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In den virtuellen Räumen der Malerei

Text: Schöny Roland | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Ihre Malerei ist durch die gesteigerte Wahrnehmung der Welt über Medien beeinflusst, etwa durch die räumlichen Strukturen des Internet, die sich in alle Bereiche unserer Online-Gesellschaft wie Tentakel ausbreiten. Gerade in dieser digitalisierten Umgebung genießen Sie es weiterhin, in Zeitungen zu blättern und schätzt umso mehr die Qualitäten des gedruckten Buches als Informationsträger. Dieses Nebeneinander unterschiedlicher Techniken des Speicherns und des Verknüpfens von Ideen hatte von Anfang an Auswirkungen auf Ihre Kunst. Da kam es zu bemerkenswerten Gleichzeitigkeiten. Sehr früh – nämlich bereits als Jugendlicher – haben Sie sich mit den Möglichkeiten der klassischen Druckgrafik beschäftigt. Zugleich waren Sie Mitglied der Band Molto Brutto, die in der Zeit von New Wave Anfang der 1980er Jahre entstanden ist und von Fluxus beeinflusst sehr experimentell mit Filmprojektionen auftrat. Welche Bedeutung hat für Sie die Frage nach dem Zeitgenössischen, danach, was Gegenwart ausmacht?

Gerade in der Kunst lässt sich diese Frage dort gut stellen, wo sehr viele verschiedene mögliche Antworten aufpoppen und sichtbar werden. Natürlich war bereits an der Akademie – traditioneller ausgerichtet als die damals schon sehr aktuelle Angewandte – die Frage virulent, in welche Richtung eine Arbeit gehen kann, die der Zeit angemessen ist. Selbstverständlich kursierte damals schon die Meinung, dass man überhaupt nicht mehr malen dürfe. In den 1970er Jahren, in denen ich studiert habe, und die vor allem durch konzeptionelle Ansätze, durch neue Medien, auch die ersten Technologien von Robotik und so weiter geprägt waren, wurde durchaus propagiert, man könne nicht mehr malen; außer Roboter tun es. Mir ist das anachronistisch vorgekommen und zu sehr der gerade aktuellen Technologie verschrieben. Dagegen finde ich, dass – bei allem durchaus berechtigten Interesse für die Aktualität von Medien – wesentlich bedeutender ist, wie durch deren Nutzung wichtige, die Zeit und die Menschen betreffende Fragen formuliert werden. Es kann durchaus sein, dass ältere Medien, weil sie in ihren Technologien ausgefeilter sind, inhaltlich die interessanteren Fragen aufwerfen.

Technische Innovation hat sehr oft blind gemacht. Zwar ist plötzlich ein neuer Sinneseindruck da, doch ist es oft enttäuschend, wie mit den Mitteln neuester Technologien konservative, ja geradezu reaktionäre Inhalte erzeugt werden. Meine Beschäftigung mit Musik und mit Sound hingegen bot mir auch Gelegenheit, dazu kritischen Abstand zu gewinnen. Außerdem ging es nicht bloß darum, wie man neue Sounds entwickelt, sondern welches Verhältnis man etwa grundsätzlich zur Musikproduktion, zur Musikindustrie und zum Künstlergeniemythos einnimmt. Wo bilden sich die Antworten darauf, die zumeist Machtverhältnisse offenlegen, eigentlich ab?

Mich hat interessiert, Dinge zuerst einmal direkt und naiv, also dilettantisch und selbstermächtigt anzugehen. Natürlich entsteht durch die unentwegte Benutzung von Technologien ein Know-how. Natürlich entsteht durch die fortdauernde Praxis in der Malerei etwas, das man als Können bezeichnen kann. Am Schluss jedoch zählt nur die Wirkung ist und wie diese etwas zum Schwingen bringt.

Für viele Ihrer Malereien charakteristisch ist ein gewisser „all over“-Effekt. Es gibt keinen Mittelpunkt. Vielmehr bewegt sich das Auge willkürlich auf mehrere Zentren zu. Dieses Raumverständnis scheint der Wahrnehmung im Virtuellen sehr ähnlich zu sein, wo uns Netzwerkstrukturen begegnen, die sich wie Fraktale in verschiedene Richtungen erstrecken.

