Auf der Euroluce, der großen Fachmesse für Leuchtendesign in Mailand, wird alle zwei Jahre gezeigt, was in der Branche technisch und formal State of the Art ist. Umso bemerkenswerter ist heuer der Auftritt eines heimischen Ausstellers: An einem kleinen Stand wird große österreichische Designgeschichte präsentiert. ,J. T. Kalmar‘, das Wiener Traditionsunternehmen aus der Josefstadt, zeigt unter dem Titel ,Kalmar Werkstätten‘ eine Best-of-Compilation aus dem hauseigenen Archiv. Dafür wurden bewährte Entwürfe ausgewählt und gemeinsam mit internationalen Designbüros überarbeitet. Die neue Produktlinie zeigt ein wienerisches Formen-Potpourri aus mehreren Jahrzehnten, dem es – heiter und elegant zugleich – gelingt, die maßgeblichen Gestaltungsprinzipien des Firmengründers Julius Theodor Kalmar (1884–1968) zu veranschaulichen. Das Wirken Kalmars ist wiederum fest mit den Aktivitäten des Österreichischen Werkbundes verbunden, zu dessen innerem Kreis man ihn zählen kann.
Julius Theodor Kalmar
Der Werkstoff Metall liegt Julius Theodor Kalmar gewissermaßen im Blut. Schon sein Großvater Josef Karl von Szárkány, betrieb in Ungarn eine Metallhütte. Seinem Vater gehörte die florierende Wiener Bronzewarenfabrik „Kalmar – vormals Böhm“. Julius Theodor maturiert 1901, die weitere Ausbildung erfolgte im Hinblick auf die Firmennachfolge und umfasst handwerkliche und auch kunstgewerbliche Fachgebiete. Er besucht die Wiener Kunstgewerbeschule, absolviert eine Lehre zum Gürtlermeister und verbringt auch ein Jahr an der Birmingham School of Art. Ab 1906 unterstützt er den väterlichen Betrieb und übernimmt 1913 dort das Steuer. Die schwierigen Zeiten und Kriegswirren machen 1918 die Fusion mit vier weiteren Unternehmen unumgänglich. Der so entstandenen ,Erzgießerei, Bronze- und Metallwarenfabrik AG, Wien‘ steht Kalmar dann bis zur Gründung von ,J. T. Kalmar‘ im Jahr 1931 als Direktor vor. Kalmar startet den eigenen Betrieb im Umfeld des Österreichischen Werkbundes und kann die Firma in der Nachkriegs- bzw. Wiederaufbauzeit zu einem über die Grenzen des Landes hinaus angesehenen Leuchten-Hersteller mit Designbewusstsein ausbauen. Unter seiner Führung werden an die tausend Leuchtenmodelle entworfen, die allesamt – gut durchdacht, hochwertig ausgeführt und formschön wie sie sind – die Philosophie des Hauses Kalmar erkennen lassen.
Kontakt zur Moderne
In den frühen Zwanziger Jahren gelingt es Kalmar, das Leuchten-Sortiment der ,Erzgießerei Wien‘ neu aufzustellen und technisch sowie formal an die damals modernsten Standards heranzuführen. Kein Zufall also, dass sich um 1925 der Kontakt zwischen Kalmar und einer kleinen Gruppe von Architekten rund um Josef Frank intensiviert. Die von Josef Frank, Oskar Wlach und (anfänglich) Walther Sobotka unter der Atelierbezeichnung ,Haus und Garten Werkstätten‘ entworfenen Steh-, Wand- und Deckenleuchten werden nun von der ,Erzgießerei Wien‘ ausgeführt, die sich mit dem Know-How und Engagement ihres Direktors Kalmar als kongeniale Produktionsstätte erweist. Zudem können die entstandenen Produkte über die Verkaufsräume beider Firmen vertrieben werden.
