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IHRE MAJESTÄT

Sisi war gestern: Vicky Krieps gibt Elisabeth von Österreich mehr als nur ein neues Gesicht und eine neue Taille – sie gibt ihr alles. Ein Gespräch über „celebrity culture“, die weibliche Kraft und die Kunst des Scheiterns.

Vicky Krieps. Foto © Anna Krieps

Fester!“ Man kann es kaum mit ansehen. Und nochmal: „Fester, hab ich gesagt!“ Man spürt, wie ihr beim Schnüren des Korsetts der Atem stockt. Sieht, wie der Druck auf die Magengrube ihr das Gesicht verzerrt. Trotzdem bleibt Elisabeth hart. Die österreichische Kaiserin, die zuvor bayerische Prinzessin war, ist keine Frau für halbe Sachen. Und zimperlich ist sie schon gar nicht. Sonst hätte sie es wohl auch nicht bis zu ihrem vierzigsten Geburtstag geschafft, der ihr zu Beginn von Marie Kreutzers neuem Film Corsage bevorsteht. Ein stolzes Alter für eine Dame in ihrer Zeit, aber kein angenehmes. Vorbei sind die Sisi-Jahre, der kindliche Zauber verflogen, die unschuldige Schönheit vergilbt. Stattdessen ist da jetzt Vicky Krieps, die rauchend und turnend und hungernd gegen jedes Gramm zu viel, um jeden Millimeter Hüftumfang weniger kämpft. Krieps’ Elisabeth ist eine Kriegerin in eigener Mission. Einsam, rau, und ungehorsam. Das macht sie weder bei ihrem Gatten, dem Kaiser Franz Joseph, noch in der breiten Öffentlichkeit beliebt. Ihre Zofen fürchten sich vor ihr, die kleine Tochter (ganz der Papa) wundert sich.

Nein, so viel steht fest, Kreutzers Corsage ist kein Heimatfilm und die Kaiserin kaum mehr ein Mädel im feschen Gwand. Vicky Krieps, die viel zu lange als Geheimtipp galt, spielt Elisabeth wie sie allen ihre Figuren begegnet: mit einem gesunden Ernst und der Freiheit zum Fall. Willensstark, eigensinnig und angstfrei, so hat sich die 1983 geborene Luxemburgerin (die fließend Deutsch, Französisch und Englisch spricht) nach ihrer Ausbildung zunächst am Theater und schließlich mit beachtlichen kleineren Auftritten im Fernsehen und Kino nach vorne gespielt. Mit Marie Kreutzer drehte sie bereits 2016 die Komödie Was hat uns bloß so ruiniert. Dann, zwei Jahre später, kam ihr großer Moment als Alma, die Muse des 1950er-Jahre-Couturiers Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) in Paul Thomas Andersons Phantom Thread. In dem Film ist sie, ja, eine kleine Sensation: Sie bringt Schönheit, Verletzlichkeit, aber immer auch eine eigensinnige – potenziell trotzige – Gelassenheit in die Rolle. Und es ist diese Mischung aus äußerer Anmut und innerer Widerständigkeit, die auch ihre Elisabeth so besonders macht. Demnächst wird sie – unter anderem – in Margarethe von Trottas Bachmann & Frisch die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann verkörpern. Noch so eine wunderbar eigenwillige, kompromisslose, aufregende Person, für die es keine bessere Besetzung gibt.

Foto: Alamode Film

Seit Ihrem großen Erfolg mit „Phantom Thread“ sind kaum fünf Jahre vergangen. In dieser Zeit ist bei Ihnen beruflich unglaublich viel passiert. Haben Sie sich mittlerweile an Ihr neues Leben gewöhnt?
Ich glaube nicht. Unser Beruf lebt von der Verletzlichkeit und dem Unwissen über das, was man da tut. Zumindest wird es bei mir immer dann gut, wenn ich selber nicht weiß, was ich mache. Deswegen überrascht es mich auch jedes Mal aufs Neue, wenn ein Film fertig ist, dass es wirklich geklappt hat. Dass da ein Film entstanden ist, dass er gesehen und, im besten Fall, verstanden wird.

