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Jenseits des Sichtbaren

Text: Jörg Schiffauer | Fotos: Filmladen

Der Dokumentarfilm „Jenseits des Sichtbaren“ widmet sich einer Künstlerin, deren Bedeutung zu Unrecht unterschätzt wurde. Die Schwedin Hilma af Klint gilt als eine der Wegbereiterinnen der Abstrakten Kunst.

Im Februar 2013 titelte die „FAZ“ als Reaktion auf eine große Ausstellung in Stockholm, die dem lange Zeit weitgehend unbekannten Werk von Hilma af Klint gewidmet war: „Die Kunstgeschichte muss umgeschrieben werden“. Eine gewagte Behauptung, doch angesichts der in der Ausstellung präsentierten Bilder der schwedischen Künstlerin erschien es durchaus angemessen, einige tradierte Vorstellungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Hatte doch Hilma af Klint bereits 1906 ihr erstes abstraktes Bild gemalt, also Jahre vor den in der Kunstgeschichte als Säulenheilige und Pioniere der Abstraktion geltenden Wassily Kandinsky und Piet Mondrian.

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Halina Dyrschka beschloss also der Sache auf den Grund zu gehen und in ihrem Dokumentarfilm Jenseits des Sichtbaren die bemerkenswerten Lebensgeschichte Hilma af Klints eingehender zu beleuchten. Ihre 1862 im schwedischen Solna geborene Protagonistin studierte an der Stockholmer Kunsthochschule und malte zunächst im naturalistischen Stil, ehe sie daranging, in ihren Bildern die Welt jenseits des Sichtbaren erfassbar zu machen. Mit bewährten dokumentarischen Mitteln nähert sich Halina Dyrschka Person und Werk von Hilma af Klint an. Kunsthistorikerinnen kommen dabei ebenso zu Wort wie Familienmitglieder, die ihr künstlerisches Werk verwalten, mittels Voice-over werden Auszüge aus den umfangreichen Notizen, die Hilma af Klint quasi begleitend zu ihrer künstlerischen Arbeit verfasst hat, offen gelegt. Jenseits des Sichtbaren präsentiert damit nicht nur das umfangreiche Œuvre seiner Protagonistin, es wird auch ein Einblick in ihre breit angelegte Gedankenwelt ermöglicht. So interessierte sich af Klint für naturwissenschaftliche Erkenntnisse ihrer Zeit, befasste sich intensiv mit Theosophie und ein wenig obskur anmutenden Dingen wie Séancen. In Verbindung mit af Klints Arbeit stellt aber Halina Dyrschka auch Fragen zur Kunstgeschichtsschreibung und der Kunstwelt an sich. Denn wie konnte es sein, dass Hilma af Klint, die als erste abstrakt gemalt hatte und deren Werk – wie Jenseits des Sichtbaren anschaubar macht – in der Tat verblüffende Parallelen nicht nur zu Kandinsky sondern auch zu anderen großen Namen wie Paul Klee, Cy Twombly oder Andy Warhol aufweist, so lange nahezu völlig unbeachtet blieb? Das mag zu einem Teil an der durchaus eigenwilligen Persönlichkeit der Schwedin liegen, die ihre Arbeiten nicht ausstellte, ihr Gesamtwerk weitgehend zusammenhielt und verfügte, dass es die ersten zwanzig Jahre nach ihrem Tod von dem Erben, ihrem Neffen, unter Verschluss gehalten werden musste. Es sollte bis in die achtziger Jahre dauern, ehe wieder an ihr Werk erinnert wurde.

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Das Ignorieren Hilma af Klints und ihrer kunsthistorischen Bedeutung ist aber auch einem Betrieb geschuldet, der ganz eigene Spielregeln entwickelt hat, bei denen ökonomische Überlegungen eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielen. Das Museum of Modern Art in New York weigerte sich anlässlich seiner großen Überblicksschau zur abstrakten Malerei „Inventing Abstraction, 1910-1925“ kategorisch, Hilma af Klint auch nur zur erwähnen. Ein Schelm, wer dabei denkt, das könnte auch daran liegen, dass das MoMA zahlreiche Kandinskys besitzt. Hilma af Klingt starb 1944 – übrigens im selben Jahr wie Wassily Kandinsky.

Kinostart 28. August

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