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Kampf um Freiräume

© Christian Schreibmüller, 1983 Jan. Razzia

In Wien ticken die Uhren oft langsamer, heißt es. Tatsächlich dauerte es in der Aufbauphase und Neukonstituierung nach Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg bis die schwelenden gesellschaftspolitischen Zeitbomben ihre volle Wirkung entfalteten und die Stadt sukzessive von kon- servativem Mief und technokratischem Planungsverständnis befreiten. Es scheint kaum vorstellbar aus der Gegenwart einer Szene heraus betrachtet, in der Locations wie fluc am Praterstern, das oft überfüllte Flex oder die Bretterboden- disco im brut-Theater selbstverständlich zum nächtlichen Unterwegssein gehören, wie schmal der kulturelle Spielraum abseits der etablierten Hochkultur-Theater Anfang der 1970er Jahre abgesteckt war. Während sich die Treffpunkte der künstlerischen Avantgarde auf eine Handvoll Cafés in der Innenstadt beschränkten, blieben Jugendlichen die sich über Rock- und Pop-Musik, Style und lange Haare definierten, neben dem Camera-Club in der Neubaugasse oft nur Hinterzimmer von Gasthäusern oder Disco und Konzerte in den öffentlich verwalteten Jugendzentren mit dem musischen Zentrum in der Zeltgasse und dessen Tartarus-Saal als einem der Brennpunkte wohlfahrtsstaatlich gezähmter Events. Unmittelbar davor hatte sich das Jahr 1968 als Aufschrei gegen das repressive Klima in Österreich unter dem reaktionären Unterrichtsminister Piffl-Percˇevic ́ mit der vom Boulevard als Uni-Ferkelei bezeichneten Aktion „Kunst und Revolution“ im Hörsaal 1 der Uni Wien manifestiert. Was Wien insgesamt jedoch kulturell neu codierte, was Subkultur und Alternativbewegung maßgeblich stärkte und weitertrug, ereignete sich lange nach der Zäsur der Studentenbewegung von 1968, die Städte wie Berlin und Paris wesentlich mehr prägte.

Doch weil Facebook, Internet und Kommunikation per Mobil- telefon noch in weiter Ferne lagen, formierten sich im Jahr 1976 vor allem Telefonketten als subversive Netzwerke und beschleunigte sich die Kommunikation per Flugblatt direkt auf den frequentierten Straßenecken als es im Frühsommer zur Besetzung der Arena, des ehemaligen Auslandsschlacht- hofes in St. Marx an der Peripherie des dritten Bezirks kam. Direkt auf dem Dach des Eingangsgebäudes zum Gelände angebracht war der Schriftzug BESETZT. Nicht bloß als Pro- klamation der Aneignung leerstehender Räume und somit politisches, oppositionelles Statement, sondern auch als Ankündigung eines breit unterstützen subkulturellen Aufbruchs, die in alle Medien weitergetragen wurde. Ein Schlagwort als öffentliche Manifestation.

Zeichen für eine utopische Praxis

Bis in die Zeit aktueller Aneignungen wie „Epizen- trum“ oder dem langfristig bestehenden Projekt „Pankahyttn“ in der Johnstraße im 15. Bezirk, zieht sich das Zeichen „Besetzt“ verbunden mit der utopischen Forderung des „Alles für Alle“ auf rausgehängten Transparenten an Gebäuden, auf Plakaten und Websites als Koordinate einer kritischen Praxis der Aktion durch die Stadtgeschichte. Deutliche Markierungen im Anschluss an die Arena- Bewegung setzten die ebenfalls so bezeichneten „Besetzungen“ des Areals der Wiener Öffentlichen Küchen (WÖK) in der Gassergasse 1981–1983 im fünften Bezirk in Gürtelnähe sowie die größtenteils von Autonomen und Punks der zweiten Generation bewohnten und kulturell bespielten Häuser in der Aegidi- und Spalowskygasse im sechsten Bezirk, die 1988 polizeilich geräumt und anschließend sofort geschliffen wurden.