In der Zusammenarbeit mit ,Haus und Garten‘ entsteht eine Reihe von sehr formschönen Leuchten, die der durch Frank vertretenen gemäßigten Moderne entsprechen und in der Folge auch richtungsweisend für weitere Produkte von Kalmar werden. Die Ideen des Werkbundes entsprechen Kalmars persönlichem Verständnis von Qualitätsarbeit, und der damals fast vierzigjährige Geschäftsmann erkennt die Chancen, die die Werkbund-Ideen einem Hersteller mit kunstgewerblichem Selbstverständnis eröffnen. Er wird im Umkreis der Werkbund-Architekten zur Anlaufstelle in Beleuchtungsfragen und selbst mehr und mehr zum Förderer und Verfechter der neuen Programme. 1928 wird der Direktor der ,Erzgießerei Wien‘ zum Vorstandsmitglied des Österreichischen Werkbundes gewählt, was zu verschiedenen funktionsbezogenen Auslandsreisen und auch zu einer gewissen Publikationstätigkeit führt.
„Zeit- und werkgerechte Lampen“
Im wirtschaftlich schwierigen Jahr 1931 gründet Julius Theodor Kalmar sein eigenes Unternehmen, die ,J. T. Kalmar Metallwerkstätte‘. Frühe Zeitungsinserate verheißen „zeit- und werkgerechte Lampen“ und positionieren das Leuchtenprogramm klar im Zeitgeist der Moderne. Kalmar selbst erzählt in den Fünfziger Jahren lapidar: „Das Programm war, gute moderne Beleuchtungskörper zu günstigen Preisen zu erzeugen.“ Aber schon die Produktbeschreibungen zu den ersten Kalmar-Leuchten lesen sich wie ein Werkbund-Manifest: „Der angestrebte Zweck soll mit einem Minimum von Material und Arbeit erreicht werden. Scheinbarer Mehraufwand hat funktionelle Bedeutung …“ Dass man damit designerisch auf dem richtigen Weg ist, zeigt der Umstand, dass sich die junge Firma bereits zwei Jahre nach der Gründung über eine Bronzemedaille auf der Mailänder Triennale freuen kann.
Im Sommer 1932 wird mit der Wiener Werkbundsiedlung das ehrgeizigste Projekt des Österreichischen Werkbundes fertiggestellt: Unter der Ägide von Josef Frank ist eine Musterhaussiedlung mit siebzig voll eingerichteten Häusern entstanden, die dann für acht Wochen öffentlich zugänglich ist und an die 100.000 Besucher anlockt. Eine Vielzahl der Gebäude, auch solche von nicht-österreichischen Architekten, sind mit Produkten aus dem Hause, J. T. Kalmar‘ ausgestattet. Das bedeutet Top-Publicity für die junge Firma und festigt auch ihre programmatische Verbindung zu den modernen Gestaltungskonzepten.
Kalmar-Leuchten sind unter anderem in den Häusern von Oskar Strnad, Clemens Holzmeister, Max Fellerer, Hugo Gorge, J. Groag, Walter Loos, Erich Boltenstern, Ernst Lichtblau und Walther Sobotka mit Produkten der Firma ,J. T. Kalmar‘ zu finden. Die daraus entstehenden Fragen zur Zuordnung einzelner Entwürfe aus dem Sortiment von 1932 zu bestimmten Architektennamen können nicht eindeutig beantwortet werden. Ausdrückliche Autoren-Nennung ist jedenfalls damals und auch später bei , J. T. Kalmar‘ nicht üblich. Es ist anzunehmen, dass viele Entwürfe gemeinsam mit Architekten, andere werksintern entstanden sind. „Viele Architekten haben mich in der Aufbauzeit unterstützt“, formuliert Kalmar das später. Fest steht, dass Josef Frank in der Anfangszeit eine treibende Kraft ist, und dass zumindest alle Modelle, die nach Franks Emigration (1934) beim schwedischen Hersteller Svensk Tenn aufgelegt werden, aus seiner Feder stammen.
Mit dem Wirken von Josef Frank in Österreich ist die Firma Kalmar dann auch weit in die Nachkriegszeit hinein verbunden. Denn 1938 übernimmt ,J. T. Kalmar‘ ,Haus und Garten‘. Was technisch gesehen als Arisierungsakt abläuft, ist nachweislich das gemeinsame Bemühen von Freunden und Kollegen das prominente Wiener Einrichtungshaus am Leben zu erhalten.
