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Ich glaube an die Subkultur

Text: Lippits Doris | Fotos: Archiv

Misstöne haben sich vor der Eröffnung der diesjährigen Kunstmesse breit gemacht. Messe-Chef Matthias Limbeck spricht von Zahlen und „Penetration des Marktes“, gar von „Kindesweglegung“ der Kunstmesse, während Sie stets die künstlerischen Inhalte betonen. Was war für Sie in der aktuellen Edition besonders wichtig?

Als wir an der Messe zu arbeiten begonnen haben, war die heile Welt noch vorhanden. Da gab es das Wort „Krise“ noch nicht. Wir haben munter drauflos geplant, auch mit dem Selbstbewusstsein, dass wir einen großen Erfolg schaffen werden. Mitten drin hat uns die Krise wie ein Hammer getroffen. Es war klar, dass es nicht so weiter gehen und die Krise auch Zäsuren bei uns hinterlassen würde. Die Frage lautete: Wie geht man damit um? Was machen wir? Wir wollten nach wie vor eine sehr gute Messe auf die Beine stellen und den Künstlern, die dort ausstellen, etwas bieten – genauso wie dem gesamten Pulk auf der Messe.

Wie gehen Sie mit dem Anspruch um, neue Akzente zu setzen und so frisches Kunstpublikum zu erreichen, das in Wien per se ja recht überschaubar ist?

Man muss den Menschen immer etwas bieten können. Hauptaugenmerk ist natürlich die Messehalle, wo Galeristen ihre Kunst präsentieren. Wichtig ist aber auch der Rahmen. Wir haben uns bemüht, ein interessantes Programm rund um die Messe zu organisieren. Es gab spezielle Veranstaltungen in Museen, wo zum Beispiel Direktoren Führungen durch bestimmte Teile der Sammlungen organisiert haben, die sonst nicht zugänglich sind. Im Historischen Museum der Stadt Wien zum Beispiel, wo Besucher grundsätzlich nicht so sehr an einer modernen Kunstmesse interessiert sind, hat Wolfgang Kos ein für uns sehr spannendes Programm zusammengestellt, bei dem man das Loos-Zimmer und das sonst nicht zugängliche Zimmer seines Schülers Haerdtl sehen konnte. Das Filmmuseum hat extra ein Special Screening zum österreichischen Experimentalfilm gestaltet. Und mit einer Busfahrt nach Gugging haben wir ausländischen Besuchern die Sammlung österreichischer Art Brut nähergebracht. All diese Führungen waren sofort ausgebucht – das heißt, dass sie auch sehr stark angenommen wurden. Im Jahr davor habe ich einen kleinen Flop fabriziert: Ein Orgelkonzert in der Schubertkirche im neunten Bezirk. Das war schon ein wenig radikal, Samstag um 8.30 Uhr ein Konzert zu organisieren. Aber wichtig. Die Leute, die dort waren, waren so begeistert von dieser Kirche, über die in den Stadtführern fast nirgendwo etwas zu lesen ist. Deshalb hat es heuer eine spezielle Stadtführung gegeben. Ich habe einen englischen Schriftsteller entdeckt, der ein wunderbares Buch über Wien geschrieben hat …

Welches Buch?

Duncan Smiths Only in Vienna. A Guide to Hidden Corners, das 2008 erschienen ist. Ich war so von dem Buch begeistert und sage das als einer, der in dieser Stadt lebt. Ich kenne Wien wirklich sehr, sehr gut – jeden Winkel – aber Smiths Wien war wie eine neue Stadt für mich. Der Autor war einige Monate hier und hat an etwas anderem geschrieben. Zwischendurch entdeckte er Teile von Wien, die ihn so interessiert haben, dass er daraus ein Buch gemacht hat. Smith kam für diese Führung höchstpersönlich aus London angeflogen und ging mit Besuchern zu bestimmten Plätzen, erklärte Zusammenhänge. Galeristen haben sich für diesen Termin eigens Vertretungen geholt, um selbst daran teilnehmen zu können. Bei solchen Highlights geht es eben nicht um tolle Partys und Riesenevents, sondern darum, kunstinteressierten Menschen etwas anderes zu bieten – zum Beispiel ein anderes Wien.

