Raymond Pettibon hat über einen Zeitraum von 40 Jahren eine beispiellose Produktion vorgelegt. Die bisher umfangreichste ihm gewidmete Ausstellung macht nun nach Hamburg auch in Salzburg halt: Zu sehen sind mehr als 1.200 Werke, darunter 700 Zeichnungen, hunderte von Flyern, Plattenhüllen und Fanzines sowie Filme, Malereien und Wandzeichnungen. Ein imposanter Ziegel von einem Buch begleitet das Unterfangen, gespickt mit O-Tönen Pettibons zu seinen Stammthemen und mitunter auch detaillierten Erklärungen zu den oft schwer dechiffrierbaren Texten, die mit fortlaufender Zeit immer größeren Raum in seinen Bildern einnehmen. Vielstimmigkeit ist hier gar kein Ausdruck. Waren es in den frühen achtziger Jahren noch meist Einzeiler, ufert der Textanteil in Folge gehörig aus und bedient sich ähnlich dem visuellen Repertoire einer Vielzahl an Quellen: Philosophie, Literatur, Nachrichten, Songtexte, Drehbücher und Notizen seines Vaters, der ihm auch eine Sammlung abertausender Bücher (Paberbacks) überließ, die Pettibon in seiner Arbeit verwendet.
Was Ausstellung und Buch recht gut veranschaulichen, sind relativ klar umrissene chronologische Entwicklungsstränge und die nahezu permanenten motivischen Vorlieben, die über Jahrzehnte Bestand haben und auch so gruppiert werden. Die Liste der wiederkehrenden Themen liest sich so: Bible, Mushroom Cloud, Fire, Ink Marks, Letters, Sword from the Cloud, Emasculation, Erection, Heart, Self, Head above Water, Easter Island, Vavoom, Gumby, Train, Baseball, Surfers, Iraq War.
Zur generellen Folklore gehört, Pettibons künstlerische Anfänge im kalifornischen Punkrock/Hardcore rund um SST, dem Label seines älteren Bruders Greg Ginn, zu verorten, so sehr er sich auch gegen die Punk-Vereinnahmung sträuben mag. Seine Heftproduktion startet mit dem im Buch zur Gänze enthaltenen Band „Captive Chains“ (1978) noch vor SST # 1. Punkrocker kommen als Thema seiner Arbeiten erst dann vor, als die Szene etwa um 1985 zerbröselte, zeitgleich mit dem Ende von Black Flag und dem bis heute anhaltenden Bruch mit seinem Bruder. Zeitliche und kritische Distanz zu seinen Themen sind ein Markenzeichen Pettibons, der in der Punk-Ära hauptsächlich die düstere Seite der Hippiekultur (Drogen, Manson) vornehmlich in selbst herausgegebenen und anfangs via SST vertriebenen Heften beleuchtete. Natürlich fanden sich seine Arbeiten auf den Plattencovers von Black Flag, Minutemen, diversen Samplern der frühen Szene und auf unzähligen Flyern, aber der Anti-Intellektualismus der Punks und ihre Geschichtsverweigerung waren ihm immer fremd. Er bezeichnet sich selbst als schüchternen Menschen, der lieber zu Hause bleibt, ein Buch liest, Kunst produziert und Jazz hört. Punkrock-Credibility hierfür = 0.
Als dieser Schreiber noch furchtloses Groupie war, ist er Pettibon Anfang 2003 in einer Galerie aufgelauert und hat einen Interviewtermin in einem Asia-Restaurant ergattert, bei dem auch Mitglieder seiner vornächtlichen Ad-Hoc-Juxband, der Pettibon als Sänger und MC vorstand, und Galeristen anwesend waren.
Warum mögen Punks keine Hippies?
Den ausgeprägten Hass der Punks auf Hippies gab es deswegen, weil sie am Vortag oder in der Vorwoche selbst noch Hippies waren. (Kellnerin kommt.) Ich nehme die Viet-Cong -Nudeln, ein Glas Wein und einen Wodka. Doppelt. Diese Pho-Nudeln habe ich in Vietnam gegessen. Ich habe mit 13 in Vietnam gedient. Das nominelle Alter ist 18, aber einige Leute lügen in Bezug auf ihr Alter. Sie haben nicht wirklich auf deine Geburtsurkunde geachtet, weil sie so oder so niemanden fanden, der hingehen wollte. Aber zurück zur Eingangsfrage: Punks sehen sich gerne außerhalb der Geschichte. Alles startet mit uns, so in der Art. Wenn man so nahe an einer Sache ist, führt das zu einer Art Selbsthass. Anstatt ihren Platz in der Geschichte zu sehen, ziehen sie eine Grenze. Letzte Woche war ich ein Hippie und mochte Fleewood Mac, jetzt bin ich ein Punkrocker und hardcore. Ich selbst war nie ein Hippie. Ich denke, es ist besser, sich als Person zu begreifen und sich nicht zu stark mit den jeweiligen Schwingungen der Gegenkultur zu identifizieren. Das ist einfach nur pathetisch. Jetzt hast du Punks mit 50 und 150 Kilo, die auf Nostalgietour gehen. Die Hippies waren da noch mieser. Die Sixties waren diese aufblühende Zeit der Erleuchtung und sie sagten: „Trau keinem über 30.“ Und sie sagten auch: „Wenn wir an der Macht sind, machen wir es anders. Wir werden Freiheit legalisieren und freie Liebe und Drogen und so weiter.“ Jetzt sind die Hippies die ruling class in Amerika und sie sind noch repressiver, noch stärker gegen Freiheit und Jugend. Sie machen Alter deswegen zum Thema, weil sie nicht in Würde altern können. (Sieht in die Runde.) Also ich denke, du solltest nicht über 60 sein, okay? Lasst uns da nicht lächerlich sein. Wie heißt der Film, in dem sie alle alten Leute in Heime stecken? Ein bisschen so wie Wien ein einziges großes Altersheim ist. Ich sage nicht, trau keinem über 30. Ich sage, trau keinem über 50, lasst uns hier vernünftig sein …
Lesen Sie das komplette Raymond Pettibon Interview in der Printausgabe.
Raymond Pettibon. Homo Americanus
19. November 2016 – 12. Februar 2017
Museum der Moderne, Salzburg
In Kooperation mit den Deichtorhallen / Sammlung Falckenberg, Hamburg
Gastkurator: Ulrich Loock
Kuratorin Museum der Moderne Salzburg: Tina Teufel