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Hollywood Reloaded

Text: Pamela Jahn | Fotos: Sony Pictures

Es war einmal in Hollywood. Ende der neunziger Jahre, um genau zu sein. Quentin Tarantino hatte gerade sein drittes Kunststück vollbracht. Jackie Brown stand kurz davor, das Kino zu erobern. Tarantinos Ruhm und Fangemeinde waren nach dem Pulp Fiction-Phänomen ins Uferlose gewachsen. Auch auf der A-Liste der Hollywoodregisseure befand sich sein Name unter den ersten. Niemand konnte dem damals kaum Mitte Dreißigjährigen etwas anhaben. Da wurde er von dem britischen „Empire Magazine“ gefragt, ob es eigentlich etwas gäbe, vor dem er sich fürchte, privat oder professionell. Und Tarantino, grundsätzlich nie um eine Antwort verlegen, musste nicht lange nachdenken: „I fear a guy in an alley with a baseball bat, I fear the Manson Family bursting into my house, I fear a rabid dog walking down the street, but I don’t fear anything artistically.“ Ein jungenhaftes Grinsen erstrahlte auf seinem Gesicht.

Jackie_Brown.jpgJackie Brown, 1997

Einundzwanzig Jahre später fehlt Tarantino nur noch ein tollwütiger Hund in seinem filmischen Repertoire. Den Alptraum über einen Typen mit Baseballschläger wusste er in seiner kruden Rachefantasie Inglourious Basterds (2009) so ungeniert wie kontrovers zu verarbeiten. Dort schlägt Eli Roth als übereifriger Partisan, der besser unter dem Spitznamen „Bärenjude“ bekannt ist, mit besagtem Hilfsmittel auf seine Nazi-Opfer ein, um ihnen zunächst sämtliche Knochen zu brechen, bevor er und seine Kollegen die Schädel der zu Klump geschlagenen Soldaten halbieren. Und mit Once Upon a Time … in Hollywood haben nun auch Charles Manson und seine messerstechenden Blumenkinder Einzug in das weitgreifende, stets aus hemmungslos überhöhten Geschichten und Charakteren bestehende Universum des Regisseurs gefunden. Ende der Sechziger, zur Zeit als die brutalen Morde an der bildhübschen, aufstrebenden Schauspielerin Sharon Tate und vier weiteren Personen die Nation erschütterten, war der in Knoxville, Tennessee, geborene und in Los Angeles ausgewachsene Quentin Jerome Tarantino gerade einmal sechs Jahre alt – zu jung um zu verstehen, was da tatsächlich geschehen war, aber schlau und bereits kinoerfahren genug, um die Besonderheit und Brutalität zu ermessen, die hinter den Ereignissen steckte. Die allgemeine Faszination, die seither (ähnlich den Aktionen der RAF um Baader und Meinhof) von den grausamen Taten der Manson-Family ausgeht, bildet die Grundlage für seinen neunten und bekanntlich vorletzten Film. Once Upon a Time, so wurde Tarantino selbst im Vorfeld der Premiere des Films bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes nicht müde zu betonen, ist ein Liebesbrief, eine Hommage an das Hollywood der späten sechziger Jahre, an seine Kindheit, seine Heimat und an das, was er wie kein zweiter kann: Filmemachen.

Pulp_Fiction.jpgPulp Fiction, 1994

Das Timing für Once Upon a Time könnte besser nicht sein. Zwar wurde lange gemunkelt, gezittert und spekuliert, ob das Werk tatsächlich pünktlich zum geplanten Zeitpunkt fertig werden würde, denn Tarantinos Wunsch war es, den Film auf den Tag genau 25 Jahre nach Pulp Fiction (1994) an der Croisette zu präsentieren, für den er damals die Goldene Palme verliehen bekam. Doch wer Tarantino kennt und seine Arbeit mitsamt dem enzyklopedischen Filmwissen, das er vor sich herträgt, zu schätzen weiß, der ahnte schnell, dass sich einer wie er diese Gelegenheit niemals entgehen hätte lassen. Daten, Schauplätze, Erinnerungen, als das zählt für den ewigen Bub hinter der Kamera so viel mehr als der Glanz und Glamour auf dem roten Teppich. Und noch etwas ist wichtig: Im Grunde liest sich Once Upon a Time wie ein Pendant zuseinem exorbitanten Erfolg Pulp Fiction, an den er mit dem neuen Werk anzuknüpfen versucht. Der Film spielt nicht nur in Los Angeles, sondern vereint drei Handlungsstränge, die sich immer dichter ineinander verweben. Es geht um Sharon Tate (Margot Robbie), einen abgehalfterten TV-Western-Star namens Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und dessen abgebrannten Stuntbuddy Cliff Booth (Brad Pitt). Es ist, trotz seines schwergewichtigen Staraufgebots, ein eher episodisch angelegter Ensemble-Film, dessen Handlung sich über den überschaubaren Zeitraum von 48 Stunden erstreckt. Und wurde in Pulp Fiction noch über das Für-Und-Wieder von Pommes mit Mayo gestritten, sind es heute Gespräche über echte und falsche Polizeiserien, B-Western und bessere Zeiten, mit denen Once Upon a Time immer wieder vom Fortgang der Handlung abschweift. Wer es darauf anlegt, kann vielleicht sogar die Cocktailkirsche entdecken, die einst Uma Thurmans Milchshake zierte. Die Parallelen sind bewusst gewählt, die Reverenzen eindeutig und trotzdem schafft es Tarantino bei aller Nostalgie und Zitatenliebe dem Ganzen etwas Frisches, Anderes, Eigenes entgegenzusetzen …

Vollständiger Artikel in der Printausgabe

 

ONCE UPON A TIME … IN HOLLYWOOD

Drama, Komödie – USA, Großbritannien 2019

Regie, Drehbuch Quentin Tarantino Kamera Robert Richardson Schnitt Fred Raskin Production Design Barbara Ling Kostüm Arianne Phillips

Mit Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Emile Hirsch, Margaret Qualley, Timothy Olyphant, Austin Butler, Dakota Fanning, Bruce Dern, Al Pacino, Kurt Russell, Damian Lewis

Verleih Sony, 159 Minuten

Kinostart 15. August

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