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„I just don’t like you no more“

Von der Ehrlichkeit und ihren weitreichenden Folgen: „The Banshees of Inisherin“ von Martin McDonagh – ein Film für die Gegenwart.

Eine Insel ist nicht automatisch auch ein Idyll. Und das Leben auf einer Insel demnach keineswegs immer friedvoll und gemächlich. Wenngleich es natürlich im Allgemeinen auf einer Insel eher unaufregend zugeht und das Leben dort überwiegend unspektakulär verläuft. Bis eben dann eines Tages und quasi unvermeidlicherweise doch etwas passiert, das den trägen Fluss der Zeit in ein Davor und ein Danach scheidet. In eine Welt, in der „alles in Ordnung“ ist, und eine, die man „nicht mehr versteht“.

Derjenige, der da eines grässlichen Tages aus allen Wolken fällt und seine bis dahin so überschaubare Insel-Welt nicht mehr wiedererkennt, heisst Pádraic Súilleabháin und lebt auf Inisherin, einer kleinen Insel vor Irlands Westküste. Nicht selten geschieht es dort, dass vom Festland Detonationen herüberdröhnen, akustische Zeugnisse des daselbst tobenden Bürgerkrieges (dessen Ende Irlands Teilung besiegeln wird) – woraus wiederum folgt, dass die Handlung von The Banshees of Inisherin, dem aktuellen und hier in Rede stehenden Werk von Martin McDonagh, zwischen Juni 1922 und Mai 1923 angesiedelt ist. Möglicherweise ist ja das Zerwürfnis der Freunde, von dem The Banshees of Inisherin handelt, als metaphorischer Reflex dieses übergeordneten Bruderzwistes zu lesen und solcherart vielleicht sogar besser zu verstehen.

Zunächst aber ist das Geschützfeuer weit weg, auf der anderen Seite, jenseits, und scheint die Bewohnerinen und Bewohner der Insel nichts anzugehen; sie sind froh, dass es bei ihnen ruhig und friedlich ist und keiner mit keinem im Clinch liegt oder sich streitet. Was sich dann allerdings recht rasch als ein fataler Irrtum erweist. Denn als wäre ihnen schon länger fad und als müssten sie deswegen dringend mal gewaltig Dampf ablassen, fahren die Banshees auf Inisherin hernieder und lassen keinen Stein mehr auf dem anderen.
Und es gibt viele Steine dort, geschichtet zu zahllosen Mäuerchen, die vielfach das schöne grüne Land durchziehen und die freilich einerseits das Viechzeug vom freien Herumstreunen abhalten, andererseits aber auch die Bewegungs-räume der Menschen einschränken. Man kann hier und dort und da gehen, nicht aber dort, da und hier. Man kann sich hinter Mauern zudem auch verstecken, um eine Begnung zu vermeiden, oder um jemanden zu erschrecken. Und man kann auch eine Mauer errichten, um eine Grenze zu ziehen.
Derjenige, der da eines unschönen Tages eine zieht, heißt Colm Doherty und ist der beste Freund von Pádraic. Vielmehr hat jener diesen bis zu jenem unseligen Tag für seinen besten Freund gehalten. Und dann das: „I just don’t like you no more“, lautet die Ansage und Erklärung dafür, warum Colm mit Pádraic kein Pint mehr trinken, ja, nicht einmal mehr mit ihm zusammen im Pub an einem Tisch sitzen will. Desweiteren: Im Grunde genommen habe er, Colm, ihn, Pádraic, schon immer uninteressant und eher dumm gefunden; und da man schließlich nicht jünger werde, habe er nun eben beschlossen, den verleibenden Rest seiner Lebenszeit etwas Sinnvollem zu widmen, zum Beispiel dem Komponieren einer volkstümlichen Weise für Violine, um solcherart womöglich sogar etwas Gültiges zu schaffen, das ihn überdauern werde. Da können einem dann schon einmal die Gesichtszüge entgleisen.

Colin Farrell, der Pádraic spielt, entgleisen die Gesichtszüge derart gekonnt, dass einem schier das Herz brechen möchte (bei den Filmfestspielen von Venedig 2022, wo The Banshees … uraufgeführt wurde, erhielt Farrell für seine Leistung die Coppa Volpi als Bester Darsteller). Es wird bei weitem nicht das letzte Mal bleiben, dass Furcht und Mitleid das zuschauerliche Gemüt in Erregung versetzen, dergestalt lässt McDonagh (der aus Venedig den Preis für das Beste Drehbuch mit Nachhause nahm) die Banshees auf Inisherin wüten.

Was sind eigentlich Banshees? Zu unserer Überraschung erfahren wir aus den für dergleichen Wissen zuständigen Lexika, dass es sich bei einer Banshee weder um eine Furie noch um einen Rachegeist handelt, sondern vielmehr um eine Art Fee. Nicht Wut und Zorn treiben dieses im Volksglauben Irlands beheimatete Wesen an, sondern Trauer. Eine Banshee ist ein weiblicher Geist aus der Anderswelt, dessen Erscheinung einen bevorstehenden Tod ankündigt. Meist wird sie als alte Frau vorgestellt, seltener als junge und schöne, und häufiger wird sie gehört als gesehen. Manchen Quellen zufolge kann ihr Klagen oder Kreischen („banshee wail“) jeden, der sie hört, augenblicklich töten oder wahnsinnig machen.