Kunstmessen im internationalen Vergleich: Basel etwa hat eine ganz andere Stellung in der zeitgenössischen Kunst …

Basel kenne ich sehr gut, weil ich Mitte der Sechziger Jahre dort gelebt und meine Sozialisierung in der Kunst erfahren habe. Basel war eine extrem langweilige Stadt, da war gar nichts los. Das einzig Interessante dort war das Kunstmuseum. Der Eintritt war gratis, es gab eine kleine, nette Caféteria. Ich bin oft hingegangen, einfach nur, weil ich das für einen guten Platz hielt. Einmal gab’s dort eine Ausstellung von Cy Twombly, von ihm hatte man in Wien noch nie gehört. Ich war so beeindruckt von der Installation über zehn Räume. Das war so stark, dass ich begonnen habe, mich für Kunst zu interessieren. Ein Jahr später fand dort eine Ausstellung von Beuys statt – ich hatte keine Ahnung, worum es da geht. Es hat mich einfach in die Kunst hineingezogen. Aber zurück zur Kunstmesse in Basel: Natürlich können wir das in Wien nie einholen.

Wien kann diesen Vorsprung von Basel nicht einholen?

Nein, wir können nicht 40 bis 50 Jahre Versäumnisse nach- und aufholen. Auch mit viel Geld nicht.

Weil dieser Vorsprung auf eine lange Tradition zurückgeht und Mäzene dem Museum Kunstwerke geschenkt haben, mit denen ein jeder den anderen überbieten wollte?

Ja, genau. Die Rolle der Kunsthalle Basel ist wichtig. Sie reagiert sehr schnell auf neue Strömungen. Als die Neuen Wilden gekommen sind, hat man dort die Neuen Wilden gezeigt. War die geometrische Kunst en vogue, dann hat man geometrische Kunst gezeigt. Man konnte so nachvollziehen, was in der Kunst gerade in diesem Moment passiert. Und auch, warum es passiert. In Wien ist genau das Gegenteil der Fall. Hat jemand geometrische Kunst gemacht, ist er hergegangen und hat gesagt: Ich mache jetzt eine Ausstellung über geometrische Kunst. Aber warum? Man hat nie verstanden, warum etwas gezeigt wird. Man konnte die Geschichte nicht nachvollziehen … Das ist im Grunde bis heute so. Die Leute gehen hin und verstehen die Zusammenhänge nicht. Kunst ohne Kontinui-tät kann man eben nicht begreifen. Das ist genau wie in der Musik, wo zum Beispiel eine Band wie Kraftwerk mit ihrer Computermusik Generationen von Musikern inspiriert hat. Die Kunst hat ein Problem: Sie ist oft kompliziert, weil durch Theorie belastet. Um eine Ausstellung zu verstehen, muss man dann ein Buch lesen. Sonst ist das oft nicht zu verstehen.

Und die aktuelle Entwicklung in der zeitgenössischen Produktion?

Da bin ich schon sehr skeptisch. Die Malerei ist beispielsweise wieder stark im Kommen, Trends entstehen sehr schnell. Und dann schaut und beobachtet man. Wenn diese Trends funktionieren, springen alle genau auf diesen Zug auf und arbeiten in diese Richtung. So ist das auch auf Hochschulen. Ich unterrichte seit Jahren an der Universität für Angewandte Kunst. Ein Trend wie der eben beschriebene verleitet sofort 90 bis 95 Prozent der Studenten dazu, auch zu malen. Sie sehen, dass es funktioniert und glauben automatisch, das Erfolgsrezept gefunden zu haben. Wenn man das dann sieht, ist man schon erstaunt. Es kommt alles wie aus einer Hand!

Und man weiß dann, welcher „Meister“ dahinter steht?

Ja, genau. Es gibt die Abstraktion, die gegenständliche Kunst, unendlich viele verschiedene Facetten. Aber nein, sie machen es alle gleich, weil man ihnen ein Erfolgsmodell vorzeigt. Zuerst entsteht mal etwas. Und durch die ungeheure Geschwindigkeit unserer heutigen Zeit wird es sofort übernommen. Das habe ich auch immer wieder im Osten gesehen, wo Kunst anfangs sehr stark von Konzeptkunst durchdrungen war.