Wobei digitale Technologien der Gegenwart auf Vorläufertechnologien des 20. Jahrhunderts aufbauen. Stilistisch hat dies signifikant im Futurismus oder in anderen Wellen bereits im Surrealismus zu neuen Raumbegriffen geführt, zu neuen Wahrnehmungen und anderen Verhältnissen von Raum und Zeit. Die Eisenbahn hat im 19. Jahrhundert bereits viel verändert, nicht nur in der Mobilität der Menschen, sondern auch in der Erfassung und Wahrnehmung der Welt und des In-der-Welt-Seins. Fliegen, Schiffe, plötzlich das Telefon und all diese Technologien zur Überwindung räumlicher Distanzen haben schließlich das 20. Jahrhundert und die Vorstellungen der Künstlerinnen und Künstler auf jenes Terrain geleitet, auf dem die digitale Medienwelt und die kritische Auseinandersetzung mit unserer Kommunikationskultur in einfachen Schritten vorbereitet wurde.

Bereits durch den Buchdruck entstand das Potenzial, etwas zu speichern und dies durch Raum und Zeit zu transferieren. Seither lässt sich Wissen demokratischer organisieren, die subversive Energie unkontrollierter Wissensvermehrung in die Welt setzen. Solche Vorstellungen interessierten mich, weil ich mich sehr mit Kunstgeschichte befasst habe. Im Zuge dessen tauchten epochale Figuren wie Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel der Ältere auf, die im Bereich des Gesellschaftlichen Fragen nach den Individuen, nach Körperkonstruktionen und auch nach der Art von Raumformationen gestellt haben. Das habe ich geliebt! Als 15-, oder eigentlich schon als 13-jähriger war das spannend. Das waren Vorläufer für spätere Comics oder meine Entdeckung der faszinierenden Konstruktionen von Möbius. Ich habe auch eine Form von Sturheit und Geduld, die mich neugierig gemacht hat auf Entwicklungsmöglichkeiten in neuen Technologien, wo mich jedoch in erster Linie interessiert, wie man durch deren Verwendung etwas zum Klingen bringen kann in der künstlerischen Arbeit.

Als Sie zu Malen begonnen haben, hatte jene Phase der von Ihnen angedeuteten Interessenverschiebung in Richtung neue Medien, Fotographie, Performance Konjunktur, während der Markt gerade in den 1980er Jahren von Einbrüchen betroffen war. So kam es schließlkich zu Labels wie „Die neuen Wilden“. Wie war das Lebensgefühl zwischen New Wave und Rückkehr zur Malerei?

Ich empfand es als wahnsinnig beglückend, die eigene Unfertigkeit performen zu können, also nicht der gesellschaftlichen Annahme zu folgen, dass man zuerst lernen, studieren und gescheit werden muss, um überhaupt etwas sagen zu dürfen. Wien war selbst in den 1980er Jahren immer noch eine graue Stadt im Eck von Westeuropa, wo das Nachkriegsproblem des Wiederaufbaus gerade erst in Ansätzen gelöst war. Schwung in der Hütte gab es wenig, kommunikative Orte, Treffpunkte, eine Szene, die irgendwie cool war, wirklich nur punktuell.

In der Malerei ist der Saft verloren gegangen; die Sinnlichkeit. Natürlich waren wir jung, blöd, lebenslustig und nicht so integriert in das System. Doch wir waren schlau genug, zu kapieren, dass in Wien der Aktionismus, repräsentiert durch Günter Brus oder Hermann Nitsch oder die experimentelle Literatur der Wiener Gruppe und das Denken eines Oswald Wiener, einfach nicht zu toppen waren. Peter Weibel, als eine zentrale Figur mit Gescheitheit und Eloquenz, wurde von uns mit großem Respekt registriert. Er hat uns durchaus unterstützt, weil er sofort gesehen hat, was unsere Experimente bedeuten. Sie haben seine Welt des Digitalen, der Informatik und der Kybernetik von einer anderen Ecke beleuchtet. Wir wollten einfach etwas wagen, anstatt irgendeine Erwartungshaltung zu befriedigen. Wir wollten hedonistisch leben. Warum sich was scheißen, wenn man ein Instrument nicht so gut spielt, aber trotzdem eine Vorstellung hat, wie ein scharfer Sound klingen soll.

