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I WANT TO RIDE MY BICYCLE

Der britische Fahrradhersteller Brompton ist längst zur Ikone geworden. Ein Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kultrads.

Brompton C Line, Explore. Bear Grylls - Special Edition

Wenn man nach Beweisen für die Popularität der Marke Brompton sucht, kann man sich zunächst die nackten Zahlen ansehen: 45.000 Räder produziert Brompton jährlich, was das 1976 gegründete Unternehmen zum größten Fahrradhersteller Großbritanniens macht. Nicht minder eindrucksvoll: Im Dezember 2022 fertigte man das einmillionste Faltrad. Brompton ist ein Top-Player, kein Zweifel. Doch nicht nur Zahlen spielen eine Rolle, auch das Renommee: Während es für die Innovationen des Unternehmens bereits jede Menge Preise gab, schätzen Fahrrad- Aficionados Bauweise, Robustheit und Design der Räder. Das dreistufige Faltsystem ist längst zum Trademark geworden, ein Brompton erkennt man weltweit auf den ersten Blick. Doch wo liegen die Wurzeln dieser Erfolgsgeschichte?

Zunächst muss man wissen, dass Entwickler und Gründer Andrew Ritchie, Jahrgang 1947, ein Mann vieler Interessen und Fähigkeiten ist: Er studierte Ingenieurwissenschaften an der Trinity University in Cambridge und war ebenso als Landschaftsgärtner wie als Computerprogrammierer tätig. In den frühen siebziger Jahren stieß der Brite zufällig auf das Bickerton Bike, ein Aluminium-Faltrad, das prinzipiell zwar innovativ war, aber auch technische Probleme hatte. Ritchie fühlte sich von der Grundidee inspiriert und war überzeugt, ein besseres Faltrad gestalten zu können. Zunächst – so steht es im Buch „The Brompton“ von Brompton-Managing-Director Will Butler-Adams und Dan Davies (2022, Profile Books) – wollte er eigentlich nur ein Einzelrad für sich selbst herstellen. Doch schnell war er überzeugt, dass sein Faltrad auch für eine größere Zahl von Menschen nützlich sein könne, und machte sich ans Werk. Den Namen Brompton übernahm er dabei von der Brompton Oratory in South Kensington: Auf diese neobarocke römisch-katholische Basilika aus den 1880er Jahren (deutscher Name: Oratorianerkirche Unbeflecktes Herz Mariä) blickte der Tüftler nämlich, wenn er aus dem Fenster seiner Wohnung sah. Ritchies Vision: ein handliches, hohen Qualitätsansprüchen gerecht werdendes Fahrrad, das man auch in einer stressigen, aus allen Nähten platzenden Metropole wie London bequem mitnehmen konnte. Um diesen Traum wahr werden zu lassen, erfand Ritchie den erwähnten dreiteiligen Faltmechanismus, der das Rad im Handumdrehen in ein leicht transportierbares Paket verwandelte. Ein Paket, das man ebenso problemlos in der U-Bahn mitnehmen wie zu Hause verstauen konnte. Der Prototyp entstand in seinem Schlafzimmer, in den folgenden Jahren mietete er sich in einer Maschinenbaufirma ein, verfeinerte seine Erfindung immer weiter und fertigte die ersten Modelle auf Bestellung von Hand. 10 Freunde Ritchies investierten jeweils 100 Pfund, um ihm den Start ins Geschäftsleben zu ermöglichen.