Und Aktionismus …

Und Underground. Dann hat sich ihre Welt mit der EU verändert. Durch die Öffnung des Marktes, aber auch durch das Internet und die Neuen Medien, die daraus eine globale Kunst gemacht haben. Natürlich ist es interessant, zu beobachten, wie sich dadurch die Kunst radikal verändert hat. Informationen sind leicht und schnell zugänglich und man greift so eben viel schneller auf ein Erfolgsmodell zurück.

Bedingt genau das eine Entwicklung des Kunstmarkts anhand von Vorbildern wie Damien Hirst oder Jeff Koons, deren Kunstwerke auf Auktionen weltweit die höchsten Preise erzielen?

Ja. Damien Hirst zeigt derzeit sein Gesamtwerk in der Ukraine. Nicht in Deutschland, sondern in der Ukraine!

Wie inflationär sind heute Kunstmessen, bis hin zu jener in Moskau, die verschoben wurde und erst im September stattfinden wird? Wohin geht der Kunstmarkt, der mit der Krise einbricht?

Es gibt von allem zu viel. Zu viel Kunst, wahrscheinlich auch zu viele Galerien. Das ist nun vielleicht ein wenig provokant dahergesagt. Aber man muss genau hinsehen, was da in den letzten zwei bis drei Jahren am Kunstmarkt passiert ist. Die Kunst ist eine ziemlich elitäre Erscheinung, stark vom Bildungsbürgertum geprägt. Das war das Umfeld der Kunst. Dabei war Österreich in den Siebziger Jahren beinahe kunstfrei. Werke von Künstlern konnten für zwei- bis dreitausend Schilling gekauft werden – und zwar von solchen, die heute zu den „Alten Meistern“ zählen. Zwei- bis dreitausend Schilling … Das war auch damals nicht sehr viel für ein Kunstwerk.

Solche Preise zum Beispiel für einen Brus?

Eine Zeichnung von Brus hat dreitausend Schilling gekostet. Der Markt ist plötzlich nach oben explodiert. Und jetzt reden wir von der Krise. Ich glaube, dass es keine Krise gibt. Ich denke, dass diese Größenordnung bereinigt wird. Nicht alle, die Kunst gekauft haben, sind wirklich an Kunst interessiert. Wichtig ist dabei die soziale Situation. Kunst war superschick. Sie hat viel geboten: Man wurde eingeladen, konnte dann einen Abend mit einem Künstler verbringen, wo man sich dann nett über die Welt unterhalten hat – eine Welt voll Luxus, wohlgemerkt. Wie soll ich das meiner Mutter erklären, wenn sie eine Ausstellungseröffnung in der Albertina sieht, wo alle nur in Smokings mit Champagner-Gläsern herumstehen? Von den Reichen und Schönen ist dann am nächsten Tag beim Adabei die Rede. Wie soll ich ihr also erklären, warum der Eintritt in der Albertina so teuer ist? Genau darum geht es aber. Sie sagt zu Recht: Ich soll so viel zahlen, damit die sich das leisten können? Sehen Sie sich mal an, welche Ausstellungsinformation man in den Zeitungen findet? Baselitz ist jener Künstler, dessen Werke 300.000 Euro erzielen. Super! Gut für ihn, aber warum muss ich dann dafür zahlen, um seine Bilder im Museum zu sehen? Er hat doch eh so viel Geld! Die Kunst hat die Relation zu sich selbst verloren. Und sich auch nicht mehr reflektiert. Und dadurch keinen Halt mehr. Und genau das wird sich ändern. Das wird aufhören. Mit dem Wegfall dieser Klientel wird sich alles etwas bescheidener geben müssen. Und das tut mir persönlich nicht wirklich wahnsinnig weh.

Eine Chance für die Kunst, sich neu zu organisieren?

