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Implodierende Selbstporträts

Text: Michael-Franz Woels | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Wie kam es zur Auseinandersetzung mit der Person Andy Warhol?

Die Arbeiten von Liquid Loft sind sehr oft inspiriert von Pop Art. Wir alle, vor allem Sounddesigner Andreas Berger, sind große The Velvet Underground Fans. Wenn man sich das Schaffen von Andy Warhol ansieht, vor allem sein filmisches, dann bemerkt man schnell, dass er sehr choreografisch gedacht hat. Ich finde es faszinierend, wie er, als er auch noch selber die Kamera geführt hat, mit den Figuren in seinen Filmen umgegangen ist. Neugierig wie ein Kind beobachtet er mit der Kamera seine Darsteller. Er legt wenig Wert auf narrative Inhalte, sondern konzentriert sich auf die Selbstdarstellung, auf das Realspiel. Als Betrachter muss man sich daher seine Story selbst suchen. Man muss auf die Körper selbst achten, die Mimik, die Gestik und da ist man sehr schnell in der Choreografie. Hier findet sich auch der Link zur Jetztzeit, zum Online-Geschehen, der Tendenz zur Selbstoptimierung in den Sozialen Medien.

Die damalige Performancereihe in den 1960er Jahren von Andy Warhol hieß ursprünglich „Erupting Plastic Inevitable“, dann „Exploding Plastic Inevitable“. Die Liquid Loft-Trilogie nennt sich nun „Imploding Portraits Inevitable“. Wie ist diese begriffliche Formung entstanden?

Exploding Plastic Inevitable war ja einer der ersten Multimedia-Events. Warhol hat das Happening als Kunstobjekt gesehen: Es spielten The Velvet Underground, da waren Tänzer und Tänzerinnen, es gab Video- und Filmprojektionen, Stroboskop- und Lichteffekte, ein totaler Overflow. Nicht viele Leute haben das damals live miterlebt, meist wurde die Veranstaltung von den Behörden abgebrochen, aber als Idee steht dieser Event immer noch im Raum. Ich finde diese Form der Inszenierung spannend, weil das Publikum mit einbezogen wurde. Der Begriff der Portraits bezieht sich auf seine sogenannten Screen Tests, von denen er zirka fünfhundert produziert hat – bei einem Screen Test wird ja normalerweise getestet, ob der Schauspieler für eine Rolle passt. Warhol hat das klassische Porträt weitergedacht und eine Kamera in einer Halbtotalen oder im Close-up auf eine Person gerichtet. Die Personen wurden ohne weitere Regieanweisungen einfach nur aufgefordert, drei Minuten vor der Kamera zu sitzen. Dies führte zu einer immer intensiveren Sicht auf die Person. Man bemerkt im Laufe dieser wenigen Minuten die Körperrhythmik im Porträt: das Augenzwinkern, die Atmung, das Wandern des Blicks. Die Profis haben sehr wohl gewusst, wie sie sich inszenieren müssen. Sie haben mit einer Maske drei Minuten lang in die Kamera geschaut. Den Leuten von der Straße, mit denen Warhol diese Tests auch machte, denen ist sozusagen immer mehr die „Fassade runtergefallen“. Man konnte sehr tief in sie hineinblicken. Das waren implodierende Selbstporträts.

Wie werden diese Inputs der Screen Tests dann performativ in den Stücken umgesetzt, wie wird das auf die Tänzerinnen und Tänzer übertragen?