Damit erwähnen Sie die Band Molto Brutto, eine Art Community, ein Freundeskreis rund um Medienkunst, Elektronik und Gitarre mit wechselnden Mitgliedern.

Das war natürlich stark durch die Kunstuniversitäten geprägt, wobei es zum Beispiel im Bereich der Grafik bei Max Melcher gute Leute gab. Hubert Schmalix und Siegfrid Anzinger, die beide die Neue Malerei in Österreich repräsentierten, waren gerade fertig. Herbert Brandl, Otto Zitko, Heiner Pichler, Evelyne Egerer und andere im Schnittfeld von Kunst und Musik waren da. Zu Molto Brutto gehörte Sänger Fritz Gross. Er bewegte sich zwischen Literatur und Performance, zwischen Musik und Anwaltskarriere. Er trat mit einem enormen Wissen über existenzielle Extremfiguren wie Rimbaud, Baudelaire und Artaud auf.

Ein elektrifizierendes Feld! Interessanterweise kommt von daher eine Malerei, die formal wesentlich ruhiger wirkt. Sie scheint auf etwas Archaischem aufzubauen, auf zellhaften, organischen Urformen, die im Übrigen auch Ihre Skulpturen strukturieren. Woher kommt das?

Aus einer Jugend am Land. In meiner Familie gab es eine große Achtung für Kunst, und der Beruf der Eltern als Dentisten spielt auch eine Rolle. Das bewegte sich zwischen Medizin und Technologie, dem Gießen und handwerklichem Herstellen von Prothesen und Kronen, in einer Arbeitersiedlung in Ybbs in Niederösterreich, wo draußen beim Autodrom die wildeste Tschinn-Bumm-Musik gelaufen ist, ich aber gleichzeitig gerne klassische Musik gehört habe.

Also von Anfang an eine gesampelte Welt?

Sehr gesampelt, sehr gesampelt! Zudem hatte ich viel Zeit, weil meine Eltern berufstätig waren und ich ein wohlstandsverwahrlostes Bürgerkind zwischen den Arbeiterkindern und der ländlichen bäuerlichen Kultur. Es war alles gleichzeitig präsent. Ich lief in die Fabriken, wo ich als der Bub vom Zahnarzt bekannt war. Ich schneite einfach beim Tischler rein oder ins Sägewerk und redete mit den Hacklern oder holte mir Holz zum Drachen bauen. Irgend so einen Blödsinn eben. Außerdem habe ich viel Zeit in der Natur verbracht, wo ich oft allein in Stille und in Ruhe war, einfach beobachtet oder Schwammerl gesucht habe.

Wie sehr einen so etwas beeinflusst, zeigt sich beim Anzinger aktuell, wenn er Indianervorstellungen als exotische Existenzspiele, oder Rollenspiele, die vom Film her angeturnt wurden, in seine Malerei Einzug halten. Diese ganzen Winnetou-Filme und europäischen Wild-West-Fakes munterten dazu, hybride Identitätsfelder herzustellen. Das Organische interessiert mich, weil ich meine, dass ich selbst Technologien und unterschiedliche Gesellschaften in ihrer technologischen Entwicklung als Formen des Wachstums abbilde. Ich meine, dass Ideen und Technologien sich aus Wurzeln und Keimen entwickeln und in Wellen und Schüben wachsen. Daraus bauen sich Netzwerke an Kulturen und Technologien auf, die wir benutzen und bedienen, und die auch einen Fetisch-Charakter zu haben. Daher sehe ich darin immer eine archaische Dimension. So cool und neu kann uns Apple gar nicht daher kommen, ohne nicht immer schon den Fetisch-Charakter in sich tragen. Dass das idenditätsbildende Logo ein gewachsener Apfel ist, der mich mit der Welt erst so richtig in Verbindung bringen soll, ist doch bemerkenswert.

