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”It’s a sad and beautiful world“

Eine Ikone des unabhängigen amerikanischen Autorenkinos, dessen Werke Kultstatus genießen, ein Repräsentant von Coolness und Stilwillen wird 70: Jim Jarmusch (*22. Januar 1953 in Cuyahoga Falls, Ohio)

 

„Ich wollte ursprünglich Poet werden. Doch dann wurde mein Schreiben immer visueller. Jetzt hoffe ich, dass meine Filme immer literarischer werden.“ (Jim Jarmusch auf der Pressekonferenz zu Down by Law in Cannes 1986)

Ein streunender Kompagnon: „Permanent Vacation“

Es dürfte die Zeitschrift „Filmkritik“ in ihrer Spätphase gewesen sein, die zumindest für den deutschsprachigen Raum den jungen Filmemacher Jim Jarmusch mit seinem Debütfilm Permanent Vacation (1980) entdeckte, auf dem Umschlag von Nummer 298 / Oktober 1981 findet man seinen Hauptdarsteller, Chris Parker, abgebildet. Zwischen einem Zitat aus Dostojewskijs „Der Jüngling“, etwas aus den Erinnerungen an den Saxofonisten Charlie „Bird“ Parker, musikalischer Geist des Films, bis zu Texten über Nicholas Ray, dem Jarmusch assistiert hatte, bildet den Kern des Heftes ein langes Interview mit Jarmusch, eine akribische Nacherzählung des Films von Ralph Eue und ein Essay von Hartmut Bitomsky: „Die Tatsache, daß der Hauptdarsteller ein besonderer Mensch ist, macht Permanent Vacation zu einem wundervollen Film. Das Besondere hebt die Gewöhnlichkeit in der Rolle auf, die gespielt wird. (…) Permanent Vacation ist zweitens ein wundervoller Film – weil er sich seinem Hauptdarsteller nicht nähern kann, (…) er hat keinen Plot, keine Intrige; der Film wandert mit dem Hauptdarsteller durch New York, ein streunender Kompagnon. / Ich weiß: lauter Episoden, die vom Filmemacher arrangiert sind für die Rolle. Er möchte, daß viele Sachen, die passieren, Koinzidenzen sind; sie sollen mit etwas anderem zu tun haben – Koinzidenzen, in denen sich Anomalien und Determinanten unauffällig mischen, so daß sich ohne den Zusammenhang einer Story doch schließlich ein Ganzes ergibt.“ Bereits hier, im Erstling, sind die musikalischen Passagen essenziell, die sich über die ständigen Geräusche der Metropole legen: eine verlangsamte, bearbeitete javanische Gamelan-Musik und die Saxofonimprovisationen von John Lurie, die immer wieder das Thema von „Somewhere over the Rainbow“ variieren.

Chris Parker in „Permanent Vacation“ (1980)

„Ohne Musik hätte das Leben keinen Sinn“ (Jim Jarmusch)

Neben seinen Kinofilmen drehte Jarmusch Musikvideos 
u. a. für Talking Heads, Tom Waits, Neil Young und Jack White. Die Soundtracks waren immer schon zentraler Bestandteil seiner Filme; Tom Waits war dafür an Night on Earth (1991) und Down by Law (1986) beteiligt, John Lurie an Stranger than Paradise (1984) wie an Down by Law und Neil Young an Dead Man (1995), mit einer E-Gitarren-Filmmusik, die nur aus Intros besteht, Neuanfängen, Augenöffnungen (Diedrich Diederichsen hatte diesen Sound als ein Gegenkonzept zu Youngs Gitarrenfeedback-Album „Arc“ bezeichnet). Jarmusch nutzte aber auch die Musik von Sunn O))), Boris, von Rapper RZA (Robert Fitzgerald Diggs; Soundtrack zu Ghost Dog, 1999), Mulatu Astatke, Joszef van Wissem. Screamin’ Jay Hawkins’ „I Put a Spell on You“ wird wiederholt in Stranger than Paradise angespielt, Elvis Presley’s „Blue Moon“ verbindet die einzelnen Episoden von Mystery Train. Darüber hinaus drehte Jarmusch die Musikfilme Year of the Horse über eine Konzerttournee von Neil Young mit seiner Band The Crazy Horse (1997) sowie Gimme Danger (2016) über Iggy Pop & The Stooges.
Zu seinen Studentenzeiten in New York war Jarmusch Mitglied der No-Wave-Band The Del-Byzanteenes, mit der er das Album „Lies to Live By“ einspielte. Für The Limits Of Control (2009) nahm er einige Lieder mit seiner Band Bad Rabbit auf. Drei Alben veröffentlichte er im Duo mit dem niederländischen Lautenspieler Jozef Van Wissem („Concerning the Entrance into Eternity“, 2011; „The Mystery of Heaven“, 2012; „An Attempt to Draw Aside the Veil“, 2019). Van Wissem, Lautenist zwischen Barocktradition und Avantgarde, spielte auch den Großteil des Soundtracks für Only Lovers Left Alive (2013; Soundtrack Award in Cannes) ein, an dem auch Jarmuschs Band SQÜRL, eine Fortsetzung von Bad Rabbit, beteiligt war. Auch den Soundtrack zu Paterson (2016), der Geschichte des Busfahrers und Lyrikers aus Paterson, New Jersey, der die Poesie einem Routine-bestimmten Leben unterordnet, spielte SQÜRL ein.