Stets verbunden mit der emanzipatorisch gemeinten Frage, wem die Stadt gehört und wer ökonomisch und politisch über die Verteilung der Möglichkeiten, deren Raumpotentiale zu nutzen, bestimmt, fungiert „Besetzt“ als schillerndes Versprechen der Umwendung des Bestehenden. Dass sich ur- bane Verhältnisse entlang solcher symbolischen, sozialen und ökonomischen Bedeutungen von Räumen lesen lassen, argumentierte nicht zuletzt der marxistische Soziologe Henry Lefebvre, der als einer der programmatischen Vordenker der Situationistischen Internationale gilt und für die unmittelbare Aktion im Stadtraum eintrat.

Rechercheprojekt zur Geschichte alternativer Kultur

Als umfassendes Rechercheprojekt zeichnet das WIEN MUSEUM nun die soziokulturelle Dynamik der Geschichte von Besetzungen und Aneignungen in Wien im Format der Ausstellung nach, wobei der Arenabewegung eine zentrale Rolle zukommt. Es war dies ein spontanes Happening der 100 Tage, das Wien aufrüttelte und grundlegend veränderte. Ein langer, heißer Sommer der Anarchie. Oder besser: eine Bewegung der utopischen Demokratie in Selbstverwaltung bestehend aus einer Vielzahl von Gruppen aus unterschiedlichen Zusammenhängen auf einem Areal von 70 000 m2. Nicht nur KünstlerInnen, StudentInnen, linke Organisationen, eine juristische Beratergruppe für Wehrdienst leistende oder den Präsenzdienst verweigernde sowie die Arena Frauengruppe, die sich zum Teil aus der Aktion Unabhängiger Frauen (AUF) formiert hatte und Kritik an der von Männern dominierten Bewegung übten, bevölkerten die Arena. Auch eine Gruppe von Bikern war gekommen. Ebenso Lehrlinge, Arbeitslose, Obdachlose und Jugendliche, die es zu Hause oder in Heimen nicht mehr aushielten.

Die spontane Umbenennung des ehemaligen, schon Mitte der 1960er Jahre stillgelegten, Schlachthofs erfolgte im An- schluss an die Bezeichnung einer Veranstaltungsreihe der Wie- ner Festwochen mit dem Titel „Arena 76“. Zeitgleich hatten Architektur-StudentInnen der Akademie der bildenden Kün- ste den Schlachthof als Thema einer Semesterarbeit gewählt und waren so mit der Polit-Rock-Gruppe Schmetterlinge ins Gespräch gekommen, worauf schließlich die Forderung „Die Arena darf nicht sterben“ in Umlauf gebracht wurde. Während neuere Besetzungsbewegungen nach der Jahrtausendwende, wie jene des Audi Max der Uni Wien, konkrete Forderungen stellten oder, wie die Occupy-Initiativen, globale Sichtweisen einforderten, ging es in der Arena um die Verwirklichung im hier und jetzt. Mit ihrer historischen Pavillon-Architektur hatte die Arena den Charakter des Modells einer kleinen Stadt mit Straßen und Plätzen, beherbergte aber vor allem Organisationsbüros, improvisierte Druckereien, eilig aufgebaute Küchen mit Gaskochern, Versammlungsorte für diverse Initiativen, eine Disco (die allerdings abbrannte) und natürlich zahlreiche kleinere Veranstaltungsgelegenheiten und große Säle für politisches Kabarett, Theater und Konzerte für Tausende. Die teils euphorische Stimmung nahm den Charakter eines alternativen Volksfestes an, was stadtweit affichierte Plakate und die per Handverkauf erhältliche Arena Stadtzeitung mit Veranstaltungsprogramm und aktuellen Informationen zum Aufbau gegenkultureller Strukturen noch steigerten.