Im Grunde ist „Corsage“ Ihnen zu verdanken, weil Sie es waren, die Marie Kreutzer überhaupt erst auf die Idee gebracht hat, einen Film über Kaiserin Elisabeth zu drehen. Was hat Sie an dieser Frau fasziniert, dass Sie sie einmal spielen wollten?
Beim Lesen war da zunächst ein Staunen und ein Rätseln: Wer war diese Frau? Wieso baut sie sich Fitnessgeräte? Warum darf man sie nicht malen? Das hinterließ einen Nachgeschmack, weil es etwas war, dass ich nicht greifen konnte, und weil ich das Gefühl hatte, dass etwas Mysteriöses dahintersteckt. Auch dass noch keiner wieder einen Film über sie gemacht hatte, wunderte mich, weil ich schon mit 15 dachte, es müsste noch eine ganz andere Seite zu dieser Figur geben als das, was in den Sissi-Filmen dargestellt ist. Marie ist jedoch zunächst gar nicht auf den Vorschlag eingegangen, bis ein paar Jahre später das Drehbuch kam. Und erst in dem Moment habe ich mich dann auch zum ersten Mal intensiv mit der Figur Elisabeth auseinandergesetzt.

Was war Ihr erster Eindruck?
Sie erschien mir wie das erste Opfer von dem, was im Englischen „celebrity culture“ genannt wird. Ich hatte damals gerade Phantom Thread gedreht und die erste Pressetour hinter mich gebracht, die mich sehr verstört hat. Zum einen wegen der Medien und dem Gesehen- und Fotografiert-Werden. Aber auch wegen Daniel Day-Lewis, bei dem das noch einmal viel extremer ist. Danach fühlte ich mich irgendwie leer, einsam, verloren. Ich wusste überhaupt nicht, wohin mit mir. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so etwas passieren würde, und wusste nicht, wie man damit umgeht. Und ich dachte, was ich gerade drei Wochen durchgemacht habe, das war das Leben dieser Frau. Diese Nähe dazu hat mich inspiriert, darüber reden zu wollen, was das mit einem Menschen macht. Und damals waren es ja nur einige wenige, auf die man projiziert hat. Heute sind wir längst unsere eigenen Projektionsflächen geworden und müssen dieser Diktatur jeden Tag gerecht werden. Wir müssen jeden Abend einschlafen mit diesem Druck, ob wir der Person gerecht werden, die wir denken sein zu müssen, oder diesem Bild, das wir glauben aufrechterhalten zu müssen.

Wie haben Sie für sich Wege gefunden, damit umzugehen?
Es hat lange gebraucht, bis ich wieder Lust darauf hatte. Aber das Gute ist, dass ich sofort die Notbremse gezogen habe. Ich bin direkt aus dem Zug ausgestiegen. Ich habe erst einmal keinen amerikanischen Agenten genommen, auch keinen Publizisten. Stattdessen bin nach Frankreich gegangen und habe französischen Kinofilme gemacht. Das war eine sehr direkte Reaktion darauf. Danach hat es zwei Jahre gedauert, bis ich wieder merkte, nein, das bin ich doch auch. Und ja, ich habe diesen Film Phantom Thread gemacht. Und ja, ich bin Schauspielerin. Und ja, ich möchte diesen Beruf ausüben. Ich liebe diesen Beruf. So habe ich nach und nach meinen Weg zurück gefunden. Was nicht heißt, dass ich gelernt habe, das Spiel zu spielen, weil ich das nie könnte, denn dann wäre ich nicht mehr ich. Aber ich habe einen Weg gefunden, damit zu tanzen und das alles nicht ganz so ernst zu nehmen.