Das mit dem Wahnsinn leuchtet irgendwie ein, denn wahnsinnig erscheint durchaus, was in der Folge von Colms Freundschaftsaufkündigung passiert; auch schweift eine alte, gespensterhaft wirkende Frau über die Insel und kündigt zwei Tode an. Klar, da denkt man natürlich sofort an Pádraic und Colm – deren Streit aufs Allerunschönste eskaliert, weil Pádraic nicht aufgibt und Colm auf stur schaltet –, doch die beiden sind ja nicht die einzigen auf der Insel: da wären noch die übergriffig-neugierige Ladenbesitzerin und der immer mal wieder recht weltlich entgleisende Pfarrer, da ist der Polizist, ein böser, gewalttätiger Mann, und dessen Sohn, ein etwas unterbelichteter Beinahe-Erwachsener, der mit rührender Hilflosigkeit und freilich vergebens um Pádraics Schwester Siobhan (Kerry Condon) wirbt, die wiederum sich auf der Insel weit unter ihrem Niveau langweilt und es schließlich nicht mehr aushält und geht – woraufhin endgültig auch noch der letzte Funken Vernunft vom Konfliktfeld entweicht. Und dann sind da noch, nicht zu vergessen, Colms Hund (bleibt namenlos) und Pádraics Zwergesel Jenny.

Colm im übrigen wird gespielt von Brendan Gleeson, der das selbstverständlich nicht minder gekonnt macht als Farrell – mit dem zusammen er 2008 in McDonaghs Langfilmdebüt In Bruges bereits ein ziemlich unvergessliches Hund-und-Katz-Gespann bildete. Knappe fünfzehn Jahre später kann Farrell seine Augenbrauen mit noch größerer Präzision in Form gerader Linien noch schräger gen Himmel richten, und Gleeson hat einen beeindruckenden Truthahnhals entwickelt, dessen mittige Falte er gleichmütig über den Kragen hängen lässt. Und während in Farrells durchaus schlank wirkender Gestalt immer noch etwas Jungenhaftes nistet, dünstet aus Gleesons massigem Körper die Aura der schon etwas älteren Respektsperson.

Auch in In Bruges seinerzeit ging es um Leben und Tod, waren Gefühl und Härte auf ungeheuerliche Weise unauflöslich ineinander verzahnt, und ebenso war der Ton, in dem das Geschehen sich darbot, nicht leicht zu definieren: Ist es eine Komödie? Eine Tragödie? Eine Abrechnung mit den Genres? Eine Befreiung aus Gattungen generell? Es sind dies Fragen, die der hoch angesehene, britische Dramatiker McDonagh – 1970 in London als Sohn irischer Auswanderer geboren – in seinen Arbeiten für Bühne und Leinwand beharrlich aufwirft und ebenso beharrlich nicht beantwortet. Stattdessen entwirft er Spannungsfelder, kunstvoll gewirkte Problem-Gemengelagen, verankert sie breitflächig – und lässt sie hängen. Das muss man dann aushalten.

In Bruges machte den Autor und Regisseur dem Kinopublikum bekannt und brachte ihm zudem neben vielen weiteren Preisen auch gleich noch ein Oscarnominierung für das Beste Originaldrehbuch ein; 2012 legte er nach mit Seven Psychopaths, der allerdings auf eher zwiespältige Aufnahme traf; 2017 aber festigt er seine Reputation als Autor verstörend multiperspektivischer, vielfältig lesbarer, unterschiedlichste Tonlagen virtuos bedienender – damit immer auch: überaus bedeutungsreicher – Werke mit Three Billboards Outside Ebbing, Missouri. Die mit kohlrabenschwarzem Humor gesprenkelte Tragödie erzählt von Mildred Hayes, Mutter einer vergewaltigten und ermordeten Tochter, die sich nicht und nicht befrieden lassen will und nicht zurückkehren zur Rolle der stillen Dulderin der ihr von Gott und der Welt auferlegten Prüfungen. Ebensowenig und damit strikt solidarisch mit seiner Heldin lässt McDonagh seinen Film in ruhigeres Fahrwasser münden, um endlich doch noch versöhnliche Lösungen der zuvor geschürten Konflikte anzubieten. Die Parole lautet vielmehr einmal mehr: Eskalation! Das Ergebnis: Fünf Nominierungen für den Oscar, darunter die für das Beste Originaldrehbuch, sowie Auszeichnungen für Frances McDormand als beste Darstellerin und Sam Rockwell als bester Darsteller.

Nun also hat Martin McDonagh nachgelegt. The Banshees of Inisherin basiert auf dem unveröffentlicht gebliebenen, abschließenden Teil der „Aran Islands Trilogy“, bestehend aus den Bühnenstücken „The Cripple of Inishmaan“ (1996), „The Lieutenant of Inishmore“ (2001) und „The Banshees of Inisheer“ (unpubliziert). Gefragt, warum letzteres nicht veröffentlich respektive aufgeführt worden sei, gibt McDonagh zu Protokoll, das Stück sei nicht gut genug gewesen. Für das Theater vielleicht (auch wenn die Vorstellung schwer fällt), im Kino jedenfalls macht es sich sehr schmuck: als düster glänzender Brocken von antiker tragödischer Wucht, mitten hineingeworfen in die wenig herausfordernden Erzählungen des Mainstream. Die Fallhöhe ist beträchtlich, ebenso der Erkenntnisgewinn. Aber man muss es eben aushalten.

 

THE BANSHEES OF INISHERIN
Drama, Irland/GB/USA 2022
Regie, Drehbuch Martin McDonagh
Kamera Ben Davis Schnitt Mikkel E.G. Nielsen Musik Carter Burwell
Mit Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan, Pat Shortt, Jon Kenny, Bríd Ní Neachtain
Verleih Walt Disney, 114 Minuten
Kinostart 5. Jänner 2023

 

 

| FAQ 68 | | Text: Alexandra Seitz
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