False Colored Eyes ist der zweite Teil dieser Serie, der erste hieß Shiny, shiny …. Beide Titel sind aus The Velvet Underground Songs geborgt: „Femme Fatal“ und „Venus in Furs“. Das Bühnen-Setting von False Colored Eyes ist gleich wie bei Shiny, shiny …. Es gibt zwei Kameras auf Stativen und die Bilder der Kameras werden live auf die Rückwand projiziert. Es entsteht eine Split-Screen-Situation, ähnlich wie im Film Chelsea Girls von Andy Warhol. Das ergibt eine spezielle Rhythmik der Kameraführung. Live-Bilder werden in Performances ja sehr oft eingesetzt, um etwas zu vergrößern, dass das Publikum auf der Tribüne nicht sehen kann. Es kann durch das Zoomen auch Geschwindigkeit hineingebracht werden. Und im Tanz und in der Performance wird sehr stark mit Parametern gearbeitet, die auch beim Film von Bedeutung sind: Fast Forward, Rewind, Wiederholungen, Stop-Motion-Ästhetiken, das Zoomen, das Einfrieren einer Bewegung. Alles Elemente, die man auch als direkte Bewegungsanweisungen verstehen kann. Die realen Körper in Kombination mit den projizierten, virtuellen Körpern, das ergibt sehr interessante Körper- und Raumdynamiken.

Welche Rolle spielt die Sprache bei den Stücken der aktuellen Serie, diese wird ja auch gedehnt und gepresst?

Sprache hat in unserer Arbeit eine sehr große Bedeutung, ich würde aber fast sagen, die Stimme hat eine noch größere Bedeutung. Meiner Meinung nach ist die Stimme die intimste Äußerung des Körpers. Sie trifft direkt, als Äußerung wie auch als Teil des Körpers, auf ein Gegenüber oder den Raum. Wie schon Pina Bausch sagte: Bewegung ist sehr leise. Somit finde ich es spannend, Bewegung zusätzlich auch zu vertonen. Wir arbeiten sehr oft mit Sprache, wir versuchen auch mit Tänzerinnen und Tänzern aus verschiedenen Regionen dieser Welt zu arbeiten und da ist mir im Laufe der Zeit aufgefallen, dass sprachliche beziehungsweise musikalische Parameter wie Intonation, Artikulation, Geschwindigkeit, Pausen oder Lautstärke stark von der Herkunft der Tänzerinnen und Tänzer abhängen. Und das Temperament der Sprache ist direkt gleichzusetzen mit ihrer Körpersprache.

Zurück zu den Begriffen Implosion und Explosion. Wo finden diese statt?

Andy Warhol hat das Wort „Explosion“ auf den Event selbst bezogen, diesen Overflow von Informationen und Ebenen, er wollte ja bewusst überfordern. Bei unseren Stücken nehmen wir das Material und werfen es in ein neues Spielfeld, zerlegen es und setzen es dann wieder neu beziehungsweise unterschiedlich zusammen. Wir sezieren und gehen dann detaillierter auf unsere eigene Spielebene. Um nochmals auf die Jetztzeit zurückzukommen: Ich finde diesen aktuellen Overflow in den sozialen Medien spannend. Ich denke, früher oder später muss diese ganze Überforderung auch wieder implodieren.

„Inevitable“ bedeutet ja soviel wie „das Unvermeidliche“. Was ist beim Arbeiten mit Bewegung und Tanz unvermeidlich?

All diese Superstars aus dem Umfeld von Andy Warhol sind ja nicht nur von ihm gemacht worden, sondern auch zu ihm gekommen, weil er ihnen eine Bühne gegeben hat – und natürlich waren viele Drogen im Spiel, die diesen ganzen Hype dann noch beschleunigt haben. Alles war sehr intensiv und kurzlebig. Das berührt, denn vor allem durch die Filme von Warhol kommen dir diese Figuren, Leute wie Edie Sedgwick, Nico, Brigid Berlin, sehr nahe. Im Tanz, aber auch in unserer Business-Welt, findet man diesen Zwang zur Selbstdarstellung, das Auf-die-Bühne-Gehen. Das alles hat mit Kurzlebigkeit zu tun. Und im Gegensatz zur bildenden Kunst kann Tanz oder Performance schwerer festgehalten werden. In unserer letzten Performance-Serie The Perfect Garden ging es sehr stark um das Thema der Vergänglichkeit. Das ist eines der unumgänglichen Themen – auch und besonders im Tanz: das Altern und eben die Vergänglichkeit.

www.liquidloft.at

www.impulstanz.com

| FAQ 32 | | Text: Michael-Franz Woels | Fotos: Magdalena Blaszczuk
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