Die Formen, Ensembles, Zusammensetzungen in Ihrer Malerei können insofern als rhizomorph bezeichnet werden, als sie kein klares Zentrum haben. Oft bleibt offen, woher oder woraus sie sich entwickeln. Es sind lose Bezugssysteme mit ähnlichen formalen Ursprung und einer Ausdehnung, die weiter wachsen könnte.

Meistens kommen diese Systeme als Ausschnitte ins Bild, im Bewusstsein, dass auf etwas hingedeutet wird, das über den eigenen Blickwinkel notgedrungen weit hinaus reicht. „Rhizom“, also diese Wurzel, die in Fragmenten unterirdisch weiter wächst und zur Metapher für ein offenes philosophisches Denken wurde, ist ein wichtiges Stichwort. Die Lektüre von Gilles Deleuze und Felix Guattari speiste stets begleitende Wellen von Reflexionen jener Vorgänge, die man als junger Künstler mit großem Interesse mitkriegt. Den kleinen Text „Rhizom“ genauso wie die extensive Beschreibung von Raum- und Machtformationen „Mille Plateaux“ las ich mit Begeisterung. Von daher kam die Unterstützung in einem Denken, in dem über das Organische Bilder über die Gesellschaft formuliert wurden.

In Ihrer aktuellen Ausstellung bringen Sie Skulptur und Malerei zusammen. Dadurch entsteht ein eigenes Raumsystem. Man erhält schnell einen Eindruck davon, wie eng Malerei und Skulptur in Ihrer Arbeit beieinander liegen. Wie entscheiden Sie, auf welcher Ebene Sie jeweils arbeiten möchten?

Es hat sich über die Jahre eine Komplexität entwickelt, wo sich die Bereiche, ausgehend von der Zeichnung und vom grafischen Denken, hin zum farbigen Malerischen, begleitet von dreidimensionalen Arbeiten und Überlegungen gegenseitig im Schwung halten. Grundsätzlich ist meine Arbeitsweise sehr intuitiv. Es gibt Rahmungen, durch die Interessen und Aufgabenstellungen, die mich interessieren, definiert sind. Ob das in einer Skulptur besser formuliert ist als in einer Malerei, das kann ich nur durch die konkrete Arbeit und Erfahrung herausfinden.

Das intuitive Arbeiten funktioniert auf Basis der gespeicherten Erfahrungen, auf die man im Moment ohne große Überlegungen zurückgreift, ähnlich wie in der improvisierten Musik. Genau in der Konfrontation mit Improvisation, mit Jazz und genauso mit Formen außereuropäischen Denkens konnte ich erleben, dass eine Art von Überraschung an dem, was man selbst tut, am ehesten möglich ist, wenn man sich dem Moment hingibt. Innerhalb eines größeren Plans, einer größeren Konzeption muss das freie Spiel Platz haben.

Es ist also so, dass auch das Werk Sie bei der Hand nimmt und in eine bestimmte Richtung leitet?

Ja! Auf theoretischer Ebene hat das mit einer Ideologiekritik zu tun, die mich immer sehr beschäftigt hat, einfach auch aus der notwendigen Auseinandersetzung mit Faschismus, mit den Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, die eben von Ideologien extrem dominiert wurden. Währenddessen geht es mir als Künstler grundsätzlich darum, Konzepte zu verfolgen, die nicht nur von mir und meinen Leidenschaften erzählen, sie aber auch nicht verschweigen. Kunst sollte etwas anbieten, wo die Menschen mit ihrer Geschichte und ihren Prägungen und Erfahrungen sehr viel Raum für sich selbst, für die Interpretation finden: Ein vorgeführtes, spielerisches Formulieren von Annäherungen an mögliche Wirklichkeitsbeschreibungen.Oder, um es noch besser zu sagen, Wirklichkeitskonstruktionen.

www.gunter-damisch.at

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