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Humanismus als permanente Performance

Text: Schöny Roland | Fotos: Albertina

Als unentwegt präsenter Aktivist und Kritiker autoritärer Systeme, der immer wieder Repressalien ausgesetzt ist, scheint Ai Weiwei bald mehr bekannt zu sein als für seine konzeptuelle Kunst. Jetzt widmet ihm die ALBERTINA MODERN im Künstlerhaus am Karlsplatz eine seiner größten Ausstellungen.

Ai Weiwei, S.A.C.R.E.D. (i) S upper, 2013. 1 von 6 Dioramen aus Fiberglas und Eisen. Courtesy Lisson Gallery, Foto: Courtesy Ai Weiwei Studio and Lisson Gallery © 2022 Ai Weiwei

Ai Weiwei hat sich als Marke etabliert. Nur selten erreichte ein Künstler mit solchem Tempo derart breite internationale Aufmerksamkeit weit über den Bereich der aktuellen Kultur hinaus. Doch keineswegs geht es überall da, wo sein Name auftaucht, um die Kunst selbst. Oft lässt sich dahinter ein Konfliktfeld vermuten, oft sind Ai Weiweis Auftritte von dessen Kritik an wirtschaftlicher Korruption oder Empörung über politische Repression geprägt. Im globalen Medienbetrieb verhält er sich wie ein Relais, das sich unentwegt neu auflädt mit aktuellen gesellschaftspolitischen Informationen. In seiner künstlerischen Arbeit werden diese dann transformiert in zeichenhaft geformte Kommentare, welche schließlich als Abbildung oder Ausstellungsobjekt in die globalen Infokreisläufe Eingang finden. Sei dies ein Objekt aus Marmor im Design einer Überwachungskame a oder ein Kleiderbügel als Symbol für den einzigen Gegenstand, der ihm im Zuge seiner 81 Tage dauernden Haft im Jahr 2011 gewährt worden ist. Seine Situation im Gefängnis stellte er räumlich nach und transformierte dies dann in eine Abfolge von Dioramen.

Ai Weiwei, Dropping a Han Dynasty Urn, 1995. Schwarz-Weiß-Fotografien (Triptychon). Images courtesy of the artist, Privatsammlung

Ausgerechnet aus dem Zusammenhang der Kunst heraus, wo sich alles um Glamour und Geld zu drehen scheint, gelang es Ai Weiwei, sich als ethische Instanz einen Namen zu machen. Nachdem er in China als Blogger mit Millionenpublikum in Konflikt mit den Behörden geriet und nach der polizeilichen Räumung und dem Abriss seines Studios außer Landes gehen musste, rezipiert ihn die globale Medienöffentlichkeit hauptsächlich als Kritiker von Verstößen gegen die Menschenrechte. Nicht nur auf sein Heimatland China bezieht sich dies. Denn generell gilt Ai Weiwei mittlerweile als kritischer Kommentator des Zeitgeschehens.

Allerdings führte das nicht gleich zu ungebrochener Anerkennung. In der Phase der heißen Auseinandersetzungen um seine Person, 2011, prangerte nämlich der damals in San Francisco lebende Kurator Hou Hanru, der heute das MAXXI in Rom leitet, die Kunst des Ai Weiwei als „völlig uninteressant“ an. Hanru konstatierte im deutschen Magazin monopol, dass die Rede von Menschenrechten lediglich dazu diene, neue Verkaufsargumente aufzubauen. Damit hatte er jedoch unter den Tisch gekehrt, dass die Laufbahn des Ai Weiwei seit jeher durch Verfolgung und Dissidenz geprägt ist und dessen künstlerisches Konzept außerdem von Beginn an durch zwei Hauptfiguren der westlichen Kunstgeschichte beeinflusst: von Marcel Duchamp und Andy Warhol.

Ai Weiwei, Study of Perspective – Eiffel Tower, 1999.  ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection, Foto: Mischa Nawrata © 2022 Ai Weiwei

Denn als Sohn des Künstlers und Malers Ai Qing verbrachte er wegen der zwanzigjährigen Verbannung seines Vaters Kindheit und Jugend in der Wüste Gobi in der Mandschurei. 1979 dann an der Filmakademie von Peking war er Gründungsmitglied der oppositionellen „Stars Group“. Ab 1981 schließlich in New York prägten ihn an der Parsons School of Design Performance und Konzeptkunst. Mit einer Zeitverschiebung von mehr als einem halben Jahrhundert griff er die Idee des „ready made“ als Übernahme industriell gefertigter Objekte direkt in die Kunst auf. Zugleich war er begeistert von Andy Warhols Strategien, Kunst als Massenmedium in die Öffentlichkeit zu tragen. Daraus erklärt sich sein Hang zu möglichst unmittelbar lesbaren Zeichen aus Materialien und Symbolen, entnommen aus der Umgebung des erlebten oder erlittenen Alltags; wie im Fall des Nachbaus seiner Gefängniszelle.

Ai Weiweis Fotoserie mit dem Stinkefinger vor berühmten Bauwerken wie dem Weißen Haus, vor dem Markusdom oder der Skyline von Hongkong gilt heute als eines der ersten Beispiele für diese Vorgehensweise. Sie ist ein vielfach publiziertes und ausgestelltes Beispiel für die Arbeit des Künstlers. Für manche mag sie vielleicht beweisen, wie einfach die Dinge laufen können: ein kleiner Schuss Provokation verknüpft mit einem allseits bekannten Superzeichen und das Ganze dann verpackt als Serie. Bedenkt man jedoch, dass die Wurzeln für diese Werkgruppe bereits in den frühen 1990er Jahren liegen, lässt sich nachvollziehen, mit welcher Konsequenz Ai Weiwei aus einem experimentellen Spiel eine konzeptuelle Idee von enormer Durchsetzungskraft ausarbeitet. Zunächst hatte er bloß ein öffentliches Plakat mit einer bandagierten Hand aktionistisch manipuliert, sodass nur noch ein ausgestreckter Mittelfinger ins Auge stach. Viel später, 1995, startete er auf dem Tian’anmen-Platz mit dem ersten Foto dieser Art auf Schwarz-Weiß-Film. Doch erst mit dem Übergang zu digitalen Aufnahmen per Handy und der Verbreitung des Internets als Plattform zur Veröffentlichung seines Blogs ab 2006 erreichten die Bilder jene Signifikanz, die ihnen heute als prototypisch für die Anfänge im Schaffen des Ai Weiwei zukommen.

Ai Weiwei, Crystal Ball, 2017. Kristall, Rettungswesten. Privatsammlung. Foto: Courtesy Ai Weiwei Studio © 2022 Ai Weiwei

Als „Study of Perspective“ bis 2011 steht die vielfach präsentierte Serie für eine Befragung des Standpunktes der Betrachter im Verhältnis zu Macht und Geschichte. Zugleich verdichten sich die Fotos zu einer Erzählung über die translokale Allgegenwärtigkeit des Künstlers. Die Serie beinhaltet jene Parameter, welche den meisten der Werke Ai Weiweis zugrunde liegen. Sie definieren sich aus dem Zusammenwirken von Raum und Architektur als gesellschaftliches Handlungsfeld. Eine wesentliche Rolle spielen darin Information und Kontrolle; sei dies im geografischen Sinn im Zusammenhang mit Migration, im urbanen Raum oder auf der Ebene algorithmischer Systeme der Überwachung …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 64

 

Ai Weiwei. In Search of Humanity
März bis 4. September 2022
www.albertina.at

 

 

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