„Ich glaube, dass wir Frauen eine Kraft haben, die speziell eine weibliche Kraft ist. Die Kraft der Intuition und des Loslassens. Natürlich ist jeder Mensch auch verunsichert und hat Ängste. Aber wir Frauen wissen um das Ungewisse und wir wissen uns diesem Ungewissen zu stellen.“

Foto © Anna Krieps

Wonach suchen Sie in den Figuren, die Sie verkörpern?
Ich werde das oft gefragt und kann es nicht sagen. Das Witzige ist, ich hatte nie einen Plan im Hinblick auf meine Karriere. Und trotzdem schaue ich heute zurück und sehe, dass diese Filme sich alle einreihen in eine größere Geschichte, die ich da anscheinend erzählen möchte, die irgendwie raus will. Es ist eine sehr persönliche Geschichte, auch, weil ich mich vielleicht früher selber oft nicht verstanden gefühlt habe. Und ich denke, es ist eine Mischung aus diesem Unbewusstem, was sich ausdrücken will, wie bei jedem Künstler. Und andererseits ist es eine Neugierde, die Suche nach etwas: Wer bin ich eigentlich in dieser Welt, in der ich lebe? Und was von dem, was mich umgibt, ist eigentlich real? Was davon kann nicht in Frage gestellt werden? Und wie viele dieser Mauern kann ich selber sprengen? Wie weit kann ich mich selber neu erfinden, mich selber neu kennenlernen? Ich glaube, das steckt dahinter, wie ich meine Filme immer unbewusst bewusst auswähle, dass es immer um eine Auseinandersetzung geht mit dem, was das Leben eigentlich ist.

Sicher spielen doch aber manchmal auch ganz pragmatische Überlegungen eine Rolle, wie der Drehort oder die Dauer?
Immer mehr. Das muss ich jetzt lernen. Ich habe versucht, ganz lange nur für die Kunst zu denken, nicht so pragmatisch zu sein, vor allem nie finanziell. Ich habe noch nie irgendeine Arbeit des Geldes wegen gemacht, auch nicht, weil der Regisseur oder die Regisseurin dahintersteht.

Sie haben vor einer größeren Geschichte gesprochen, die Sie erzählen möchten. Was verbindet Ihren Figuren darin miteinander?
Es sind immer Frauen, die ihrer Zeit voraus sind. Da ist immer ein Mensch, der die Reibung sucht, und der sich erlaubt, lebendiger zu sein als das, was ihm gegeben wird. Und das ist nicht nur bei Ingeborg Bachmann oder Kaiserin Elisabeth so, sondern auch bei Bergman Island von Mia Hansen-Løve. Die Frage ist da: Wie findest du deinen eigenen Weg, auch wenn deine Arbeitsweise nicht der deines Ehemanns entspricht? Vielleicht ist das so. Na und? Ich glaube, dass wir Frauen eine Kraft haben, die speziell eine weibliche Kraft ist. Die Kraft der Intuition und des Loslassens. Natürlich ist jeder Mensch auch verunsichert und hat Ängste. Aber wir Frauen wissen um das Ungewisse und wir wissen uns diesem Ungewissen zu stellen. Damit gehen alle meine Figuren um – und viele scheitern daran. Ingeborg Bachmann ganz sicher und Elisabeth auch …

Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 66

 

CORSAGE
Drama – Österreich, Luxemburg, Deutschland, Frankreich 2022
Regie, Drehbuch: Marie Kreutzer, Kamera: Judith Kaufmann,
Schnitt: Ulrike Kofler, Musik: Camille, Kostüm: Monika Buttinger
Mit: Vicky Krieps, Katharina Lorenz, Jeanne Werner, Florian Teichtmeister,
Manuel Rubey, Aaron Friesz
Verleih: Alamode Film, 112 Minuten

 

| FAQ 66 | | Text: Pamela Jahn
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