Auch in der Wiederaufbauzeit werden unter Julius Theodor Kalmar Entwürfe der bekanntesten österreichischen Architekten ausgeführt. So kommt es insbesondere zur Zusammenarbeit mit Oswald Haerdtl, Carl Appel und Erich Boltenstern, bis dann mit den bildhauerisch inspirierten „Eisglas“-Produkten des Designers Karl Gruber eine neue Ära in der Firmengeschichte beginnt.
Was soll der Beleuchtungskörper können?
„Freundliches Licht; Festliche Beleuchtung; Helle Arbeitsplätze“, wirbt , J. T. Kalmar‘ in einem Zeitungsinserat von 1932. Damit wird deutlich, wie sehr der Praktiker Kalmar das Lösen von Beleuchtungsproblemen als oberste Aufgabe seines unternehmerischen Handelns versteht. Kalmar im Wortlaut: „Die Frage, die der Kundschaft vorgelegt wurde, war: Was soll der Beleuchtungskörper können?“ Damit beweist der Firmenchef auch in Marketingfragen Weitsicht, denn vom forcierten Eingehen auf Kundenbedürfnisse sind in den Nachkriegstagen viele Betriebe noch meilenweit entfernt.
Es gehört zu den Entwurfsprinzipien von Kalmar, die Form und den Materialeinsatz auf das Wesentliche zu reduzieren. Was nicht notwendig ist, um die Entwurfsidee darzustellen und die Funktion zu gewährleisten, wird weggelassen. Kalmar verfolgt die Zweckform und meidet die Zierform. Mitunter wird das Weglassen zum Thema und es entstehen sehr spielerische Weniger-geht-nicht-Entwürfe.
Technische Details sollen bei Kalmar – vor allem im Wohnraum – simpel arbeiten, smarte Lösungen mit With-a-smile-Effekt mag er besonders. Beliebt sind z.B. Feststellmechanismen, die nur mit Schwerkraft bzw. Materialreibung funktionieren und gerade deswegen Leichtigkeit vermitteln. Überhaupt kann das trickreiche Spiel mit der Schwerkraft als ein Thema seiner Arbeit gesehen werden.
Zu einem Lächeln animiert auch die Art und Weise, wie Kalmar die Dinge beim Namen nennt: So werden einige Modelle nach formalen Assoziationen („Dornstab“, „Häckchen“, „Nuss“ etc.), andere nach Tierspezies, Vornamen (selbstironisch auch: Julius) oder Städten, oder auch nach der angepeilten Käufergruppe (Tischleuchte „Generaldirektor“) benannt. Manche der Bezeichnungen sind so ungewöhnlich, dass sie vermuten lassen, der Direktor habe gut gelaunt einfach den werksinternen Spitznamen zur Modellbezeichnung festgeschrieben („Boden überall“).
Kalmar nennt Leuchten einmal „Stumme Diener“, die das benötigte Licht erzeugen und sonst nicht weiter auffallen sollen. In diesem Programm der formalen Zurückgenommenheit und klaren Funktionsbezogenheit ist mitunter der klassische Gehalt entstanden, der das Projekt einer Re-Edition nach Jahrzehnten möglich macht.
Kalmar Werkstätten
Oh, my gooohd! Man kann sich die Begeisterung vorstellen, die den Amerikaner Jonathan Browning erfasst, als er erstmals im Kalmar-Archiv Einsicht nimmt. Mittlerweile hat die Zusammenarbeit von Thomas und August Calice, die das Familienunternehmen heute in vierter bzw. fünfter Generation leiten, mit den Designern Browning und gegenwärtig Garth Roberts & Nicolo Taliani, zu etwa zwanzig wieder aufgelegten Leuchten geführt. „Ein aufwändiges, aber insgesamt sehr lohnendes Unterfangen, das wir da 2008 begonnen haben“, erzählt Thomas Calice, „und mein Sohn August und ich verstehen die Arbeit auch als eine Art Familienauftrag, durch den wir dem Großonkel Wertschätzung erweisen wollen.“
„Ganz neu ist die Idee nicht“, berichtet Calice. „Überlegungen dazu, alte Entwürfe wieder aufzunehmen gab es schon in den Achziger Jahren. Aber erst in den letzten Jahren wurde die Zeit reif für ein derartiges Projekt.“ Dabei hilft dem Unternehmen, dass der Name Kalmar, wie überhaupt die Wiener Moderne der Zwischenkriegszeit, in den Vereinigten Staaten hohes Ansehen genießt. Dort werden für importierte Kalmar-Originale schon seit längerem hohe Galeriepreise bezahlt. So wird die Re-Edition der „Kalmar Werkstätten“ auch – mit großem Erfolg – auf amerikanischem Boden gestartet.