„Gimme Danger“ (2016). Foto: Mike Barich

The New World: Stranger than Paradise (1982-84)

Das Kammerspiel für drei Personen ist in drei Teilen erzählt: „The New World“ – Der aus Budapest eingewanderte Willie (John Lurie) muss in New York seine Cousine Eva (Eszter Balint) bei sich unterbringen; cool und abweisend hält er seine Vergangenheit von sich fern. Wie sein Freund Eddie (Richard Edson) lebt er in den Tag, von Pferdewetten und Kartenspiel. Erst ein Diebstahl, den sie begeht, bringt Eva die Anerkennung ihres Cousins ein. „One Year Later“: Mit Geld aus dem Glücksspiel und einem geliehenen Wagen fahren die beiden Freunde nach Cleveland, kommen bei Willies Tante unter und begegnen dort Eva wieder. Der zugefrorene See, Kartenspiel und Fernsehen … „Paradise“ – Willie, Eddie und Eva hocken nach langer Fahrt in Florida in einem Motel-Zimmer, dann verspielen die Männer ihr Geld, während Eva, von einem Dealer verwechselt, einen Geldumschlag zugesteckt bekommt. In der Folge befinden sich alle Beteiligten, jeder für sich, auf einem unerwarteten, versehentlich eingeschlagenen Weg, unterwegs in eine Richtung, die keiner beabsichtigt hatte.
Langeweile im Lebensgefühl der No-Future-Generation zu Anfang der achtziger Jahre und die Ödnis des American Way of Life spiegeln sich in den menschenleeren Städten und trostlosen Landschaften, die Jarmuschs Akteure in ihrer charakteristischen Lakonie und Sprachlosigkeit durchqueren. Kaum je werden die Hüte abgesetzt. Jeglicher Glanz der Metropole New York, des Ferienparadieses Florida erscheint erodiert, verheißungsvolle Orte der Neuen Welt wirken hier auf ihren realistischen Nettowert herabgestuft. Jarmuschs Bild von Amerika, in den ruhigen Einstellungen von körnigem, kontraststarkem Schwarzweiß mit gelegentlichen Schwenks sowie Schwarzblenden als Übergängen vermittelt es keinerlei Werbung für die Green Card, eher zeige es, so schrieb jemand, ein Land zum Auswandern. Sparsame Bilder, eine melancholische Poesie, absurde Komik bezeugen den Einfluss Samuel Becketts auf den ehemaligen Literaturstudenten.
Der wichtigste Vertreter der New Yorker Independent Szene, beeinflusst vom New American Cinema und der Pop-Avantgarde um Andy Warhol, mit Wurzeln in der Punk- und Super-8-Film-Szene, konnte für diese quasi No-Budget-Filmproduktion mit von Wim Wenders überlassenem Restmaterial der Arbeit an seinem Film Stand der Dinge (1982) drehen, und Freundinnen und Freunde fungierten als Darstellende. Dem ersten Teil, erfolgreich auf europäischen Festivals, folgten 1984 die übrigen und noch im selben Jahr wurde der Film mit Hauptpreisen in Cannes und Locarno ausgezeichnet, Jarmusch mithin, wie oft bei amerikanischen Avantgarde-Künstlern, in Europa eine größere Anerkennung zuteil als in den Staaten…

