Eva Kot’átková, 1982 in Prag als Kind eines Schriftstellerpaares geboren, erfuhr schon als Schülerin die Wirkung von politischen Umbrüchen: Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, änderte sich die Schulliteratur im Rekordtempo. Als Künstlerin behielt sie nicht zuletzt durch diese Erfahrung immer eine kritische Distanz zu Obrigkeiten und Ordnungssystemen. Ausgehend von losen Buchseiten, die Kot’átková überzeichnete, übermalte und überklebte, entstanden Collagen, deren absurde Aussagen in einer künstlerischen Tradition des ehemals abgeriegelten Ostens Europas stehen. Dabei ist auch der Einfluss ihres Lehrers Jirˇí Kovanda zu spüren. Dem großen slowakischen Künstler Július Koller nicht unähnlich, arbeiten sie auch mit vorgefundenen Materialien und verwendet Objets trouvés in ihren Zeichnungen und skulpturalen Installationen.
Diese künstlerische Strategie ist auch bei Kot’átkovás Installation im 21er Haus feststellbar. Der Besucher durchläuft dabei eine symbolische Darmschlinge, an deren Ende er das Video „Stomach of the World“ sieht. Der Videoloop läuft knapp 46 Minuten und stellt in 19 sogenannten „Übungen“ Szenen einer Verdauung dar. Eine Kindergruppe des Prager Disman Ensemble stellt fast stumm die Aufnahme von Nahrung, das unmittelbare Füllen der Mägen und die Enge im Darm dar: So wird etwa von einem Kind in einen aufgeschnittenen Pullover Nahrungsmittel um Nahrungsmittel gelegt. Das „in den Bauch legen“ ist buchstäblich gemeint, so wie die von Kindern zum Leben erweckte Stoffschlange, die eine Maus (Kind) nach der anderen verzehrt. Fressen und gefressen werden, darum geht es in Kot’átkovás jüngster Arbeit. Das Thema wird in kindlichen Gesten lapidar erzählt, ist in seiner künstlerischen und politischen Aussage dennoch von ungeheurer Wucht.
Kot’átková ist mit „Stomach of the World“ eine veritable Kapitalismuskritik gelungen. Anhand einer Innenaufnahme des Körpers stellt sie die rücksichtlose Vereinnahmung von Nahrung und Kraft dar und symbolisiert damit das für einen funktionierenden Kapitalismus notwendige ökonomische Wachstum. In der Drastik ihrer Aussage erinnert sie an den irischen Schriftsteller Jonathan Swift, der 1729 die Satire „A Modest Proposal“ schrieb, in der er vorschlug, die Armut der Kinder in Irland durch den Export von Babys als Nahrungsmittel nach England zu lösen. Eine satirische Antwort auf die Klagen von Swifts Landsleuten über Hunger, Überbevölkerung und mangelnden wirtschaftlichen Erfolg.
Am Ende der Filmsequenz von „Stomach of the World“ finden sich die Kinder auf einer Müllhalde wieder. Sie gehen in den Resten der Konsumgesellschaft herum, finden Rohre, alte Gießkannen und Stecken, mit denen sie sich kostümieren und Geräusche machen. Der Film endet mit dem musikalisch begleiteten Auszug der Kinder aus der Halde. Kot’átková verwendet bei ihren Ausstellungen immer wieder den Körper als Folie und Austragungsort gesellschaftlicher Phänomene. Thematisch vergleichbare Arbeiten waren auch bei der Biennale in Venedig 2013 und im Modern Art Center in Oxford 2016 zu sehen. In Oxford ließ sie beispielsweise Performer einen aus Gittern bestehenden Quader „aufsetzen“ oder den Körper einer collagierten Person mit behindernden Prothesen ergänzen. Kot’átková hat sich schon sehr früh mit dem Systematisieren des Lebens sowie der Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen beschäftigt. Das Erziehen, das Ordnen, das Reglementieren von Zuständen und das Normieren von Haltungen sind ein grundlegendes Thema der Künstlerin.
Darin erinnert Kot’átková nicht nur an Systeme der Päda-gogik oder der Psychiatrie, sondern auch an große Denker wie Michel Foucault und dessen 1975 erschienenes Buch „Überwachen und Strafen. Die Geburt der Gefängnisse“. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das negative Potenzial des Kapitalismus sich vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Kommunismus und der darauf folgenden dreißig Jahre kaum verändert hat. Wir brauchen weiterhin hellhörige Kunstschaffende wie Eva Kot’átková, die ihr Unbehagen mit der Welt gekonnt in Szene setzen.
Eva Kot’átková: Stomach of the World
21er Haus – Museum für zeitgenössische Kunst
bis 18. Februar 2018