Das Gespräch wird lang! Man kann nicht immer alles nur kurz abhandeln und mit kurzen Statements abtun. Natürlich könnte ich sagen: Alles ist super, Kunst ist super und wir gehen. Man muss aber auch fragen können: Wo haben wir Fehler gemacht? Was ist falsch gelaufen? Ich komme aus der Musik und bin nun künstlerischer Leiter der Viennafair. Super-Job. Für mich ist trotzdem wichtig, nicht zu vergessen, wo wir herkommen. Und nicht zu vergessen, dass es die Menschen in Favoriten gibt. Ich schaue sehr wohl, was die Menschen lesen und denken. Man kann natürlich zynisch sagen: Die Masse ist dumm. Aber man kann sich auch fragen, welche Fehler man gemacht hat. Um auf die Schweiz zurückzukommen: Man hat dort die Menschen herangebildet. Staatliche Institutionen haben es dort verstanden, moderne Kunst nicht als feindselig oder deppert zu begreifen und zu vermitteln. Darum ist dort die Stimmung in der Kunst eine so andere als hier. Das aber können wir nicht mehr nachholen, das haben wir sehr lange versäumt.

Wie spüren Sie junge Künstler auf, die noch unbekannt oder noch in keiner Galerie vertreten sind?

Ich bin sehr stark vernetzt und international tätig. Nicht nur in der Kunst, ich bin auch mit Menschen in Verbindung, die konstant durch die Welt reisen. Das ist vielleicht der Unterschied zu anderen Kollegen: Ich sehe Dinge nie isoliert, weil ich mich in einem ganz anderen Kreis bewege. So tauscht man sich aus und findet weltweit neue Kontakte und Künstler. In meinem tiefsten Herzen glaube ich an die Subkultur. Das ist immer wieder der Ort, wo interessante Dinge herausgekommen. Egal, ob in der Musik oder in der Kunst: Legendäre Künstler kamen immer von dort, wo etwas Essenzielles im Leben passiert, wo man sich für etwas einsetzt. Letztlich ist die Krise interessant. Die Musik hat sie vor zehn Jahren erschüttert, als plötzlich keine CDs mehr gekauft wurden. Ein ganzer Markt ist weggebrochen. In diesen Zeiten passierte viel. Viele neue interessante Bands und Musikprojekte sind so entstanden. Die Musik selbst hat sehr schnell darauf geantwortet. Die, die nur schön und reich sein wollten, waren plötzlich draußen. Aber die Musiker, die spielen wollten, sind in einen Bus gestiegen und haben monatelang unter beschissensten Bedingungen gearbeitet und gelebt. Und genau die waren plötzlich gefragt. Für die musicworker hat sich die Situation total verbessert – eine interessante Antwort auf eine Krise! Mir ist egal, ob Universal Geld verdient. Mir ist wichtig, dass das Geld, das ich für ein Ticket bezahle, die Band bekommt. Und auch die Kunst wird eine Antwort auf die Krise finden! Mega-Ausstellungen und große Künstler werden vielleicht nicht mehr so interessant sein. Daraus wird aber wieder etwas Neues, Spannendes entstehen! Neue art spaces.

Off-spaces …

Ja. Wichtig ist, dass auch die Jugend wieder initiativ wird. Ich habe das in den letzten Jahren oft gesehen, dass junge Künstler das Bild des Künstlers total missverstanden haben. Dieses Bild besteht darin, ein paar Kunstwerke zu machen, cool zu sein, viel Geld zu verdienen und auf Parties zu gehen. Ich verstehe das sehr gut. Warum soll man in einer Fabrik arbeiten, wenn es so auch geht? Ich versuche aber täglich, den Studentinnen und Studenten an der Angewandten zu vermitteln: Das wird sich mit der Krise radikal ändern. Die Grantigen, die alleine zu Hause sitzen, Gedanken spinnen und eine bestimmte Idee von Kunst haben – nämlich, dass Kunst von innen heraus kommt – werden wieder in den Vordergrund rücken. Wenn Menschen Kunst nicht als Karriere sehen – dann ist das wunderbar und eine große Chance!

| FAQ 04 | | Text: Lippits Doris | Fotos: Archiv
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