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I am a shy person

Text: Jenny Davis | Fotos: Press

Im November wird sie sechzig, unsterblich ist sie schon: Oscarpreisträgerin Tilda Swinton lässt im Interview mit Jenny Davis ihren Gedanken freien Lauf – nachdenklich, ehrlich, faszinierend.

Tilda Swinton © La Biennale di Venezia/Giorgio Zucchiatti

DIe eben zu Ende gegangenen 77. Internationalen Filmfestspiele von Venedig bedeuteten die Rückkehr von großen Filmfestivals im Jahr der Corona-Pandemie. Mit Tilda Swinton nahm am Lido wiederum eine der Film-Größen unserer Zeit den Lifetime Achievement Award entgegen, der ihr Lebenswerk würdigt. Auf der venezianischen Leinwand zu sehen war sie in The Human Voice, einem Kurzfilm, der in Zusammenarbeit mit Pedro Almodóvar entstand. Demnächst wird sie in Wes Andersons Comedy-Drama The French Dispatch zu bewundern sein. Im Gespräch gewährt die Schottin Einblicke in ihre illustre Karriere – wenngleich sie selbst mit diesem Wort wenig anfangen kann – und ihren Werdegang zum Star. Sie spricht über die besondere Beziehung zu Derek Jarman und über weitere Filmemacher, die weit mehr sind als bloße Berufskollegen und gibt Erinnerungen aus allen Lebensphasen preis. Auch reflektiert sie diverse Projekte ihres großen Œuvres und die immense Bedeutung kollektiven Arbeitens. Passend, dass sie auch in ihrer Dankesrede in einer Anspielung einem anderen gedenkt, ihrem kürzlich verstorbenen Marvel-Mitstreiter und Black Panther-Star Chadwick Boseman: „Viva Venezia! Cinema, cinema, cinema. Wakanda Forever! Nothing but love.“

THE_HUMAN_VOICE_Tilda_Swinton.pngThe Human Voice, Pedro Almodóvar

Zuallererst die Frage: Was ist das Besondere an Filmfestivals?

Ich könnte nun sagen, dass sie mir einfach alles bedeuten, aber das stimmt nicht ganz. Nichtsdestotrotz wurzelt mein Weg zu Film und Kino in ihnen, und das gleich in mehrerer Hinsicht: Als Person, die Filme macht, bin ich seit jeher darin vernarrt, als Fan, als Nerd, quasi als Fach-Idiotin. Aber als ich 1986 für Caravaggio – schauen Sie, mein T-Shirt ist übrigens ein originales Caravaggio-Shirt, ich behalte ja alles – mit Derek Jarman in Berlin war, war das für mich wie ein Flug mit einem Hyperschall-Jet: Auf einmal sah ich internationales Kino wie niemals zuvor. Ich war sehr jung; dort, wo ich in Schottland aufwuchs, waren nicht viele Kinos gewesen. Ich hatte zwar schon ein Gespür dafür entwickelt, aber ich hatte kaum Erfahrung. Als ich dann in Berlin war und den Roten Teppich sah und, viel wichtiger, internationale Filmschaffende getroffen habe, … das war es einfach. Filmfestivals sind also von Anbeginn ein wichtiges Portal gewesen. Und bis jetzt ich honoriere und liebe Filmfestivals und und wirke gerne an ihnen mit. Das werde ich auch weiterhin, weil ich eben weiß, wie oft sie für Leute diesen ersten und einzigen wirklichen Zugang in die Welt des Kinos bedeuten. Jetzt, wo es möglich ist, internationalen Film auch durch die werten Streaming-Services lieben zu lernen – früher VHS oder DVD –, sogar in höherem Maße. Wenn wir Filmfestivals außen vor lassen, verlieren wir die große Leinwand. Wir müssen uns im Bewusstsein behalten, wie unglaublich wichtig sie sind. Allein die Erfahrung, in einen Film zu gehen, von dem man nie gehört hat, von Filmschaffenden gemacht, von denen man noch nie gehört hat, aus einem Land, dessen Sprache man noch nie gesprochen gehört hat – das ist unfassbar wichtig und ein echtes Privileg. Je mehr Leute die Gelegenheit dazu haben, desto besser. Und die Filmfestivals, die ich am liebsten habe, sind jene, die wirklich von vor Ort ansässigen Leuten geleitet werden.

caravaggio_photo02.pngCaravaggio, 1986. Regie: Derek Jarman

Im Laufe Ihrer Karriere sind sie einigen Regisseurinnen und Regisseuren sehr treu geblieben, wurden mitunter als deren Muse betrachtet – allen voran Derek Jarman. Wie kommt das?

Nun, ich habe es schon oft gesagt und ich wiederhole es gerne, weil es die Wahrheit ist: Hätte ich Derek Jarman nicht getroffen, würde ich nicht auf diese Weise Filme machen, arbeiten und leben, wie ich dies tue, das steht außer Frage. Denn mit ihm entdeckte ich eine Arbeitsweise, die ich als völlig einzigartig empfand, es war wie ein Blitzeinschlag. Das Wunder meines Lebens ist, dass dieser Blitz wieder und wieder eingeschlagen hat. Was ich mit der besonderen Arbeitsweise meine, ist, dass Derek ein Künstler war. Er war zuerst und primär Maler. Er wusste, was es hieß, alleine als Schöpfer seiner Bilder zu arbeiten, er verstand aber auch, dass er als Filmemacher mit einer Gruppe anderer Filmschaffender arbeitete. Als wir Caravaggio drehten, war ich absolut am Limit, ich wusste, dass ich keine Schauspielerin sein wollte. Das war total klar, ich dachte, es sei unmöglich bei der Art Kino mitzuwirken, das ich so liebte. Es war 1985 und ich hatte das Gefühl, das gäbe es gar nicht – ich war ja auf der Suche nach etwas wie Antonioni, Rossellini oder Fassbinder und meinte, das existiere in London nicht. Ich war kurz davor, die Idee der Schauspielerei zu verwerfen. Derek begegnete mir mit dieser besonderen Sensibilität, noch dazu auf kollektive Weise. Ich weiß nicht, wie man anders arbeitet. Säße er hier bei uns – und gewissermaßen tut er das –, würde er wahrscheinlich sagen, er hätte es aus Faulheit so gemacht: Er schmiss einfach eine Party und diese Party war der Film …

Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 58

Übersetzung: Jakob Dibold

| FAQ 58 | | Text: Jenny Davis | Fotos: Press
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