„Die Auswahl der Entwürfe ist nicht immer leicht zu treffen. Manchmal wundert uns schon, was die Designer bevorzugen“, lächelt Thomas Calice. „Aber mittlerweile ist sicher eine aussagekräftige Kollektion entstanden.“ Bei jedem Entwurf, der ins Re-Edition-Programm aufgenommen wird, werden eine Reihe von Materialentscheidungen getroffen und Holzsorten, Metalloberfläche, Farben, Textilien, Kabel usw. festgelegt. Derzeit herrschen Palisander-, Wenge- und Eichenholz vor, die Metalloberflächen sind vernickelt, schwarz lackiert oder in geschwärzter Bronze ausgeführt. Damit wird der ausgewählte Entwurf, der formal weiterhin seine Entstehungzeit verrät, neu interpretiert und geschmackvoll in den Kontext von heute gesetzt. Zugleich grenzt man sich deutlich von der patinierten Originalprodukten und den dazugehörigen Sammlermärkten ab.
Die Re-Edition umfasst sowohl Arbeiten aus den frühen Dreißiger Jahren bis hin zu den Fünfzigern. Bekanntestes Modell ist der sogenannte Dornstab aus dem Jahre 1947– mittlerweile eine Ikone des österreichischen Nachkriegsdesigns. An einem bogenförmigen Holzstab mit u-förmiger Metallbasis kann an mehreren „Dornen“, also an Metallstiften in unterschiedlichen Höhen, die ringförmige Schirmhalterung eingehängt werden. In der Re-Edtition ist der Dornstab in zwei Größen erhältlich. Ebenso im Programm sind ganz frühe Entwürfe, wie der „Zug“ oder die „Reibe“, bei der das in einem Wandarm durchgleitende Kabel Höher- und Niedrigstellung bewirkt. „Kilo“ ist hervorzuheben, ein Leuchten-Entwurf mit kiloschwerem Gusseisenstand, der so reduced-to-the-max und konzeptiv ist, dass er ohne weiteres aus dem Jahr 2011 stammen könnte, während die vornehme Bodenleuchte „Dreistelz“ einfach klassisch zu nennen ist. Gewöhnungsbedürftig sind die Hängeleuchten „Admont“, „Hallstatt“ und „Holzstern“, denen gemeinsam ist, dass Seidenschirme von Metallarmen getragen werden, die auf organisch geformten Holzgestellen verankert sind. Der Entwurf geht auf die frühen Dreißiger Jahre zurück und erinnert trotz einiger Raffinesse im Detail – ungewöhnlich für Kalmar – an rustikale Vorbilder. Ganz im Gegensatz dazu die Neuauflage von „Mexico „und „Posthorn“, die in bewährt minimalistischer Manier erscheinen, und „Zweig“, einem fröhlichen Entwurf der Fünfziger Jahre, der für den Leuchteinsatz im Vorraum oder im Gangbereich prädestiniert ist.
Insgesamt gelingt es den ,Kalmar Werkstätten‘ mit ihrer gediegenen Kollektion, nicht nur die Entwurfshaltung des Julius Theodor Kalmar, sondern auch seinen hohen Qualitätsanspruch in der ausführenden Arbeit bis in die Gegenwart zu tragen. Damit kehrt das Wiener Unternehmen, das sich über zwei Jahrzehnte ausschließlich der Sparte der Objekteinrichtung gewidmet hatte, zu seinen firmengeschichtlichen Wurzeln zurück. Mit der Aufarbeitung des archivierten Erbes etablieren die „Kalmar-Werkstätten“ nicht nur eine Produktlinie in der Liga „Designklassiker“, sondern festigen auch den Stellenwert des Hauses Kalmar innerhalb der europäischen Designgeschichte. Dabei ist das Kalmar-Archiv noch immer prall gefüllt. Man darf also durchaus auf weitere spannende (Re-)Releases aus den ,Kalmar Werkstätten‘ hoffen.