (im Juni 15 Grad), zur Befahrbarkeit der Strecke (vorsicht, Wasserrinnen) oder zu nützlichen Utensilien (wasserdichte Hose). Was die Nationalküche betrifft, werden Whisky, Haggis und Muscheln selbstverständlich erwähnt, doch gibt es auch Tipps, wo man feinen selbstgerösteten Kaffee zu Snacks wie Toast mit Halloumi bekommt. Und Woggon lässt den Leser mit persönlichen Eindrücken immer wieder daran teilhaben, was er am jeweiligen Land so schätzt: „Schottland ist für mich die perfekte Mischung aus toller Natur, super Trails und dem wechselhaften Wetter, das ich am Norden so liebe. (…) Wenn man ganz ehrlich ist, macht es einem Schottland wirklich nicht leicht, und genau das macht die Faszination dieses Landes aus.“ Abgerundet werden die Kapitel durch Kurzporträts von Einzelpersonen; in Schottland ist das Niall Rowantree, Besitzer eines bekannten Rotwildreviers auf der Halbinsel Ardnamurchan.
Glencoe-Nationalpark, Schottland © Philip Ruopp,Tour du Nord, gestalten 2020
Die Biking-Bedinungen werden im weiteren Verlauf der Reise übrigens nicht freundlicher – auf den Färöer Inseln, auf denen man nie weiter als fünf Kilometer vom Meer entfernt ist, ist das Klima rau und fordernd, was aber teilweise durch asphaltierte Wege gemildert wird. Landschaftliche Highlights wie Wasserfälle, Fjorde oder schwarze Sandstrände tun das ihrige, um die Biker für ihre Anstrengungen zu belohnen.
Die Sache mit den landschaftlichen Highlights trifft natürlich erst recht auf Island zu, wo sich die Biker ins Hochland, fernab ausgetretener Touristenpfade begeben. Einfach ist das Fahren hier definitiv nicht, aber die zauberhafte Natur entschädigt dafür allemal.
Island © Philip Ruopp,Tour du Nord, gestalten 2020
Nächster Trail: Grönland. Dort herrschen (im Jänner) Temperaturen um -11 Grad, und auch Schneestürme sind keine Seltenheit. Die Reisenden trösten sich, indem sie ein Gourmetlokal aufsuchen, in dem unkonventionell und lokal gekocht wird: Liest man die Beschreibungen des Essens, bekommt man Appetit auf Heilbutt und Rentier (Koch Simon ist in diesem Kapitel das Einzelporträt gewidmet). Und das Nordlicht, fotografisch prächtig eingefangen, möchte man ohnehin sehen.
Im letzten Bike-Kapitel erfährt man schließlich, wie viel an Planung ein Trip nach Kamtschatka in Anspruch nimmt – wenn man vom Rad aus die Sonne hinter dem Vulkan Tolbatschik aufgehen sehen möchte, ist ein Visum nur eines der vielen Erfordernisse. Auch den längsten Inlandsflug der Welt, von Moskau nach Petropawlowsk, muss man in Kauf nehmen, von schlammigen Wegen ganz zu schweigen. Regenwetter und dichter Nebel hindern die Reisenden tagelang am Weiterkommen, der Lagerkoller droht. Doch die Beharrlichkeit zahlt sich aus, auch hier werden die Biker von unberührter Natur entschädigt.
Kamtschatka © Philip Ruopp,Tour du Nord, gestalten 2020
Ganz zum Schluss kommt auch nochmals die Kulinarik zum Zug: In einem Anhang sind sowohl authentische Rezepte der jeweiligen Landesküchen als auch Kreationen von Markus Sämmer (mit landestypischen Zutaten) versammelt – von der One-Pot-Pasta über gegrillten Hirsch bis zum Jakobsmuschel-Carpaccio ist alles dabei. Sollte man sich also entschließen, den im Buch vorgestellten Routen zu folgen, wird man garantiert nicht verhungern.
Tour du Nord
Mit dem Mountainbike durch den hohen Norden
gestalten & Tobias Woggon
Hardcover, 196 Seiten