Andrew Ritchie © Brompton

Tradition und Innovation

Ritchies Erfindung machte es dabei nötig, nicht nur eigene Konstruktionsverfahren zu entwickeln, sondern auch spezielle Werkzeuge. Ein finanzstarker Kunde unterstützte Ritchie beim Umzug in die erste eigene Brompton-Fabrik in West-London, doch auch diese Räumlichkeiten wurden schnell zu klein. Ritchie gelang es, immer mehr Geld von Investoren aufzutreiben und so konnte Brompton 1987 in eine noch größere Fabrik im Londoner Stadtteil Brentford übersiedeln. In den frühen achtziger Jahren war übrigens kurz im Raum gestanden, das Brompton-Design an die Raleigh Bicycle Company zu lizenzieren, doch dieses Unterfangen zerschlug sich. Ein Umstand, über den der detailverliebte Ritchie rücblickend froh war, wie er in einem Interview im Jahr 2005 bekannte: „Die finanzielle Unterstützung von Privatleuten erlaubte mir, ein Perfektionist zu sein. In gewisser Weise bin ich froh, dass wir keinen Lizenzdeal mit Raleigh bekommen haben. Ich bin nicht sicher, ob die Firma sonst überlebt hätte. Das Fahrrad wäre vermutlich simplifiziert und billiger gemacht worden.“ Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Während die Räder über die Jahre immer innovativer wurden, blieben sie stets unverkennbar – Tradition ist den Briten eben wichtig. Eine Hauptkonstante ist der Faltmechanismus. Auch heute noch werden die Räder von Hand gefertigt – und noch immer lassen sie sich innerhalb weniger Sekunden (Weltrekord: 4,14 Sekunden) auf ein Drittel ihrer Größe zusammenfalten. Jedes Brompton besteht aus mehr als 1200 Komponenten, von denen rund 70 Prozent im Unternehmen selbst gefertigt werden. Hierdurch unterscheidet sich Brompton von zahlreichen Konkurrenten, die ihre Komponenten von einigen wenigen internationalen Großproduzenten beziehen. Selbstredend hat man auch E-Bikes im Programm, wobei hier ebenfalls der Perfektionismus des Gründers zum Tragen kam: Zehn Jahre dauerte es von der Idee bis zur Auslieferung des ersten Brompton E-Bikes im Jahr 2017.

Aus den zahlreichen Feinheiten der Fertigung sei der Vorgang des Lötens herausgegriffen: Jedes Brompton wird bei einer Temperatur von 900 Grad Celsius gelötet – eine deutlich niedrigere Temperatur als beim Schweißen vom Stahl. Das Metall wird so deutlich weniger Hitzestress ausgesetzt. Jede Lötstelle erhält zudem eine eigene Markierung, was sie für die Qualitätskontrolle rückverfolgbar macht.

Brompton Factory

Das Brompton ist so gut wie überall auf der Welt erhältlich (im deutschsprachigen Raum schätzt man beispielsweise die Möglichkeit, das gefaltete Fahrrad im öffentlichen Nahverkehr gratis mitnehmen zu können). 900 Angestellte, 1.500 Einzelhändler und 15 Flagship-Stores, sogenannte Brompton Junctions, gibt es mittlerweile. Fans wissen, dass vier Buchstaben im Unternehmen eine große Rolle spielen: A, C, P und T. Die A Line ist besonders simpel, die bereits erwähnte C Line – der Klassiker, der gerade einmal 11 Kilo wiegt – ist aus Stahl, die P Line ist dank Hinterbau und Titan-Gabeln gar nur 9,99 Kilo leicht und die exklusive T Line bringt etwa 7,45 Kilo auf die Waage. C und P sind zudem auch als E-Bikes erhältlich. Farblich geben sich A (Gloss White), P (Midnight Black & Storm Grey) und T (Titan) dezent, doch bei C wird es bunt – diese Line gibt es in acht Farbvarianten, wobei kürzlich Matcha Green als neueste Version dazugekommen ist. Die C Line wird außerdem in vier Black-Edition-Farbvarianten angeboten, die in der Brompton London Factory pulverbeschichtet werden. Die Bikes sind mit einer Gabel und Hinterbau in Gloss Black sowie eleganten All-black-Komponenten ausgestattet.

Jedes Brompton kommt in einer einheitlichen Rahmengröße. Um es dennoch an verschiedene Körpergrößen und Sitzpositionen anpassen zu können, wird ab einer Körpergröße von 1,75 die getestete Teleskopsattelstütze empfohlen. Außerdem können dafür drei verschieden stark gekröpfte Lenker – low, mid oder high – zur Anwendung kommen. Unterschiede gibt es auch bei den Gängen: Die A Line verfügt über eine Drei-Gang-Schaltung, die C Line wird in der „Urban“-Version mit Zwei-Gang-Schaltung und in der „Explore“-Version mit Sechs-Gang-Schaltung angeboten. Die Brompton-eigene Sechs-Gang-Schaltung wird dabei über zwei Trigger angesteuert, welche die beiden Ritzel, beziehungsweise die drei Gänge der Nabenschaltung wechseln. Die P Linie bringt es auf vier Gänge und die T Linie „One“ auf einen Gang (die „Urban“-Version ist mit Vier-Gang-Schaltung versehen).