Richard Edson, Eszter Balint und John Lurie in „Stranger Than Paradise“ (1984)

In den Sümpfen Louisianas: „Down By Law“ (1986)

„It’s a sad and beautiful world“, sagt Roberto (Roberto Benigni), als er das erste Mal ins Bild tritt, und tatsächlich bekommen wir eine komisch-melancholische Geschichte erzählt, ruhig und voller Poesie, gleichermaßen real wie unwirklich. Zuhälter Jack (John Lurie) und Discjockey Zack (Tom Waits) finden sich in einer Zelle des Gefängnisses von New Orleans wieder. Beide sind reingelegt worden: mit einer minderjährigen Nutte der eine; mit einer Leiche im Kofferraum, die er unwissend durch die Stadt gefahren hat, der andere. In der Zelle stieren sie nun vor sich hin, öden sich an, wechseln kaum ein Wort, geraten auch mal in Streit. Da wird ihnen der Italiener Roberto zugesellt, dessen redselige, kindlich unbefangene Art, mittels seiner auf einem Vokabelblock notierten Sammlung von Idiomen, mit denen er sich radebrechend verständlich zu machen sucht und dabei eine nervige Lebendigkeit an den Tag legt, die Apathie seiner Mithäftlinge auflockert. Mit der Kraft der Phantasie und weil er den richtigen Gefängnisfilm gesehen hat, entdeckt er auch den Fluchtweg aus der Haftanstalt. In den Sümpfen Louisianas finden sich eine Hütte und ein Boot, das nach langer Kreisfahrt sinkt. Man streitet sich, jeder will seinen eigenen Weg einschlagen, doch dann trifft man sich wieder am Lagerfeuer Robertos. Als sie plötzlich vor einem verlassenen Wirtshaus stehen – „Luigi’s Tin Top“ –, schicken sie Roberto voraus, doch bald darauf treibt sie der Hunger hinterher, und sie finden ihn am Tisch der italienischen Wirtin sitzen. „Wie im Kinderbuch“, so Roberto, habe er sein Liebesglück gefunden. Jack und Zack ziehen weiter und trennen sich an einer Weggabelung.

Tom Waits, John Lurie und Roberto Benigni in „Down by Law“ (1986)

Wie in Stranger than Paradise erzählt der unabhängige Autorenfilmer Jarmusch eine Geschichte um drei Personen in drei Teilen. In diesem Fall mit einem Happy End zumindest für einen der drei Außenseiter, den Unbefangenen Direkten, Naiven, den Freundschaft Suchenden, der an Wunder glaubt. Jarmusch hole immer wieder Fremde in seine Filme und bringe so wieder Leben in das verstummte Land, befand Marli Feldvoss (1989). Dieses Menschenvertrauen Robertos lässt die psychisch beschädigten, fast autistisch agierenden Weggefährten zeitweilig zu sich kommen und sorgt für einen guten Ausgang. Und schließlich bringen die teils absurden Verständigungsprobleme und Sprachkontraste zwischen Roberto Benignis italienischem Englisch und dem herausgekaut hingenuschelten Amerikanisch vor allem von Lurie und Waits eine einzigartige irre Komik in den Film …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 68

 

Auswahl deutschsprachiger Monografien:
Rolf Aurich/Stefan Reinecke (Hg.): Jim Jarmusch. Berlin: Bertz+Fischer 2001; Roman Mauer: Jim Jarmusch. Filme zum anderen Amerika. Mainz: Bender Verlag 2006; Sofia Glasl: Mind the Map. Jim Jarmusch als Kartograph von Popkultur. Marburg: Schüren 2014; Benedikt Felten: Jim Jarmusch: Musik und Narration. Transnationalität und alternative filmische Erzählformen. Bielefeld: transcript Verlag 2017

 

| FAQ 68 | | Text: Jörg Becker
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