Schleifung des Modells einer alternativen Stadt

Konzerte wie der Solidaritätsauftritt von Leonard Cohen oder des Liedermachers Wolf Biermann und eben der linkspolitischen Schmetterlinge in der großen Halle, aus denen später übrigens Ostbahn-Kurti alias Willi Resetarits hervorging, blieben legendär. Und: letztlich auch die für das ORF-Fernseh- Jugendmagazin „Ohne Maulkorb“ gehaltene Grabrede für die Arena des Kabarettisten Lukas Resetarits. Denn es kam anders als intendiert und die Gebäude auf dem Gelände wurden noch im Oktober mit Baggern und Schubraupen planiert. Im Zuge der Verhandlungen mit den VertreterInnen der Stadt Wien nach einem legendären Besuch des Geländes durch Kulturstadträtin und Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich- Sandner hatte sich lediglich ein kleiner Kreis bereit erklärt, in den benachbarten Inlandsschlachthof zu übersiedeln, womit die Bewegung strategisch gespalten war. Dass unerwartet die Sozialistische Jugend in den Reihen der eigenen Partei die Einlösung der Versprechen eines selbstverwalteten Kulturzen- trums einforderte, führte schließlich zu dem bis heute x-mal erneuerten Modell; allerdings auf wesentlich verkleinerter Fläche, womit die Arena schließlich zur Veranstaltungshalle und später zur Open-Air-Bühne für Alternativ-Pop wurde sowie zu einer der unzähligen Clubbing-Locations avancierte. Zumindest zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die jüngere Vergangenheit Wiens lassen sich daraus ableiten. Zum einen die Geschichte des „Versprochen und nicht gehalten“, denn kaum eines der Zugeständnisse oder Bekenntnisse von Seiten der Stadtpolitik blieb langfristig aufrecht. Etwa ist das Kultur- und Kommunikationszentrum Gassergasse 1983 im Morgengrauen überfallsartig geschliffen worden oder sind die Häuser in der Aegidi- und Spalowskygasse im 6. Bezirk, welche die Stadt Wien selbst zur Verfügung gestellt hatte, 1988 mit bis dato ungekannter Brutalität polizeilich geräumt worden. Schwere Baufahrzeuge begannen dort ihre Planierarbeit, als sich noch rund 80 Personen im Inneren der Gebäude befanden. Zugleich aber ist die Geschichte der Besetzung bis heute eine Geschichte der Aufbrüche, die am Beginn teils nachhaltiger Veränderungsprozesse stehen, wofür etwa das Amerlingshaus am lange verwahrlosten Spittelberg steht.

Diese wiederum gehen einher mit dauerhaften Aneignungen per Verhandlung wie im Fall des WUK oder des Lesben- und Schwulenhauses Rosa Lila Villa an der Wienzeile ab 1982. Andere Liegenschaften wie das Ernst Kirchweger Haus (EKH) im 10. Bezirk oder die Pankahyttn konnten nur im Zuge harter Kämpfe ertrotzt werden.

Kampf der Zeichen in der urbanen Öffentlichkeit

Ganz im Gegensatz zur selbstverständlich gewordenen Kommunikation per Internet im Online-Alltag heute zeigt die Ausstellung im WIEN MUSEUM aber auch, in welcher Intensität Besetzungen stets mit einem fantasievollen Kampf von Zeichen und subkulturellen Codes auf Flugblättern, in den alternativen Zeitschriften oder als Graffiti an und in den Gebäuden – also unmittelbar in der urbanen Öffentlichkeit – verbunden sind. Diese wiederum sind Teil jener hyperaktiven Energie mit der die zahlreichen heterogenen kulturellen Utopien von Basisdemokratie und Selbstorganisation immer wieder von Neuem zumindest temporär ins Leben hereingeholt werden. Gebündelt in Katalogform durchspickt mit Bildmaterial und einer Reihe theoretischer Beiträge zur Stadtentwicklung ent- stand außerdem ein bis dato einzigartiges Buch, das durch einen sonst ausgeblendeten Teil der Geschichte Wiens führt und als dauerhaftes Dokument dazu erhalten bleibt. Es leitet, wie für zahlreiche urbane Prozesse symptomatisch, durch eine Geschichte der Widersprüche, die Zeithistoriker Siegfried Mattl nachzeichnet. Denn während die Stadtverwaltung in den 1970er Jahren noch die Parole „Wien wird wieder Weltstadt“ ausgerufen hatte und dabei nahezu technokratisch ein funktionalistisches Konzept der Trennung von Arbeit, öffentlichem Wohnbau und kommunalen Freizeiteinrichtungen verfolgt hatte, war es parallel zum wachsenden Netzwerk der wenigen Galerien und Szenestützpunkte der Kunst vor allem jener Kampf um Freiräume und waren es die zahlreichen Re- volten, Bewegungen und gegenkulturellen Strömungen, die zur Aufladung Wiens mit jenem enormen Ausmaß an Diversität und Gegenwartskultur beitrugen, das in der Dialektik Verhält- nisse heute paradoxerweise einen beträchtlichen Anteil im progressiven Stadtmarketing einnimmt.

Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern

WIEN MUSEUM Karlsplatz

bis 12. August 2012 

| FAQ 17 | | Text: Schöny Roland
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