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In trüben Gewässern

Fotos: Tobis
Mark Ruffalo ist das Herz und die treibende Kraft in „Dark Waters“ – ein Film, der aufwühlt und uns alle betrifft.

Das Kino ist oft dann am besten, wenn es dahin geht, wo es ungemütlich wird. Wenn es bestürzt, schockiert oder empört, uns über die Missstände und Verfehlungen unserer Gesellschaft informiert, Skandale aufklärt und die Menschen sensibler macht für andere und die Welt, in der wir leben. Filme wie Spotlight, Erin Brockovich oder Mike Nichols’ Silkwood sind nur einige Beispiele eines solchen investigativen Kinos im Auftrag des kleinen Mannes. Und auch Todd Haynes’ Dark Waters ist so ein Werk, das einen klüger und kritischer macht und eine Wut im Bauch aufbaut, die lange nachwirkt. Eine Wut, die sich in diesem Fall weniger gegen eine bestimmte Sache, Person oder Institution richtet, als vielmehr ganz konkret gegen eine Firma: Das Unternehmen E. I. du Pont de Nemours and Company, kurz: DuPont, einen der größten Chemiekonzerne der Welt.

Dark Waters, initiiert von Produzent und Hauptdarsteller Mark Ruffalo, der sich privat bereits seit Jahren aktiv für den Umweltschutz engagiert, ist in seinem Kern eine klassische David-und-Goliath-Geschichte: der Kampf des Einzelnen gegen die Übermacht der Industrie, der Wirtschaft, des Sys-tems. Als nachhaltig aufwühlendes Justiz-Drama inszeniert, rekonstruiert der Film den langwierigen, Ende der Neunziger in Bewegung gesetzten Prozess des Anwalts Robert Bilott gegen DuPont, in dem er den Konzern beschuldigte, über Jahrzehnte hinweg rücksichtslos hunderttausende Tonnen giftiger Perfluoroctansäure (PFOA) in die Umwelt entsorgt und dadurch große Teile des Grundwassers kontaminiert zu haben. Das Gerichtsverfahren sollte für Bilott schließlich zur Lebensaufgabe werden. Bis heute kämpft er dafür, dass die Opfer des Skandals entschädigt werden.

Zum ersten Mal aufmerksam auf die ungeheure Umweltsünde wird der aufstrebende junge Anwalt, als der Rinderzüchter Wilbur Tennant (Bill Camp) ihn aufsucht, um ihm von dem Viehsterben in und um seinen Heimatort Parkersburg zu berichten. Bilott, der als Verteidiger in einer Großkanzlei in Cincinnati eigentlich Firmen wie DuPont vertreten soll statt sie anzuklagen, zögert zunächst, sich den Fall genauer anzuschauen. Doch ein Besuch bei seiner Mutter, die noch immer in der Gegend lebt, öffnet ihm die Augen über das große Unheil, das der gefährliche Grundstoff, der bei der Herstellung von Teflon benötigt wird, in der Region anzurichten vermochte. Und je mehr er daraufhin recherchiert, um so fataler und erschreckender werden die Fakten: Gelangt PFOA in den Körper, wird sie nicht abgebaut, sondern mit dem Blut in alle Organe verteilt. In hohen Mengen kann die Säure Krebs erregen, die Schilddrüse schädigen und andere innere Erkrankungen auslösen. Eine Texttafel am Ende des Films belehrt die Zuschauer nüchtern, dass heutzutage so gut wie jedes Lebewesen Spuren von PFOA im Blut haben dürfte, inklusive uns Menschen.

Nun ist Todd Haynes kein Neuling, wenn es darum geht, die Auswirkungen chemischer Reaktionen auf Körper und Seele zu erforschen. Sein frühes Meisterwerk Safe handelt von einer Hyper-Allergikerin (Julianne Moore), die sich nach und nach immer weiter aus dem kalten Glanz der achtziger Jahre zurückzieht und schließlich in ihrer blassen Dünnhäutigkeit vollends im Wahn endet. Dennoch stellt Dark Waters eine ganz besondere Herausforderung für den Regisseur dar: Einerseits treibt ihn das Projekt noch ein Stück weiter weg vom Arthouse und mitten hinein in den Gerichtssaal eines Mainstream-Dramas, andererseits ist seine Arbeit hier weniger auf Kunstfertigkeit ausgerichtet als auf die Vermittlung der Botschaft, die hinter den Bildern steckt. Streckenweise scheint es fast so, als würde der Regisseur angesichts des Geschehens auf der Leinwand mehr beiseite treten als bewusst die Zügel in der Hand zu halten. Dennoch ist der Film nicht einfach eine trübere Variante von Erin Brockovich mit Mark Ruffalo als Auswechselspieler für Julia Roberts’ engagierte Aktivistin, die in Steven Soderberghs modernem Klassiker ebenfalls eine Firma für ihre Umweltsünden verklagt. Haynes zeigt Bilotts unermüdlichen Kampf durch die US-Instanzen auf seltsam unaufgeregte, aber durchdringende Weise, gradlinig und chronologisch erzählt und mit einer tiefen, erdigen Intensität, wie man sie eher aus dem Kino der siebziger Jahre kennt und vom Regisseur in dieser Form und Stärke lange nicht gesehen hat …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe FAQ 56


DARK WATER / VERGIFTETE WAHRHEIT 

Drama/Biografie – USA 2019 – Regie Todd Haynes

Drehbuch Mario Correa, Matthew Michael Carnahan, basierend auf dem „The New York Times Magazine“-Artikel „The Lawyer Who Became DuPont’s Worst Nightmare“ von Nathaniel Rich Kamera Edward Lachman Schnitt Affonso Gonçalves Musik Marcelo Zarvos Production Design Hannah Beachler Kostüm Christopher Peterson    

Mit Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Camp, Victor Garber, Mare Winningham, Bill Pullman

Verleih Tobis Film, 126 Minuten

Kinostart 17. 04. 2020

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