Brompton Electric, C Line, Explore

Das Modell T wurde übrigens erst heuer mit dem renommierten Design & Innovation Award prämiert: Ausschlaggebend für den Preis an den „Rolls Royce unter den Falträdern“ waren u. a. modernste Fertigungstechnologien und Werkstoffe, „die man eher im Flugzeugbau als an einem Faltrad vermuten würde“. Hervorgehoben wurde auch der Rahmen aus Titan, der „nicht nur 37 Prozent weniger wiegt als der ursprüngliche Stahlrahmen, das stoßdämpfende Material sorgt auch für spürbar mehr Fahrkomfort. Lenker, Kurbel und Radgabel bestehen aus leichtem Carbon“, so ein Auszug aus der Jury-Begründung.

Brompton T Line, Urban

Natürlich tut eine Kultmarke was für die Fans: Das einmillionste, im Werk Greenford produzierte Rad – u. a. versehen mit der Unterschrift Ritchies und der Seriennummer 1.000.000 – tourt seit Jahresbeginn durch insgesamt 16 Städte, sodass die globale Community es live besichtigen kann. Begleitet wird die Tour von Diskussionsrunden zur Gestaltung einer nachhaltigeren, grüneren Stadt der Zukunft. Die Qualität hat ihren Preis – ein Brompton beginnt bei 1.500 Euro –, doch man kann an einem der schönen Falträder aufgrund der hohen Fertigungsqualität viele Jahre lang Freude haben.

Das Unternehmen rechnet aktuell mit weiterem Wachstum, zumal die Corona-Pandemie das Mobilitätsverhalten der Menschen verändert habe. Für die nähere Zukunft hat man große Pläne: 2027 soll eine visionäre neue Fabrik in Ashford, Kent, eröffnen. Besonderer Fokus liegt dabei auf Nachhaltigkeit: Das Fabriksgelände soll renaturiert und in ein öffentliches Naherholungsgebiet verwandelt werden. Der Standort wird als Brompton-Hauptquartier dienen und ein Museum sowie ein Café beinhalten. Als Plan-Soll hat man eine Jahresproduktion von 200.000 Rädern ausgegeben. Man kann davon getrost ausgehen, dass diese Erfolgsgeschichte Made in Britain unvermindert weitergehen wird. Wer mit wachen Augen durch die hiesigen Straßen geht, wird jedenfalls erkennen, dass sich die Brommies, wie sie von ihren Fans liebevoll genannt werden, auch in Österreich – und da vor allem in Wien – wachsender Beliebtheit erfreuen.

FALTEN LOHNT SICH!

Seit 1. März 2023 gibt es erstmals in Österreich eine Förderung für (E-)Falträder – Faltrad und Öffis sind eben eine unschlagbare Kombination. Das Klimaschutzministerium arbeitet dabei mit dem Sportfachhandel zusammen. Privatpersonen, Betriebe, Vereine und Gemeinden können einen Betrag von 600 Euro in Anspruch nehmen. Dabei werden 450 Euro durch das Klimaschutzministerium und 150 durch den Sportfachhandel getragen. Mit dieser Maßnahme sollen sowohl das Fahrradfahren attraktiviert als auch die Umwelt noch stärker geschützt werden. Das erforderliche Faltmaß beträgt 100 x 80 x 40 Zentimeter (gefalteter Zustand) – so gilt das Rad bei den ÖBB in allen Nahverkehrszügen und Railjets als Gepäckstück, das kostenlos transportiert werden kann. Fördervoraussetzung für Privatpersonen ist der Besitz einer Jahreskarte. Die oben erwähnten Modelle von Brompton schaffen das erforderliche Faltmaß übrigens locker – Länge: 58,5 – Höhe: 56,5 – Breite: 27 Zentimeter – und sind somit Fixkandidaten für die Förderung.

Tipp: Für professionelle Beratung und Testfahrten mit den Brompton Falträdern kann man sich in Wien an Citybiker, Lerchenfelderstraße 13, 1070 Wien wenden.
citybiker.at

 

| FAQ 72 | | Text: Oliver Stangl
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