Bereits das Cover von „Please Daddy“ ist mindestens ungewöhnlich: Es zeigt eine in schwarz-weiß gekritzelte nackte Frau, deren Körperproportionen stark verzerrt sind. Der Oberkörper ist verglichen mit den Beinen überdimensional mächtig, dazu kommt ein stark gealtertes Gesicht. Die Zeichnung ist ein Selbstporträt der auch als bildende Künstlerin hochaktiven Sarah Mary Chadwick, das schonungslos fernab von vermeintlichen ästhetischen Idealvorstellungen den eigenen Schmerz ausstellt. Dass dieser Schmerz und die Trauer um den Verlust eines vormals nahestehenden Menschen bildlich kaum adäquat in naiver Schönfärberei ihren Ausdruck finden können, liegt auf der Hand. Schonungslose Konfrontation mit dem Schmerz, insbesondere über den Weg der Kunst kann Leiden lindern, bei zu gutem „Heilungserfolg“ aber auch zum Verlust der eigenen Kreativität führen. Es bedarf einer gehörigen Portion Mut zur seelischen und körperlichen Entblößung, den Schmerz einem Publikum zu offenbaren. Von diesem Mut hat Sarah Mary Chadwick mehr als genug.
Blick in den Rückspiegel
Wenn Sarah Mary Chadwick auch in unseren Breiten eher unbekannt ist, heißt das nicht, dass sie nicht schon eine bewegte musikalische Vergangenheit in Australien hinter sich hat. Nach Australien, genauer nach Melbourne ist die gebürtige Neuseeländerin ausgewandert, und dort war sie zehn Jahre lang als Frontfrau der Grunge-Band Batliner aktiv. Über die Gründe der Demission bei Batliner ist wenig bekannt, fest steht aber, dass sich Chadwick immer mehr dem selbständigen Songwriting zuwandte, um eine Karriere als Solo-Artist voranzutreiben, was aus heutiger Sicht eine gute Entscheidung war. Bisweilen hat Chadwick fünf Soloalben veröffentlicht, von denen „The Queen Who Stole the Sky“ (2019) eine Besonderheit darstellt. Chadwick wurde von der Stadt Melbourne auserkoren, ein Opus für eine 174 Jahre alte Orgel im Rathaus zu komponieren. Inhaltlich steht die Komposition im Zeichen der Trauer um ihren Vater und ihren früheren Partner, die in kurzer Abfolge verstorben waren. Zur Aufführung kam das erfolgreiche Werk im Winter 2018 und wurde von der Künstlerin folgendermaßen kommentiert: „This work is dedicated to anyone who ever wanted a little bit more than what life had to offer them“. Möglicherweise zählt(e) sich Chadwick sich selbst auch zu jenen. „After the organ record, I was flummoxed what I’d write about because I didn’t have access to grief for the first time in three years“, gab Chadwick Bandcamp zu Protokoll.
Please Daddy
Die Sorge darüber, was Chadwick nach „The Queen Who Stole the Sky“ noch produzieren könnte, sollte sich als unbegründet herausstellen. Mit leicht brüchig-kratzender Stimme, die irgendwo zwischen Nina Simone, Soap&Skin und der späten Nico angesiedelt ist, vermag Chadwick bereits mit „When Will Death Come“ auf ganzer Linie zu überzeugen. „I’m falling apart… I thought I was passed this but I’m losing it“ singt Chadwick auf Basis spartanischer Begleitung, bis dann doch die Strings gehörig anschwellen. Großes Kino schon zum Einstieg, ganz im Sinne von Peter Weibel, der bekanntlich den Aphorismus „Die schönsten Strophen sind die Katastrophen“ formuliert hat …
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Please Daddy (Sinderlyn Records)